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Kultur

Dosenöffner für die Kolonialismus-Konserve

Das subjektive Objekt: Eine Sonderausstellung im Grassi Museum für Völkerkunde zeigt, wie sich der Mensch Bilder vom Anderen macht(e)

  Dosenöffner für die Kolonialismus-Konserve | Das subjektive Objekt: Eine Sonderausstellung im Grassi Museum für Völkerkunde zeigt, wie sich der Mensch Bilder vom Anderen macht(e)

»Konserven des Kolonialismus« hat der Kunsthistoriker Christian Kravagna die ethnologischen Museen einmal genannt. Ihre Sammlungen sind zumindest im Ursprung imperialistisch motiviert und unter dem Erkenntnisinteresse entstanden, die vorausgesetzte Andersartigkeit der Menschen anderer Weltregionen zu dokumentieren. Wie geht man mit diesem Erbe um? Welches Selbstverhältnis und welche Selbstkritik sind angesichts dessen angebracht? Auch das Museum für Völkerkunde im Grassi-Komplex stellt sich diese Fragen – die jüngst eröffnete und unter der Zusammenarbeit mit HGB-Studierenden entstandene Sonderausstellung »The Subjective Object. Von der (Wieder-)Aneignung anthropologischer Bilder« versucht eine Antwort. Und diese fällt hochspannend aus.

Am Beispiel des deutschen Anthropologen und Rassentheoretikers Egon von Eickstedt (1892–1965) stellen die Teilnehmenden des Masterkurses »Kulturen des Kuratorischen« museale Repräsentationen und exotisierende Fremdzuschreibungen in Frage. Das Grassi Museum stellte ihnen hierzu sein Archiv mit cirka 12.000 Fotos zur Verfügung, das Eickstedt 1929 von seiner Deutschen Indien Expedition mitbrachte. Deren Ziel formulierte der später im Nationalsozialismus einflussreiche Forscher wie folgt: »Die anthropologische Erforschung der indischen Primitivvölker und das Studium ihres Zusammenhangs mit den benachbarten Halbkulturvölkern«. Das seiner Sammlungs- und Forschungspolitik zugrundeliegende Othering, also das Hervorheben der eigenen Gruppe und Gemeinschaft durch Abgrenzen und Herabsetzen anderer, klingt hier klar heraus.

Mithilfe dreier Strategien beschäftigt sich die Ausstellung mit Eickstedts Sammlung. Einerseits werden Museum und Archiv als Orte der Ordnung und des Othering beleuchtet, treten Depot und Diskriminierung, (Mensch-)Jagen und Sammeln als Aspekte der Wissensproduktion in Erscheinung. Zweitens wird die Situation der Adivasi, der indischen indigenen Bevölkerung Indiens, der Eickstedts besonderes Interesse galt, in der Gegenwart dargestellt: Wie leben sie in einer – vermeintlich – post-kolonialen Welt? Und drittens werden künstlerische Positionen vorgestellt, die sich dem Othering, dem angeblich Fremden/Eigenen und identitären Prozessen widmen.

Diese drei Komponenten führen zu einer experimentell interessanten Schau, deren Grundhaltung allein schon ein Lob auszusprechen ist. Eickstedts Fotografien bleiben eine Leerstelle, sie sind nur in ausgestellten Publikationen zu sehen, die sich kritiklos dieser Illustrationen bedienten. Das ist ein Clou, der den voyeuristischen Blick bricht. Durch die, sagen wir, eigenwillige Nutzung der Museumseinrichtung wird die Strategie unterstützt. Nicht abgeschlossen in Vitrinen, damit museal beglaubigt und als Objekt der Schaulust legitimiert. Sehenswert: »The Subjective Object« ist der Dosenöffner für die Kolonialismus-Konserve.


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