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Kultur

Auf die Fresse geht anders

Unsere Metal-Kolumne Heavy-Celeste reist Dark Suns hörend durch Irland

  Auf die Fresse geht anders | Unsere Metal-Kolumne Heavy-Celeste reist Dark Suns hörend durch Irland

Keine Nebelkerzen: Bevor die Dark Suns ihre neue Platte persönlich im UT präsentieren, durfte unser Kolumnist schon einmal reinhören – eine Rezension on the road.

Mitten hinein in meine kurze Irlandauszeit platzt der Release von »Orange«. Nach ausgiebigem Hard-Work und Fein-Tuning legen die Leipziger Prog-Rocker Dark Suns ihr neues Album vor und zelebrieren die Veröffentlichung mit einem Live-Gig und Videodreh. Dank eines Internet-Cafés im westirischen Galway kann ich es mit auf meine weitere Reise nehmen. Während sich mir die nicht immer grüne Insel vielerorts in ihrer Mannigfaltigkeit offenbart, begleiten mich fortan die »Orange«-Waisen.

Im November nach Irland? Warum soll man nicht ausgerechnet im Nebelmonat auf die Insel fahren, wo hier doch das ganze Jahr kürzere Schauer niedergehen? Immerhin ist das Klima so mild, dass die Daheimgebliebenen an den Pleiße-Ufern frieren – ich nicht. Und da die sonst massenhaft ausgelatschten Touristenpfade derzeit out of order sind, kann ich meiner eigenen Wege gehen. So gesehen passt die experimentelle Scheibe der Darks Suns gut in mein Gepäck. Denn sie setzt in ihrem artifiziellen – nicht gekünstelten! – Gesamteindruck einen gewissen Kontrapunkt zur irischen Grundschwingung. Hier ist jeder Stein mit Historie und Mythologie aufgeladen, nach jeder Wegbiegung scheint sich die keltische Anderswelt aufzutun: Gold-lüsternd lacht der Lepracun, nebenan tanzen Feen aufreizende Reigen und dort spielen Riesen Bergeversetzen. In diese wunderschön-unwirkliche Landschaft rührt der Dark-Suns-Sound eine konkret urbane Komplementärfarbe. Dabei kommen nicht weniger sphärische Züge zum Vorschein, werden aber vom spielfreudigen Nachvorne-Drive insgesamt gedeckelt. Auch wenn sich irische Landschaft wie Musik im Vorhandensein der Serpentinen gleichen, die eine lebt vom Ruralen, die andere atmet eindeutig Stadtluft.

Auf Anhieb allerdings sprang der (er-)leuchtende Funke nicht auf mich über, ist die Scheibe doch insgesamt zu sehr im Midtempo-Bereich gehalten. Da lauert kein Gewaltakt, der einem Licht ans Fahrrad macht, auf die Fresse geht definitiv anders. Die feinsinnig verfrickelten Kompositionen gehen aber schon beim zweiten Abspielen auf, es zeigt sich Licht am Ende des Hörtunnels. Jedenfalls erschien mir zwischen kargen Klippen der Atlantikküste, in Wüstungen aus schroffen Felsengebilden, noch grünen Wiesen und bunt-modrigem Herbstlaub der Bauminseln vor dem inneren Auge ein klares »Daumen hoch«. Lässt man sich erst einmal vom zwischen fulminant-manisch und näselnd-retrospektiv pendelndem Opener »Toy« mitreißen, gerät man über E-Orgeln hinaus etwa in die fetten Sound-Gestade von »Elephant« oder den wechselvollen Langstreckenlauf »Antipol«. Anspieltipp: »This is Why They All Hate You in Hell«.

Während mir »Orange« so durch manche irische Nebelbank leuchtet, formen sich die zehn Stücke zum runden Ding aus einem Guss, wie die Silberlinge, die hier am Ende des Regenbogens begraben liegen sollen. Wer sich aber auf Legenden, also das Hören-Sagen nicht verlassen will, dem sei der Gang ins UT empfohlen. Denn mit Musik ist es oft wie mit dem Reisen – vor Ort respektive live macht man die besten Erfahrungen.


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