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Black Hole mit Hupen

Depesche aus Dhaka, Teil 1

  Black Hole mit Hupen | Depesche aus Dhaka, Teil 1

Sie ist unsere Frau in Bangladesh. Die Performance-Künstlerin Diana Wesser gibt in der Elf-Millionen-Stadt Dhaka einheimischen Künstlern einen Workshop zum Thema Performance im öffentlichen Raum. Und schreibt hier auch über ganz andere Schwierigkeiten. Heute: Über die Straße gehen.

Hupen sind Kommunikationsmittel. Das Wichtigste am Auto. Und die Klingel an der Rikscha. Ich frage mich, warum es hier überhaupt Ampeln gibt und Linien auf der Straße, die Spuren anzeigen, und warum doppelte Streifen, wenn sich doch keiner daran hält? Wer kam denn auf die Idee? Ein Überbleibsel aus der Kolonialzeit? Jeder fährt, wo er Platz findet, zur Not auf der Gegenfahrbahn. Ich hupe, also bin ich – dicht hinter dir oder biege gleich um die Ecke, mach schon mal Platz! Dem völlig verbeulten Bus vor einem sagt es: Achtung, da ist wer neben dir. Mir sagt es, dass ich mir auch für die Rikschafahrten Ohrstöpsel hätte einstecken sollen. Um die Straße zu überqueren, verwende ich eine Technik, die ich von einem Straßenhund in Bukarest abgeschaut habe: Ich warte so lange, bis ein Einheimischer die Fahrbahn überquert und hefte mich eng an seine Sohlen. Das klappt ganz gut. Verblüffend ist, dass der schlimmste Stau von Rikschas produziert wird. Es gibt gefühlte drei Millionen Stück davon, alle fantastisch verziert und alle gleichzeitig am selben Ort. Wirklich erstaunlich aber ist, dass es nach 23 Uhr schlagartig still wird. So still, dass ich die Ratten im Hof unter meinem Fenster hören und sogar ein paar Stunden bei offenem Fenster schlafen kann. Nachts weckt mich dann der Azan (bangladeschischer Muezzin), gegen 6 Uhr sind wieder erste Hupen zu hören und wenig später stimmt die übliche Kakophonie an.

[caption id="attachment_11874" align="alignleft" width="273" caption="Das Haus der Bloggerin"]Das Haus der Bloggerin[/caption]

Dhaka, das bedeutet Millionenmetropole, es bedeutet die größten Gegensätze, die man sich vorstellen kann, es bedeutet zuckersüßen Milchtee für umgerechnet sechs  Cent und Leckereien an jeder Straßenecke, Toiletten ohne Toilettenpapier, dafür mit Wasserkännchen, Essen mit der (rechten) Hand – und es bedeutet Dauerhusten. Was gemäßigter Islam bedeutet, habe ich auch schnell erfahren: Wodka und Whisky. Das eigentliche Herz der Stadt schlägt in Old Dhaka. Ein Labyrinth aus verschlungenen Gassen mit winzigen Läden und Werkstätten und Passagen, in denen ein Stoffhändler neben dem anderen sitzt. Am Ufer des pechschwarzen Buriganga Rivers werden gigantische Säcke voller Zwiebeln, Knoblauch und Lauch in die offenen Lagerhallen transportiert und die Gewürzhändler sitzen auf ihren duftenden Säcken voller Chilischoten und Gelbwurz. In der Hindu Street finden die örtlichen Hindus alles, was sie für ihr tägliches Leben brauchen. Goldene Hüte und Blumenketten, Musikinstrumente und einen kleinen Tempel.

Das Thema Armut spaltet. Mitunter wird hier ein materieller Reichtum zur Schau gestellt, wie ich ihn noch nie gesehen habe. Es gibt ein paar Menschen, die sind so unfassbar reich! Und andere unfassbar arm. Seltsamerweise klagt so mancher Reiche am lautesten und sieht sich als hilfloses Opfer, das nichts tun kann. Wenn ich dann sage: Hör doch zum Beispiel auf, deinen Müll einfach auf den Boden fallen zu lassen, bekommen die Gesichter einen klassischen »Uuups«-Ausdruck.


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