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Kultur

Der Philosoph mit dem Metal-Hammer

Was ein Metal-Geschwader aus Weimar mit Nietzsche zu tun hat

  Der Philosoph mit dem Metal-Hammer | Was ein Metal-Geschwader aus Weimar mit Nietzsche zu tun hat

Heute in Heavy Celeste, der Metalkolumne: Nietzsche als Antwort auf das neue Album der Apokalyptischen Reiter.

»An Göttern wollen wir uns messen – nach Höherem streben lebenslang.« Nein, das ist nicht Friedrich Nietzsche, der hier »alle Zweifler lügen strafen will« und nach »Herrlichkeit« strebt. Das könnte aber aus seiner Feder stammen, immerhin hinterließ er Einsichten wie: »Ich weiß keinen besseren Lebenszweck, als am Großen und Unmöglichen ... zugrunde zu gehen.«

»Bist du Hammer oder Amboss?«, fragen die Apokalyptischen Reiter und Nietzsche, der selbst ernannte Philosoph mit dem Hammer, scheint zu antworten. Nietzsches Denken – oder das, was dafür gehalten wird – ist ja häufiger das Thema in Metal-Songs, gerade in solchen, die sich für very evil und ganz böse halten. Sie stolpern aber meist schon beim Fantasieren vom Übermenschen in jene Fußangeln, die Nietzsches deutschtümelnde Schwester und in Folge Nazi-Interpretatoren ausgelegt haben. Allerdings steht dort nirgends solch unsäglicher Mist von Herrenrasse und Auslese, Volksgemeinschaft und vermeintlich höheren Kulturen, wie es die konservative Revolution gern hätte. Die Reiter leisten auch Verzicht auf den ganzen kollektiven Quatsch, den einige Metal-Bands trotz offensivem Misanthrophentums doch in die Welt posaunen, wenn sie von zweifelhaften Wir-Gruppen tönen, die sich in einer Schildfront gegen die Gegenwart stemmen sollen. Das ist der Apokalyptischen Reiter Sache nicht, da ist ihr Ansatz individueller – und da sind wir auch schon wieder bei Nietzsche. Denn dessen Denkbewegung lässt sich als radikaler Individualismus und Institutionen-Skepsis – den er selbst auch lebte oder leben musste, weil wenige mit ihm auskamen und er mit noch weniger Menschen – auf einen Nenner bringen. Und hier docken die Texte der Apokalyptischen Reiter an. Aus ihren Liedern spricht ein fröhlicher Anarchismus, dem die Sonne gleißend aus dem Arsch scheint.

Schon auf ihren früheren Platten schrie der werte Herr Nietzsche aus den Zeilen – auf »Moral und Wahnsinn« scheint das noch überdeutlicher. Das mag lokale Gründe haben, stammen sie doch größtenteils aus Weimar, wo der Philosoph rund zehn Jahre geistig umnächtigt dahinsiechen musste. Wahrscheinlicher aber sind inhaltliche Gründe, denn wer über Moral und Wahnsinn sinniert, kommt an Nietzsche eigentlich nicht vorbei. Gerade er hat in seiner »Genealogie der Moral« die Sittlichkeit beklöppelt wie kaum ein Zweiter und gezeigt, wie der Mensch sich im Laufe der Jahrhunderte gezähmt und den Instinkt zur Freiheit abtrainiert hat. »Bist du Hammer oder Amboss / hast du dein Leben schon verlassen / ... kannst du noch lieben kannst du noch hassen«?

Es sind nicht gerade kleine Gefühle, die hier durchwalkt werden, aber das geschieht größtenteils ohne Pathos. Und wie Nietzsche seinen Zeitgeist, so spalten die Apokalyptischen Reiter als mit Sicherheit beste Metal-Band mit deutschen Texten die Szene. Einst als reine Black-Metal-Combo 1995 an den Start gegangen, haben die fünf schon bald verstärkt andere Elemente in ihre Musik aufgenommen. Neben Death und Thrash sind so auch immer wieder Folk-Fragmente zu hören, mal Ska-Anklänge und Chansonartiges. Da mag es Puristen zusätzlich auf den Zeiger gehen, dass die Reiter auch auf die szenetypische Theatralik auf der Bühne verzichten. Für diese mit Nieten gespickten und Kunstblut getränkten Auftritte hätte gewiss auch Ästhet Nietzsche viel Häme gehabt: »Schiffsladungen von nachgemachtem Idealismus, von Heldenkostümen und Klapperblech großer Worte«.

»Gib dir, was du brauchst:« Die neue Reiter-Scheibe ist eine knallige Ode ans Individuum und seine jeweilige Freiheit, ans Dasein und auch an eine gewisse Gelassenheit. Und selbst über den Denker mit dem Hammer hinaus zeigen ihre Texte philosophische Spitzen. So meint man zwischendrin sogar Michel de Certeaus »Die Kunst des Handelns« herauszuhören: »Ständig verlangt es nach neuer Kunst, auf lebhaften Untergrund. / Nur der Wechsel ist beständig, gib dir nach und bleibe wendig.«


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1 Kommentar(e)

Lucy 10.11.2011 | um 21:04 Uhr

Ich find dass hier die Metal-Szene ziemich verallgemeinert wird. Nicht jede Metal-Band schlachtet auf der Bühne gleich Schweine