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Kultur

»Am schwierigsten ist es, die Gedanken eines Kaninchens zu lesen«

Das Zaubertrio Wunder Punkt über Löffelverbiegen, Künstlerarmut und Wunderheiler

  »Am schwierigsten ist es, die Gedanken eines Kaninchens zu lesen« | Das Zaubertrio Wunder Punkt über Löffelverbiegen, Künstlerarmut und Wunderheiler

Leipzig sei kein Mekka der Zauberei, schreibt der kreuzer in seiner August-Ausgabe. Doch auch hier beherrschen Magier die Kunst des Verschwindens. Das Zaubertrio Wunder Punkt bezaubert regelmäßig im Kabarett Sanftwut sein Publikum – aber nicht nur dort. Mit dem kreuzer sprechen die drei über den Zauber ihrer Kunst, magische Moden und das Geheimnis der Trickkiste.

kreuzer: Wie sind Sie zur Zauberei gekommen – und geblieben?

PETER GRANDT: Wahrscheinlich bleibt man dabei, wenn die Zuschauer dem Zauberlehrling am Anfang nicht zu oft auf die Schliche kommen…

ROBERT ESSL: Eigentlich wollte ich lernen, beim Kartenspielen zu schummeln, hatte aber keine Ahnung, wo. In einem Zauberladen stieß ich auf Bücher über Kartenzauberei. Daran habe ich mich gleich fest gebissen und sehr intensiv mit beschäftigt. Schummeln beim Kartenspielen kann ich aber bis heute nicht.

MARKUS TEUBERT: Für mich ist es kaum zu verstehen, dass man, einmal mit dem »Bazillus Magicus« angesteckt, davon wieder loskommt. Obwohl ich viele Jahre die Zauberkunst nur neben einem »richtigen« Beruf betrieben habe, war immer klar, dass ich irgendwann ausschließlich zaubern möchte. Der Auslöser war eine Kinderzaubershow des DDR-Zauberers Jochen Zmeck, etwa 1974.

kreuzer: Was ist das Besondere an Wunder Punkt?

GRANDT: Der Zauberer, im allgemeinen ein Solist, kann hier mit anderen zusammen arbeiten und Möglichkeiten entdecken, die dem Solisten verwehrt bleiben – betreffs des Repertoires oder auch der tricktechnischen Möglichkeiten.

ESSL: …und auch bezüglich der Inszenierung.

GRANDT: Ich sehe Wunder Punkt an einem spannenden Punkt mit großen Entwicklungsmöglichkeiten. Leider verschleißt sich der nicht subventionierte Künstler zu sehr, denn die notwendigen Investitionen an Zeit und Geld sind kaufmännisch nicht zu rechtfertigen. Aber wenn das Projekt weiterbesteht, wird dem heutigen Schwerpunkt – fassungsloses Staunen herzustellen – ein theatralischer hinzugefügt. Die drei Zauberer werden in ihren unterschiedlichen Rollen deutlicher erkennbar werden und Konflikte miteinander austragen. Ob das alles zu intellektueller Größe führt, hängt davon ab, ob sich Hilfe findet. Über die finanziellen Aussichten des Berufsstandes Künstler, der inzwischen geschlossen zu Altersarmut führt, müsste einmal gesprochen werden. Kunst entsteht, wenn am Ende des Monats noch Geld für Kunst verfügbar ist. Soll heißen: Der Künstler wundert sich, dass die Kulturpolitik noch immer nicht weiß, dass neben Architekten, Steuerberatern und Anwälten auch Künstler eine Honorarordnung brauchen. Die Künstlersozialkasse erklärt regelmäßig, der Berufsstand der freischaffenden Künstler gleiche dem der Bettler, und die Kulturpolitik lässt sich immer noch die Budgets kürzen.

kreuzer: Herr Essl, hat das Zaubern etwas mit Ihrem Hauptberuf Mediziner zu tun?

ESSL: Es ist eine Ergänzung, außerdem liebe ich meinen Beruf. Aber man wird kein guter Arzt, wenn man sich nur mit der Medizin beschäftigt. Für den Zauberer gilt das Gleiche. Wichtig ist, beides sorgfältig zu trennen, sonst landen wir schnell wieder beim gemeinsamen Ursprung beider Disziplinen: dem Wunderheiler, Schamanen, Guru.

GRANDT: Der Zauberer der Urzeit ist nicht nur der Vorläufer des Zauberkünstlers oder des Arztes, sondern der Vorläufer des Wahren, Guten und Schönen insgesamt. Der frühe Zauberer ist der Urahn des Wissenschaftlers, Philosophen und Künstlers! Das ist exklusiv für den kreuzer die kürzeste Analyse der Zauberkunst bisher!

kreuzer: Denken Sie sich selbst Ihre Tricks aus?

