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Kultur

Möller lässt sich mögen

Eine persönliche Auseinandersetzung mit dem Polenversteher

  Möller lässt sich mögen | Eine persönliche Auseinandersetzung mit dem Polenversteher

Lange Zeit hatte unser Polen-Korrespondent Bernd Adamek-Schyma mit dem deutschen Polenversteher, Schauspieler und Entertainer Steffen Möller so seine Probleme. Aber dessen neuestes Buch »Expedition zu den Polen – Eine Reise mit dem Berlin-Warszawa-Express« hat ihn zum Fan werden lassen.

»Keine Angst, du kannst das Buch von dem Möller lesen. Ist überhaupt nicht peinlich und sogar witzig!«, beruhigt mich meine Bekannte Violetta, die gerade vorkostet. Sie versteckt sich erneut hinter dem Einband mit Pilzen, Pantoffeln und Kuttelsuppe und lacht immer wieder erschreckend laut auf: »Genau so ist das! Er hat recht!«

Zugegeben, ich hatte meine Zweifel. Offen gesagt, war ich nie ein Fan des Kabarettisten, Schauspielers und Entertainers Steffen Möller – obwohl ich ihm dankbar sein sollte, denn Möller ist vielleicht der bekannteste, viele sagen: der sympathischste und hellste, vor allem aber (und das weiß ich nach der Lektüre des Buches) ein durchaus witziger Botschafter und Vorzeigelandsmann für auswanderungswillige Deutsche meiner Generation in Polen. Dennoch hatte ich meine Probleme mit ihm, oder sagen wir: Ich hatte meine Probleme mit der Popularität, die Steffen Möller in Polen genießt.

Während meiner ersten Jahre als Gastarbeiter in Polen, die ich Anfang der 2000er Jahre, keine vierhundert Kilometer von Leipzig entfernt, in der schönen Stadt Breslau verbrachte, wurde ich immer wieder auf diesen Deutschen, diesen »Stefan Müller« angesprochen. Damals spielte Möller in der polnischen Soap »M jak Miłość« (»L wie Liebe«) einen deutschen Kartoffelbauern namens Stefan Müller, der nach Polen kommt, um Erdäpfel für die Pommesproduktion anzubauen. Er spielte diesen Pommesbauern ganze sechs Jahre, bis 2008. Nebenbei war er stets gut gelaunter Dauergast in der Unterhaltungs- und EU-Beitrittsvorbereitungs-Show »Europa lässt sich mögen« und hat sein eigenes Kabarettprogramm, in dem er die Deutschen ebenso wie die Polen auf die Schippe nimmt.

Erst Möller auf allen polnischen Sendern, dann kam sein Buch, das sich ziemlich gut verkaufte. Es hieß »Polska da się lubić«, (»Polen lässt sich mögen«). Doch es war umgekehrt: Spätestens jetzt schien ganz Polen Möller zu mögen. Kein Wunder, dachte ich mir mit der nachlässigen Ignoranz eines Einwanderers im gelobten Land Johannes Pauls II: Möller hat ja Theologie studiert! Zwar evangelische, aber immerhin. Darauf stehen die Polen. Und dann kommt er noch aus Wuppertal, und zwar, ja genau, aus einer Theologenfamilie! Da kann es mit dem Humor ja nicht weit her sein. Doch in jedem polnischen Nest, das ich besuchte, hörte ich, nachdem ich mich als Deutscher geoutet hatte: »Steffek!« Wie sympathisch er sei und wie hübsch. Und wie intelligent. Und wie schlagfertig und witzig. Auch die wenigen Serienjunkies unter meinen Bekannten schauten »L wie Liebe« und klopften mir als eine Art Stellvertreter Möllers auf die Schulter.

In seinem neuen Buch »Expedition zu den Polen« berichtet Möller für zukünftige Gastarbeiter oder Polen-Reisende von seinen Erfahrungen in dem Land jenseits der Neiße – und begegnet auf der Zugfahrt von Berlin nach Warschau einer anderen Art von Fans der Serie: »Die schon etwas älteren weiblichen Fans von M jak Miłość«, berichtet er, »sind stark wie Löwinnen und irrsinnig schnell beleidigt. In meinem Fall kompliziert sich die Situation noch dadurch, dass ich ein Deutscher bin. Sobald ich mich von einer etwas abweisenderen Seite zeige, heißt es sofort: Aha, jetzt schlagen die Gestapo-Gene durch!«

