Selten haben wir so viele und vehement verfasste Leserbriefe wie zum Text »Theater ohne Publikum« in unserer Juni-Ausgabe bekommen. Weil wir im Juli-Heft nur eine Auswahl der Briefe abdrucken konnten, veröffentlichen wir die übrigen Zuschriften an dieser Stelle.
Ins Centraltheater gehe ich kaum noch (früher häufig!), seitdem ich das Gefühl habe, dass Zuschauer dort nicht mehr ernst genommen werden. Spricht man das aus, steht man in der Ecke von Theaterspießern, die am liebsten in die Muko gehen und im Gewandhaus alles ablehnen, was jünger ist als von 1920. Ich bin übrigens 35. Dass es Zuschauer gibt, die es als Ausdruck der Profilneurose von Sebastian Hartmann sehen, wenn er wie in »Paris, Texas« den Erzählfaden verhackstückt und einen seiner Schauspieler selbstreferentiellen Unsinn auffahren lässt, über den ausschließlich eine Handvoll Eingeweihter lachen kann, kann im CT niemand wahrnehmen. Genau das ist es, was an diesem Theater nicht stimmt. Eine Show für Eingeweihte ist es. Und die Uneingeweihten kriegen das Label »Provinzdepp« angeheftet. Chapeau! Danke kreuzer, für die offenen Worte. GUNTER F.
Ist der kreuzer mit seiner Juni-Ausgabe von allen guten Geistern verlassen? Der abgedruckte Artikel über Sebastian Hartmann passt vom Niveau in eine Boulevardzeitung aber nicht in das Leipziger Stadtmagazin. Verfasser Meinhard Michael ist dafür bekannt und schon in der LVZ mit seinen Intendantenbeschimpfungen aufgefallen. Sein Lieblingsthema ist mal wieder die Abrechung von Zuschauerzahlen. Damit will er (als Kunstkritiker!) die künstlerische Qualität eines Theaters bewerten. Dabei werden schnell mal 30.000 Zuschauer abgezogen und die Besucherzahl im Zauberberg auf wiederholt 80 festgelegt. Verwunderlich ist nur, dass bei jedem meiner Besuche (und es waren einige) dieses Stückes weit mehr Zuschauer im Saal waren. Aber auch im künstlerischen Bereich will er allen Lesern die Augen öffnen. Die Inszenierungen von Sebastian Hartmann werden als Unsinnsverschmutzung bezeichnet, in der die Substanz des Stückes verspielt wird. Schaut man aber in den Theaterteil des kreuzer, tauchen diese Inszenierungen regelmäßig als Theatertipp oder Tipp des Monats auf. Sollte Herr Michael weitere Artikel in diesem Stil veröffentlichen, werde ich mich sicher vom kreuzer verabschieden. RAINER MEHLSTÄUBL
Ich bin einer jener ehemaligen Leipziger Theatergänger, die nach verschiedenen Theaterabenden und der ersten, an stalinistischer Diskurskultur kaum zu überbietenden »Zuschauerkonferenz« – Hartmann-Claqueure, die einer nach dem anderen ein Loblied anstimmten, eine ZK-Sitzung, keine Diskussionsrunde – dieses Haus kaum mehr besuchen. Wie die meisten aus meinem Freundeskreis auch. Der Artikel von Meinhard Michael zielt auf Ökonomisches – und auf die Frauen. Beides desaströs, da gibt es nichts hinzuzufügen. Er versucht, dem Regisseur etwas abzugewinnen und entdeckt »herrliche Viertelstunden«. Ich sah einige gelungene Bilder, aber diese wurden bald von brüllenden, theaterblutbeschmierten Nackten weggewischt. Alles längst abgegessen, aber für revolutionär verkauft. Ein Zuschauer kommentierte: Es komme ihm vor, als würde man das immergleiche Stück besuchen. Nicht die Provokation, die Langeweile ist das Problem. Und die Unverschämtheit des Intendanten, mit der jeder Kritik unterstellt wird, man sei zu borniert für modernes Theater und wolle einfältiges Plüschtheater. Ach ja, Texte interessieren ihn nicht – mein einfältiges Gemüt entdeckt in »textnahen« Inszenierungen noch immer neue Akzente. Shakespeare und Co. waren halt nicht unbegabt. JÜRGEN KRÄTZER
