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Stachel des kritischen Filmerauges

Ökonomieklemme und Krise der Demokratie: Politisches beim Dok

  Stachel des kritischen Filmerauges | Ökonomieklemme und Krise der Demokratie: Politisches beim Dok

Die Programm- und Wettbewerbsbeiträge sind wieder politischer als in den Jahren zuvor. Eine Auswahl.

Wie weit kann ein Unternehmen gehen, um seine Marke zu schützen? Reicht sein Einfluss so weit, einen kritischen Dokumentarfilm von einem Filmfestival zu verbannen? Nach Sichtung von »Big Boys Gone Bananas« (SE 2012) muss man das bejahen. Der Obst-und-Gemüse-Multi Dole kämpft gegen einen kritischen Dokumentarfilmer: Was nach einer klassischen David-gegen-Goliath-Story klingt, ist in Wahrheit weit mehr. Es geht um das Grundrecht der Meinungs- und Pressefreiheit, das durch einen Großkonzern in Frage gestellt wird. Mit einer millionenunterfütterten Drohkulisse und Negativpublicity erzwang Dole, dass »Bananas!« aus dem Wettbewerb des Los Angeles Film Festivals flog.

Insofern ist »Big Boys Gone Bananas« paradigmatisch für DOK Leipzig. Könnte ein Konzern oder eine Regierung hier nicht ebensolchen Druck gegen einen unliebsamen Film aufbauen? Anlässe gäbe es wohl genug. Denn nach Jahren, die in puncto politischem Dokumentarfilm eher mau ausfielen, ist der Stachel des kritischen Filmerauges 2012 wieder öfter vertreten.

So holt »Isqat al Nizam« (IT 2012) Erkundungen an der syrischen Grenze ein und berichtet von Flüchtlingsbewegungen und Anti-Assad-Aktivitäten. Entstanden ist eine zeitnahe Erzählung der Geschehnisse, die die Welt weiterhin bewegen, zusammengesetzt aus Bildern, die oft unter Lebensgefahr entstanden sind. In der leichtfüßigeren Doku »Stremt 89« (RO 2012) erzählen Zeitzeugen vom Herbst 89 in den Karpaten, von Alkohol und Revolution. Die Veränderung politischer Verhältnisse ist auch das Thema von »Winter, Go Away!« (RU 2012), der Momentaufnahmen der Anti-Putin-Bewegung zusammenbringt. Dieser Überblick rückt den derzeitigen Fokus etwas weg von Pussy Riot, die natürlich im Film nicht fehlen, und öffnet ihn für die vielfältigen Protestformen. Da, wo sich nichts regt, gibt es kein Morgen und kein Leben: Wir leben in einer Zombie-Zeit, meint der Film »Project Z: The Final Global Event« (US 2012). In einer Zeit, wo jedes Nein schon als Widerstand gilt, es keine Gegner, nur noch Targets, keine politischen Ziele, sondern lediglich die Abwehr aller Veränderung gibt, wird der Untote zum Zeitgeistsymbol. Wie werden Feinde in Hochzeit von Militär und Unterhaltungsindustrie konstruiert? Welche Rolle spielt die Simulation in dieser »Zombie-Version des Kalten Krieges«, wie ihn ein Interviewter nennt? Dass neben Militär- und Technikexperten auch Theoretiker wie Michael Hardt zu Wort kommen, verleiht dem Film einen aufschlussreichen Überbau.

Zudem würdigt DOK Leipzig mit vier Filmen das 25-jährige Jubiläum des ältesten Dokumentarfilm-Sendeplatzes in den USA. »POV«: Das heißt »Point of View«, subjektive Sehweisen sind also gewollt. Immerhin bedeuten diese Horizonterweiterung. Denn wenn man von Dingen nicht einmal ansatzweise weiß, sind die Grenzen der Imagination – und Veränderung – schnell erreicht. Ein erschütterndes Beispiel hiervon gibt Shin Dong-hyuk in »Camp 14«. Er wurde in ein nordkoreanisches Straflager hineingeboren, lebte 23 Jahre dort, wo jeder Regelverstoß mit dem sofortigen Tode bestraft wird, bevor er fliehen konnte. »Ich habe vermutet«, berichtet er, »dass es da ein Land Nordkorea gab und eine größere Welt. Aber ich habe sie mir genau so wie das Arbeitslager ausgemalt. Ich konnte mir einfach nichts anderes vorstellen. Ich konnte ja nicht hinter die Zäune schauen.«


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