Möllers »Expedition zu den Polen« behandelt urkomisch überzeichnet die vielen Seltsamkeiten, denen man in diesem Land begegnet – wie zum Beispiel dem nach außen hin demonstrativ kommunizierten Fatalismus: »In der Öffentlichkeit gilt konsequentes negative thinking, und das heißt: schonungsloser Realismus mit einer kräftigen Prise Depression. Wenn jemand lächelt oder gar fröhlich pfeift, ist das ein Zeichen dafür, dass er ein Spinner ist und sich in psychiatrische Behandlung begeben sollte. Er hat eine Grundtatsache nicht kapiert, nämlich dass Polen ein furchtbares Land ist, in dem man am besten das Steuerzahlen verweigern sollte, da man vom Staat auch keinerlei Gegenleistung geboten bekommt. Die Schulen sind schlecht, die Straßen sind schlecht. Die Politiker ebenso, und die Zuckerpreise haben schon wieder angezogen.«

Anfang der neunziger Jahre studierte Möller Philosophie in Berlin, was vielleicht der Grund dafür ist, dass seine Beobachtungen selten bis nie in reinen Klischeeklamauk abgleiten. Das Buch ist durchzogen von einer angenehm ironischen, philosophisch-analytischen Note: »Diesen polnischen Fatalismus darf man keinesfalls mit schopenhauerischem Fundamentalpessimismus verwechseln. Es geht nicht um das irdische Jammertal als solches, sondern um nationale Selbstkritik. Nicht die Welt, nein: Polen ist schlecht. Genauer gesagt, der real existierende polnische Staat. Polen als reine Idee dagegen – Polska! – ist heilig und des letzten Blutstropfens wert.«

In seinem Buch blickt Möller auch auf die absurden Liebenswürdigkeiten, denen man in dem großen, schönen und sich rasend schnell verändernden Nachbarland auf Schritt und Tritt begegnet. Eine dieser Sonnenseiten ist die Kultur der Komplimente, der man als leicht verstockter Deutscher hoffnungslos ausgeliefert ist, denn, so Möller: »In der deutschen Sprödigkeitskultur sind Komplimente entweder eine Schleimerei oder eine sexuelle Belästigung.«

Leider hörte ich meinerseits von einer schon weit über achtzig Jahre alten Nachbarin meiner zukünftigen Ehefrau als einziges Kompliment, dass ich ja auch so ein braver und hübscher Junge sei wie dieser Stefan Müller. Ich war mir aber gar nicht sicher, ob sie das wirklich als Kompliment gemeint hatte und konnte das auch nicht überprüfen. Ich empfing kein »L wie Liebe« oder »Europa lässt sich mögen«, denn die Antenne auf dem Dach unseres Breslauer Mietshauses war kurz nach meiner Ankunft in einer Sturmnacht umgeknickt.

Hätte es doch damals schon Möllers Buch gegeben! Dann hätte ich gewusst, dass ich mir den deutschen »Schadenmelder-Reflex« ganz schnell hätte abgewöhnen und selbst aktiv werden müssen, also auf das Dach des viergeschossigen Hauses klettern und die Antenne eigenhändig aufrichten. In Polen löst man nämlich solche Probleme laut Möller auf folgende Art: »Wie verhält sich ein Musterpole, wenn er selbst einen Schaden bemerkt? Handelt es sich um einen Schaden im öffentlichen Raum, schlendert er gleichgültig weiter. Verantwortlich für den Schaden sind schließlich die da oben, die Politiker, Millionäre, Bischöfe und Mafiosi. Betrifft der Schaden die eigene Privatsphäre, behebt er die Sache selbst. Hier in diesem mürrischen Selbstreparieren, liegt der Grund dafür, dass es so viele geniale polnische Handwerker gibt. Die meisten von ihnen haben keinen regulären Handwerksberuf erlernt. Da es ihnen aber seit Kindertagen verboten ist, einen Schaden der Hausverwaltung zu melden, weil sie sich dort eh nur ein höhnisches ›No i co‹ (›Na und?‹) abholen würden, können sie alles eigenhändig reparieren. Ehrwürdige Uniprofessoren verfugen problemlos eine abgebrochene Fliese neu, sensible Hair-Stylisten verlöten Elektrokabel besser als mancher deutscher Profi.«

Also verbrachte ich meine ersten Polenjahre ohne terrestrischen Empfang. Als Ersatz nutzte ich die wenigen und kurzen Pausen zwischen den Mahlzeiten im schwiegerelterlichen Haus zum Fernsehen und sah mir Steffen Möller als Kartoffelbauer Müller an. Ich war beruhigt. Erstens sah der Mann tatsächlich nicht schlecht aus, zweitens war er auf eine sympathische Art selbstironisch, schlagfertig und witzig, und drittens konnte er sogar singen! Auch war er kein schleimiger Dauergrinser oder Möchtegernkomiker. Er spielte vermutlich mehr oder weniger sich selbst.