Leipzig Mai 2020 Im »Schauspielhaus zu Leipzig« findet die Pressekonferenz zur neuen Spielzeit statt. Auf dem Podium haben Intendant und Kulturbürgermeister Michael Faber, Chefdramaturg Meinhard Michael und Pressesprecher Martin Eich Platz genommen. Auf großen Aufstellern steht das Motto der neuen Spielzeit: »NEU ENDE – Das Prinzip Tradition«. Vier große Produktionen stehen dieses Jahr an. Zur Eröffnung im Oktober Goethes Faust in der Inszenierung von Gustaf Gründgens. Einiges Raunen im Publikum. Der Intendant erklärt, man habe durch eine besondere Maya-Inkarnation Kontakt zu Gründgens aufgenommen und könne somit die Arbeit in seinem Geiste durchführen. Im Dezember zeigt das Leipziger Theater »Der Millionenschmidt« zum ersten Mal nach seiner Uraufführung 1962. Das Stück des schreibenden Arbeiters Horst Kleineidam wird in der Originalinszenierung von Karl Kayser auf die Bühne kommen. Für die musikalische Untermalung konnten ehemalige Mitglieder des Oktoberclubs gewonnen werden. Dies sei, so der gerührte Faber, ein Geschenk an seine treuen Freunde der LINKEN für die jahrelange Unterstützung. Die Stadt Leipzig gab schon vor einer Woche bekannt, Karl Kayser heiligzusprechen und ihm zu Ehren an der Bosestraße gegenüber vom Theater ein Denkmal zu errichten. Im Februar folgen »Die Nibelungen« von Friedrich Hebbel. Chefdramaturg Michael erklärte, man wolle Hebbels Prosa mit Melodien von Johann Strauß präsentieren. Nach der Schließung der Musikalischen Komödie habe das Schauspiel diesen Bereich schließlich übernommen. Auf die Frage, ob man damit nicht das Stück zerschlage, erwiderte Eich, dass es ein hoch emotionaler Moment sei, wenn die Nibelungen in Etzels Burg sterben und dazu »Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist« ertöne. In diesem Moment entfährt es Meinhard Michael, dass man in diesem Haus der Tradition im Allgemeinen verpflichtet sei. Jahrelange hätten das Regietheater und seine Gehilfen Frank Castdorf, Christoph Schlingensief, Hans Neuenfels, Calixto Bieito, Martin Kušej, Jürgen Kruse und Sebastian Hartmann die Zuschauer aus den Theatern vertrieben. Man müsse endlich begreifen, dass die 68er gescheitert seien und es nicht reiche, auf einer Bühne »ficken« zu sagen. Auf die Frage, ob am Theater der Moderne alles schlecht war, entgegnet Michael, die Regisseure machten lauter Schwachsinn, seien zu dumm und zu uninformiert und außerdem Provinzheinis. Auf die Frage, ob diese Theater nicht auch eine Bereicherung für die Kunstlandschaft seien, kommt die Antwort: »Den Vertretern des Regietheaters juckt die Vorhaut. Außerdem ist es egal, wer bei ihnen auf die Bühne wichst.« Nun Eich weiter: »Regisseure, die die Texte um ihre eigene Vorhaut wickeln, finde ich doof. Man sei keiner von diesen Regisseuren, die glauben, dass das Jucken der eigenen Vorhaut reicht, um ›Medea‹ zu begreifen.« Faber ergänzt: »Man darf heute auf der Bühne keine Emotionen zeigen, ohne sich gleichzeitig in die Vorhaut zu beißen.« Um nicht in Plagiatsverdacht zu geraten, erklärt das Podium, dass es sich hierbei um Zitate des hochgeschätzten Regiemeisters Peter Stein handle. Zum Spielzeitabschluss gibt es überraschenderweise eine Uraufführung: »Deutschland schafft sich ab« von Thilo Sarrazin, ein über zehnstündiges Spektakel in drei Teilen. Erster Teil: ein Hinterhof in der Eisenbahnstraße, Migranten und Drogenhandel zum Anfassen und Erleben. Zweiter Teil: im Theater mit dem neuen Stoff von Sarrazin »Deutschland ist kein Einwanderungsland!« Im großen dritten Teil geht es vom Theater aus zum Wilhelm-Leuschner-Platz. Gunter Weißgerber, Rainer Fornahl, Tobias Hollitzer und Rainer Eckert reiten auf weißen Schimmeln voran und rufen »Wir sind das Volk«. Am Freiheits- und Einheitsdenkmal, das eine goldene Mischung aus Banane und erigiertem Glied darstellt, findet der große Abschluss statt. Intendant Faber rühmt eine vielversprechende Spielzeit und endet mit einem Goethe-Zitat: »Mein Leipzig ist ein Klein-Paris und bildet seine Leute.« Alle verlassen das »Schauspielhaus zu Leipzig«. Draußen ist es grau und regnet. Aus irgendeinem Radio singt Jim Morrison »The End«. ALEXANDER SENSE
