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Heavy Celeste

»Die größte Scheiße heißt unpolitisch«

Diesmal in der Metalkolumne: Love Metal, Hate Facism und eins auf die Fresse

  »Die größte Scheiße heißt unpolitisch« | Diesmal in der Metalkolumne: Love Metal, Hate Facism und eins auf die Fresse

Wutschnaubende Gelassenheit: Von den Israelis Arallu kann man Einiges lernen. Satan sei Dank kommen sie bald mal rum.

Once upon a time in Jerusalem ... Ziemlich genau vor drei Jahren durfte ich das Theater der Jungen Welt auf ein Tel-Aviv-Gastspiel begleiten. Für einen halben Tag machten wir einen Ausflug nach Jerusalem und das war wirklich verrückt. Diese Mauern, um die sich seit Jahrtausenden Menschen streiten, heulen, massakrieren. Felsendom und Klagemauer, Via Dolorosa und Grabeskirche. An jeder Ecke standen Holzkreuze – fühlte mich ans »Leben des Brian« erinnert (»Jeder nur ein Kreuz«) –, schoben sich Religiöse aller Sorten durch die enge Altstadt, wo mir die Händler eher Mammon-bewegt allerlei Tinnef aufschwatzen wollten. Einen Metal-Shop fand ich da natürlich nicht. Ein solcher hätte in der allerheiligsten aller Altstädte wohl einen schweren Stand gehabt. Zurück in Tel Aviv dann wurde ich fündig und erstand den richtigen Sound dieses Trips. Arallus »The War On The Wailing Wall« war der beste Black-Thrash-Schrubber, um mich vom Matsch der vielen religiösen Gefühle zu befreien. Muss mir ja nicht so nahekommen, was andere für ihre frommsten Pflichten halten.

Mit den Beinen durchs warme Mittelmeer stapfend, Arallu scheppernd im Ohr und ein Bierchen dabei – Tipp: Goldstar ist süffig-malzig –, konnte der Welt-, ähm: Sonnenuntergang kommen. Warum ich das erzähle? Nun, einerseits schlagen Arallu bald live in Leipzig auf und das hat Seltenheitswert. Es ist erst das zweite Mal, dass die Jerusalemer zur Dämonenbeschwörung in Deutschland sind. Den 31. Oktober kann sich also schon mal ankreuzen, wer auf unpoliertes Schwarzeisen mit allerlei Korrosionsstellen steht, die notdürftig mit Damast-Flicken ausgebessert und mit Thrasher-Attacken veredelt sind. Andererseits erinnerte ich mich an die Band und die von ihr versprühte wutschnaubende Gelassenheit, als kürzlich wieder so eine True-Metal-Diskussion losging. Da tobt ein Krieg zwischen den Weltreligionen und die Band zuckt mit den Schultern: Satan wird schon noch aufräumen. Eine entspanntere – und zugleich kritisch-distanzierte – Haltung kann man am Hot-Spot Jerusalem kaum einnehmen, das ist Zynismus, Ignoranz und großer Kommentar in einem. So kann man im Metal auch mit der Welt umgehen. Aber dann gibt es ja die Kleingeister, die sofort rumheulen, wenn etwas nicht in ihr enges Weltbild passt.

»Nur in der BRD gibt es ein derartig krankes Gutmenschentum. In anderen Ländern gibt es noch echte Metal Festivals!« Wo Nazi-/Grauzonenbands mal so auftreten dürfen, sicher, dann erst der Metal bei sich ... Das Zitat stammt von der Facebook-Seite »Wacken ist kein Heavy Metal«, die einen Tag nach dem Wacken-Open-Air in die Welt der Zeitstrahlen und empfohlenen Seiten ploppte. Der konnte man ja grundsätzlich zustimmen: Zu groß, zu viele Leute mit wenig Interesse an der Mugge, ein Ballermannspektakel etc. Ja, Wacken ist für viele Metaller nicht mehr der Fall. Damit hätte man die Seite als Statement stehen lassen können, eventuell liken und gut. Nur entpuppten sich die Verantwortlichen alsbald als wahre »Trve«-Fraktion. Homosexuelle hätten nichts zu suchen beim Metal, Spaß à la Porn-Grind-Kreisverkehre auch nicht. Wenn »linke« Bands wie Kreator auftreten dürfen, müsste man zum Ausgleich mindestens auch Absurd ranlassen – alles andere sei Zensur. Überhaupt sei die ganze Metal-Welt verseucht von »Political Correctness«, Toleranz-Geschwafel, »Gutmenschentum« und »Kulturmarxismus«. Das sei kein Metal, denn der sei eben unpolitisch. – »Die größte Scheiße heißt ›unpolitisch‹«, pfeife ich mir mit ...But alive einfach eins auf so viel Dummheit. Schön, wie »Man wird ja noch mal sagen dürfen«-Attitüden sich einmal mehr als unpolitisch wähnen. Arme Opfer, denen man ihr Lieblingsspielzeug Provokation – »ist alles unpolitisch« – weggenommen hat. Spacken braucht der Metal auch nicht. »You suffer!«

Ich dreh dann mal lauter, auf dass ich das Gejammer nicht mehr hören muss. Immerhin braucht’s in LE so eine Un-Politik-Diskussion nicht, gibt’s nen Konsens, dass Nazis halt Scheiße sind und gut. Da muss keiner von aufgezwungen und »Politik muss draußen bleiben« reden. Will einfach keiner und gut – dafür habe ich neulich in Erfurt für mein »Love Metal – Hate Fascism«-Shirt fast von »Metallern« auf die Fresse bekommen, so Typen in New-Balance-Tretern und selbst gestochenen Slaytanic-Wehrmacht-Tattoos nahmen das wohl zu wörtlich. Auch das ist Thüringen. Bevor ich zum unpolitischen Biertrinken abrausche, sei noch ein Hinweis auf die nächste Runde von »In Semper Diabolica« erlaubt. Die Metal Headz haben unter anderem Chapel of Disease, Alchemyst und Arroganz für Extrem-Metal-Amalgan eingeladen – allerdings ins Werk 2, ein »linksradikales Zentrum«, wie es auf Nazi-Seiten schon mal heißt. Ach, man kann es echt nie allen Recht machen. Slainte.


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