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Kultur

Einem Hasen die Urkatastrophe erklären

Die Performer von Friendly Fire inszenieren Ezra Pounds »Cantos«

  Einem Hasen die Urkatastrophe erklären | Die Performer von Friendly Fire inszenieren Ezra Pounds »Cantos«

Ezra Pound wollte mit Lyrik einen Schutzwall gegen das Elend des 20. Jahrhunderts errichten und war doch mittendrin. Er machte Propaganda für die Faschisten, wollte als Antisemit vom Holocaust aber nichts wissen. Zugleich war er eine der literarischen Figuren der Moderne. Er sorgte dafür, dass James Joyce gedruckt wurde, gab T. S. Eliots »Waste Land« seine radikale Form und kürzte Ernest Hemingway die Adjektive weg. Um das Zeitalter der Extreme zu durchstehen und zu übersteigen, griff er auf Mythen, romantische und heroische Stoffe zurück – aber auch Klosprüche. In jahrzehntelanger Anstrengung goss er sie in seine dichterische Mammutarbeit »Cantos«, auf dass das Paradies irdisch werde. Doch das Bollwerk blieb Fragment, am Ende steht titanisches Scheitern. »That I lost my center / fighting the world.«

»Cantos. And America likes me« nutzt Pounds Scherbenhaufen als installative Auseinandersetzung. Dahinter steckt die Gruppe Friendly Fire, die mit Bertolt Brechts »Fatzer« bereits ein Schlüsselfragment des 20. Jahrhunderts theatral aufgeschlossen hat. Einen »Versuch, ans Ende der Nacht zu reisen«, nennt Friendly-Fire-Mitglied Michael Wehren die Pound-Interpretation. Dieser sei gerade deshalb so spannend, weil er eben nicht aufgeht, sei »deshalb so erschreckend, weil er noch tiefer in die Katastrophen des 20. Jahrhunderts führt.« Also arbeite man mit Pound und gegen Pound sowie mit Pound gegen Pound, um Schichten des Erfahrungsraums »letztes Jahrhundert« freizukratzen. »Uns interessiert diese Erfahrung. Aus Pounds extrem montierendem Schreiben ergibt sich schwerlich ein Weltbild. Aber wo der Text zerspringt, sagt er vielleicht mehr über die Wirklichkeit aus. Aber dennoch kann man dem Text nicht trauen.« Wie hat »Cantos«, das Pound als ergebnisoffenes Projekt begonnen hatte, so dogmatische und aggressive Züge annehmen können? Wie wurde er zum Faschisten-Fürsprecher, wenn er doch zuvor den Krieg verdammt hatte?

Weil Pound als Faschist und Antisemit vermintes Gelände ist, hat sich die Gruppe mit Joseph Beuys einen Spürhund gesucht, der ja nicht minder ambivalent ist. Daraus soll eine produktive Spannung entstehen, wenn sich der »Experte für Kojoten und Hasen« an Pounds Fährte heftet. Analog zu Beuys Aktion »Wie man einem toten Hasen die Bilder erklärt«, könnte man bei Friendly Fire sagen, so Wehren: »Wie erklärt man das 20. Jahrhundert? Und wie erklärt man das einem Hasen?« Und dass sich die italienische Fascho-Clique CasaPound auf den Dichter beruft, während sich hinterm Lofft die Nazi-Zentrale Odermannstraße 8 auftut, ist vielleicht auch kein Zufall.

Im Lofft hat Friendly Fire dafür einen assoziativen Museumsraum gestaltet, der frei bewegliche Geister, Zungen, Songs, Artefakte birgt. Nach zahlreichen Gesprächen, etwa mit der deutschen Pound-Übersetzerin Eva Hesse und einem Hasenzüchter, hat man diese Stimmen zu Inszenierungsmomenten verräumlicht. Begehbar wird so eine Welt kurz vor dem Crash und über ihn hinaus. – »I have tried to write paradise / Do not move / Let the wind speak / that is paradise. / Let the Gods forgive what I / have made / Let those I love try to forgive / what I have made.«


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