In einem dicken Cabrio cruist Sebastian Hartmann durch die Gottschedstraße. Er kann es sich leisten, sein Haus schwimmt im Geld. Auf dem Rücksitz des Boliden Heike Makatsch und ein Haufen anderer Girlies in Partylaune und kurzen Röckchen. An der Ecke vorm Piloten steht die sackteure Abendunterhaltung: Sufjan Stevens und Matmos haben einen kleinen Gig für den Intendanten vorbereitet. Aber wenn das Geld doch da ist und sich keiner für Theater interessiert? Hartmann selbst sitzt am Steuer und lacht sich schlapp, hat er doch auch dieses Jahr wieder die Zahl der weggebliebenen Zuschauer veröffentlicht und nicht die der anwesenden: So lässt sich natürlich eine Bombenauslastung zurechtfrisieren. Der stadtbekannte Macho und Sexist hintergeht sowieso alles und jeden: seine Regisseure, die sein Theater reproduzieren, ohne es zu wissen, Schauspielerinnen (den Bunnys klaut er noch die letzten Preise), die Stadt, aus deren Zuschüssen es sich natürlich ganz wunderbar leben lässt und am Ende sogar noch die überregionalen Kritiker: Dumm wie sie sind, gehen sie dem wahrscheinlich auch noch von Hartmann inszenierten »Metropolen-Effekt« auf den Leim und berichten überschwänglich vom Intendanten und seiner Aufbauarbeit in der ostdeutschen Provinz. Doch Gottlob: einer, der nicht auf das Theater hereinfällt und das Abendland erretten wird. In jeder Nische, in jedem Bruch im Straßenpflaster, noch auf der schäbigsten Theatertoilette sitzt Meinhard Michael und dokumentiert – radikal sachlich – das Sodom und Gomorrha am Centraltheater, dass der Herr erscheine und dieses Haus vom Erdboden tilge. Danke, Herr Michael! Dank auch an den kreuzer, dafür, dass er sich von Michaels verdrehten Zahlen, Klatschgerüchten und Falschaussagen nicht erst hat manipulieren lassen, sondern diese gleich ans Leserpublikum durchgereicht hat. D.J.
Endlich reiht sich auch der kreuzer in die festgefügte Anti-Hartmann-Einheitsfront ein. Schon lange kämpfen die Kulturbürger der Stadt mit Unterstützung der LVZ gegen das unsägliche Geschehen in der Bosestraße. Während ein Großteil der Menschheit hungert, werden dort Tortenschlachten abgehalten und Gulasch wird kellenweise auf der Bühne verschüttet. Handfeuerwaffen, die unsere Jungs in Afghanistan gut gebrauchen könnten, werden für sinnlose Platzpatronenspielchen missbraucht. Dekadente Autoren wie ein gewisser Jörg Fauser, den man zum Glück in unserem Leipzig nicht kennt und nicht mag, erhalten eine Heimstatt auf der Bühne. Mit diesem Unfug muss Schluss sein! Besser gar kein Theater als ein solches! Dank dem kreuzer, der hilft, auch den letzten Verblendeten, die noch Geld für eine Centraltheaterkarte ausgeben, die Augen zu öffnen. Wir wollen unser alten Kayser Karl wiederhaben! THOMAS PANNICKE
Eine auf Papier erfasste und in einer Statistik abgedruckte Zahl von Besuchern sagt nichts über den Erfolg oder Misserfolg eines Theaters aus. Angereihte Ziffern ohne jegliche Aussage. Theater ist viel mehr als nur der Vergleich mit anderen Spielstätten. Theater ist Kultur. Kultur, die sich nicht ihrem Publikum anpasst, wie die Warenpreise eines Supermarktes ihrer zahlenden Kundschaft. Theater lebt von der Inszenierung, der Provokation und Reflexion des Zuschauers. Wer, wenn nicht Hartmann, versteht es, Theaterstücke so brillant und gekonnt provokativ in Szene zu setzen? Theater ist Kunst, das ohne sein offenes Publikum nicht existenziell wäre. Wer dieser Offenheit nicht gewachsen ist, sollte keine Kritik äußern!
Herzlichst, TINA MAIWALD