GRANDT: Wir interpretieren. Das Erschaffen eines Kunststückes kann eine komplexe Angelegenheit sein. In der Regel gibt es so viel klug Ausgedachtes, dass man sich heute sehr gute Kunststücke aussuchen kann, wenn man sie zu finden weiß. Das Auffinden derselben ist eine Grundschwierigkeit, die im Theater ganz ähnlich ist. Auch die Unsitte des Bearbeitens hat der Zauberer sich beim Theater abgeschaut. Das führt ebenfalls zu verheerenden Ergebnissen: Entweder der Trick ist schlecht, dann richtet es auch die Bearbeitung nicht, oder der Trick war gut, bevor der Bearbeiter das Messer wetzte.

kreuzer: Haben Sie einen Lieblingstrick?

GRANDT: Der routinierte Gesprächspartner antwortet darauf: immer der neueste Trick. Denn das Aufführen einer Illusion ist ein unglaublich komplexes und anfälliges Vorhaben.

ESSL: Mit zwei Kunststücken habe ich mich die letzten Jahre sehr intensiv beschäftigt: dem Becherspiel und dem Löffelverbiegen. Das Becherspiel ist das nachweislich älteste Kunststück, aber es hat bis heute nichts an seinem Reiz eingebüßt. Es ist eine kleine Welt für sich; gewissermaßen die ganze Welt der Zauberkunst im Kleinen.

TEUBERT: Ich arbeite gerade am klassischen Ringspiel. Unfassbar, welch unglaublichen Effekte damit möglich werden. Ich würde es tatsächlich als mein derzeitiges Lieblingskunststück bezeichnen – und ich bin kein routinierter Gesprächspartner.

kreuzer: Gibt es einen besonderen Trick, den Sie unbedingt noch lernen wollen?

ESSL: Zurzeit arbeite ich daran, eine Zitrone mit einer Tomate zu einer Orange verschmelzen zu lassen. Gewissermaßen eine Farbenlehre für Zauberer.

kreuzer: Was ist schwieriger: Ein Kaninchen verschwinden lassen oder Gedankenlesen?

GRANDT: Ein Kaninchen erscheinen zu lassen scheint schwieriger zu sein, man sieht es viel seltener. Wie in der Mode gibt es auch in der Zauberei aktuelle Strömungen. Der Zyklus beginnt mit dem Taschenspieler, der eine Münze aus der Luft greift. Die Suche nach der Sensation macht aus dem Taschenspieler einen Illusionisten: Er lässt einen Elefanten verschwinden. Wenn die Gigantomanie nicht mehr steigerbar ist, schlägt die Stunde der Minimalisten. Der Mentalist ist das, was in der Architektur Bauhaus heißt. Selbst die Münze des Taschenspielers wird nicht mehr benötigt, der Manipulator verwandelt einen Gedanken im Kopf des Zuschauers.

ESSL: Am schwierigsten ist es, die Gedanken eines Kaninchens zu lesen.

kreuzer: Will sich Ihr Publikum bezaubern lassen oder wartet es darauf, den Trick zu entlarven?

GRANDT: Natürlich will das Publikum den Trick entlarven. Wenn es das nicht wollte, würde ich das Publikum nicht mögen. Und doch wünscht das Publikum zutiefst, dass die Illusion gelingt. Dieser Widerspruch verweist auf das, was die ewige Faszination unserer Gattung ausmacht. Das Staunen ist unsere Form der Poesie, unsere Gattungsschönheit.

ESSL: Das Publikum spürt sehr genau, wann es veralbert wird. Zauberkunst ist eine ehrliche Kunst. Anzustreben ist folgendes: Im Moment der Illusion will der Zuschauer an das Wunder glauben, aber gleichzeitig kann er das Gesehene als Illusion einordnen. Ich denke da an die berühmte Antwort von Madame du Deffand auf die Frage, ob sie an Gespenster glaube: »Nein. Aber ich fürchte mich vor ihnen!«

kreuzer: Warum sind die Menschen auch im digitalen Zeitalter noch fasziniert von der Zauberkunst?

TEUBERT: Die Faszination von Dingen wie Gedankenlesen, Schweben, Erscheinen, Verschwinden usw. ist immer gleich groß, da verändert auch das digitale Zeitalter nichts. Wenn technische Methoden und Erklärungen ausgeschlossen werden können, sind wir doch wieder bei Null.

ESSL: Umgekehrt sind wir Zauberer auch vom digitalen Zeitalter fasziniert. Auf unserem Blog versuchen wir die Möglichkeiten der digitalen Welt für uns zu erschließen. Da können die Besucher selbst eine Münze verschwinden lassen und Peter wird demnächst erklären, wie Uri Geller Löffel von den Fernsehgeräten der Zuseher durchs Zimmer fliegen lässt.


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