Erleichtert schloss ich meinen Frieden mit Möller und legte das Thema ad acta. Selbst als Möllers erstes Buch »Polen lässt sich mögen« in Deutschland unter dem Titel »Viva Polonia« auf der Spiegel-Bestsellerliste auftauchte, ließ ich 300.000 anderen Lesern den Vortritt. Daran änderte sich auch nichts, als das Phänomen Möller schließlich doch noch von deutschen Journalisten entdeckt wurde. Seine sich nun auch in Deutschland rasant entwickelnde Kabarett- und Autorenkarriere verfolgte ich nur am Rande.

Gott sei Dank aber gibt es ja nun Möllers zweites Buch. Denn hier wird der chronologische Erzählrahmen der Bahnfahrt von Berlin nach Warschau mit seinen vielen Anekdoten immer wieder durchbrochen von Ausflügen in die Landeskunde: historische Eckdaten, unglaubliche, aber wahre Statistiken oder beliebte polnische Firmennamen mit Affix »Pol« oder »Ex«. Sehr nützlich sind jedoch seine Anmerkungen zur polnischen Sprache, zum Beispiel die Deklination des Namens seines Mitreisenden, des schamlos über seine eigenen Polenwitze lachenden Doktor Harald Schwechtersheimer aus Krefeld, Prokurist einer deutschen Schokoladenfirma. Sein Name lautet im siebten Fall (dem Vokativ): »O Doktorze Haraldzie Schwechtersheimerze«.

Dann gibt es Anleitungen zum Polnisch lernen, eine Liste immer und überall zu hörender Füllwörter (»O o o o!«) oder Tipps, wie man sich in Polen am besten in eine rasante, aber mit einem Übermaß an emotionaler Intelligenz geführter Diskussion einschaltet: »Jeder ist kompetent, jeder weiß Bescheid, jeder hat Vorfahrt, jeder bildet sich ein, die Meinungen der Gegenseite schon nach drei Worten zu kennen. Argumente verbrennen im polnischen Kessel wie Stroh. Keiner lässt den anderen ausreden, alle fallen sich gegenseitig ins Wort.« In besonders hitzigen Diskussionsrunden hilft laut Möller nur das no-go-Zauberwort, ein beherztes: »Kurwa, teraz ja mowię!«

Die dann und wann auftauchenden sprachlichen Ungenauigkeiten, ungelenken Formulierungen oder überflüssigen Situationsbeschreibungen à la »Und jetzt schiebe ich die Tür zum Speisewagen auf« verzeiht der Leser dem Steffen Möller auf seiner Expresszug-Expedition gerne. Möller ist nun einmal Entertainer und gerade das Fehlen literarischer Momente, das muntere Drauflosplappern und spitzbübische Verallgemeinern sind ein Vorausecho des kurzweiligen Spaßes, den ein Abend mit dem Kabarettisten Steffen Möller verspricht.

Wer sich also auf witzig-intelligente Art den Spiegel vorhalten lassen und in die eigenen kauzig-kulturellen Abgründe blicken möchte, während er den Nachbarn jenseits der Oder beim Nationalsport Pilzesammeln zuschaut, wer etwas zum deutschen Geiz, zur polnischen Pantoffelkultur oder einfach nur Fakten statt Verschwörungstheorien zur Katastrophe von Smolensk hören möchte, ist bei Möller goldrichtig.

Und auch für die, die es deftig mögen, hat Möller etwas im Gepäck: klassische und überhaupt nicht politisch korrekte Witze und Schenkelklopfer zum Beispiel. Und sollten Möllers Darbietungen live im Gewandhaus am 25.11. dann und wann doch mal nicht so zünden wie auf dem Papier, dann machen wir den polnischen Abgang und verlassen den Berlin-Warschau-Express schon in Warszawa Centralna statt erst am Ostbahnhof – und Tschüss, oder wie die Polen sagen: »No to pa!«


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