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Heavy Celeste

Därme fressen und kaputte Helden

Heute in der Metalkolumne: Lichter, Völker und Fleisch

  Därme fressen und kaputte Helden | Heute in der Metalkolumne: Lichter, Völker und Fleisch

Maximale Mobilmachung: Während Lichtfest und Völkerschlacht im Gedärm der Geschichte wühlen, drängen die Metalheadz zeit zehn Jahren brachial nach vorn.

»Nur soweit die Historie dem Leben dient, wollen wir ihr dienen: aber es gibt einen Grad, Historie zu treiben, und eine Schätzung derselben, bei der das Leben verkümmert.« – Nur versessen auf die Geschichte zurückzuglotzen war für den Philosophen mit dem Hammer, Nietzsche, die feine kritische Art. Gegen das verbreitete Monumentalisieren und Konservieren der Geschichte grenzt er eine »kritische Historie« ab, derer man sich im Auge des anstehenden Gedenkorkans wieder erinnern sollte.

Wieder am 9.10. machen die Letzten das Lichtfest an, eine Woche später tobt dann tagelang der Trubel zum Doppeljubiläum: Völkerschlachten und für diesen hingerotzten Betonklotz. Man stellt mit 6.000 schnieke geschneiderten Herren ne Schlacht nach, deutet den erbrochenen Haufen Nationalismus als Freiheitsdenkmal um und stellt Pisstöpfe um 1800 aus. Wer möchte bei so viel Erinnerungskitsch und Standortförderungs-Standgebläse nicht »Därme fressen« (Disaster K.F.W.)?

Geschichte nicht als Aufklärung, sondern als Identitätskleister und Tourismusmagnet, mehr darf’s nicht sein. Dann ist ein Heimatverein aus Bad Dürrenberg schon ehrlicher, der ernsthaft behauptet: »Kriegsdenkmäler sind erlebbare Geschichte.« Griff die Kirche früher zu Jubeljahren, um dann und wann den speziellen Sündenablass und Seelenfriedenrabatte zu ermöglichen, so entfalten Jubiläen ihre heilige Kraft heute besonders im Profanen. Geschichtsprojektionen frischen an jedem Ehrentag neu das zeitgenössische Selbstbewusstsein auf, wirken erbaulich und als Rückversicherung, auf dem richtigen Pfad der Geschichte zu wandeln. (Wurde nicht erst vor ein paar Jahren Arminius zum »ersten Deutschen« erklärt?) Doch wohin eigentlich? Angesichts all der anni domini, die nicht dem Vergessen anheimfallen dürfen, verschwimmt die Gegenwart samt ihrer Verhältnisse. Bei aller Fixiertheit auf die Sternstunden des Zeitstrahls verliert sich das Bewusstsein, dass dieser noch nicht abgeschlossen ist.

»Firework and Smokebombs«: Trotzig stemmt sich immerhin ein Bündnis aus Wissenschaft und Kunst gegen ein naives Doppelschlaggedenken. An vielen Orten wollen sie aufschlagen und die Freiheit einer kritischen Historie zeigen, die der olle Fritze, also Nietzsche, anpeilte. »Kaputte Helden« werden noch für eine Performance gesucht: Ein Zug aus Elenden, Verstümmelten, Fastzombies soll sich durch die Stadt ziehen, um den Vergessenen, dem kommenden Aas und Krähenfraß ein schmutziges Antlitz zu verpassen. Auf sie, mit Gebrüll.

Alle Überlebenden des »Fleisch-Festivals« können sich dann gleich bei der Aktion als kaputte Helden melden. Zwar feiert auch das Jubiläum, aber leise oder besinnlich wird es deshalb nicht. Seit zehn Jahren heizen die Metalheadz die Undergroundhölle ein und so soll es bleiben. Was im Markkleeberger Jugendclub Spinne 203 mit einem Konzert begann, hat sich prächtig entwickelt: Mit brutalst möglicher Regelmäßigkeit hämmert die Crew fast monatlich Underground-Konzerte wie Pflöcke in den blutdurstigen Szeneboden. Als Jubiläumsbombe wird Fleisch-Festival ohne Be- und Gehdenken hochgehen. Von den Old-Schoolern Priming Pressure (Leipzig), hier rinnt etwas Melodic ins tieftönende Grab, über die thrashig sägenden Krow (Brasilien) bis zum Brutal Death der Vivisektoren von Cytotoxin (Chemnitz) wird das ganze Genrearsenal abgefeuert. Dann knüppeln die Hühnergötter von der dänischen Nordseeküste Illdisposed alle noch stehenden Metalheadz nieder. Mehr Brutalbombast geht nicht – ganz ohne rührselige Beschwörung hundertausendfachen Därmefressens als Symbol der Freiheit.


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1 Kommentar(e)

Christian 06.10.2013 | um 18:10 Uhr

Herr Prüwer, der Artikel war ein Genuss. Danke!