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Theaterkritik

Schräge Wege sollst du gehn

Akrobatik und Anmut: Mit »Schräge Wege« lassen Lofft und TdJW die Stadt tanzen

  Schräge Wege sollst du gehn | Akrobatik und Anmut: Mit »Schräge Wege« lassen Lofft und TdJW die Stadt tanzen

Eng schmiegen sich die Leiber aneinander. Auf einer Wippe am rechten Bühnenrand balancieren fünf Tänzerinnen und Tänzer zum Schlussbild an diesem Premierenabend. Wie auf »Das Floß der Medusa«, jenes in Öl festgehaltene Schiffbrüchigenschicksal, klammern sich die jungen Menschen aneinander und bilden eine vielarmige Skulptur. Doch markieren sie keine Bruchlandung. Vielmehr künden die verschwitzten Körper und strahlenden Gesichter vom gelungenen Ausgang einer bemerkenswerten Inszenierung. Bemerkenswert sowohl in ihrer Produktionsform, als auch Mischung der Disziplinen.

Die Krisenhaftigkeit des Stadttheaters ist Allgemeinplatz geworden. Unbekannte Wege müsse dieses gehen, neue Kooperationen solle es suchen, um sein Publikum zu finden. Nun hat das Theater der Jungen Welt (TdJW) dieses Problem gerade nicht. Der kommunale Kulturbetrieb hat eine Auslastung von über 90 Prozent. Und dennoch lässt sich das Team um Intendant Jürgen Zielinski nicht davon abbringen, »Schräge Wege« zu gehen. So heißt das erste gemeinsame Projekt mit dem Lofft, mit dem sich das TdJW ohnehin ein Haus teilt. Das Lofft ist als Spezialist für Koproduktionen – Stammpartner sind z. B. die Berliner Sophiensaele, mit denen jüngst auch das hiesige Schauspiel zusammenarbeitete – ein idealer Partner fürs junge Tanztheaterprojekt.

Bewegungen im urbanen Raum, die Stadt als Transitstrecke sowie Sehnsuchtsort sind die Stichworte, mit denen man »Schräge Wege« (Regie: Jana Ressel) skizzieren kann. Tanz trifft dabei auf Parkour, jene Fortbewegungsart, die Akrobatik und Turnen verbindet: Ein paar Break-Dance-Elemente haben sich eingeschlichen, Capoeira-Bewegungen deuten sich an. Die Bühne bildet eine einzige Schräge, die nach vorn hin abfällt. Mal werden Fotos von Schienen und Betonfluchten oder Filmsequenzen von Wald- und Fließenläufen auf ihn projiziert, mal ist der Tanzboden eine plane weiße Fläche. Nach einem eingangs wild-dynamischen Durcheinander, mit dem die tänzerischen Kombattanten ihre Wege im kreiselnden und springenden Sprint kreuzen, folgt das präzise Solo einer Tänzerin. Hart und zart: Die choreografische Vielfalt dieser Suchbewegungen wird gleich zu Beginn deutlich.

Etliche Szenen mit beeindruckenden Hebefiguren und aberwitzigen Duellen – kann man mit verknoteten Schnürsenkeln noch tanzen? –, Balanceakten und Gymnastikeinlagen, Soli, Duetten und Gruppenreigen später kann man erstaunt sein über das Bewegungskunstrepertoire des zeitgenössischen Tanzes. Von ein, zwei kleinen Synchronschwächen abgesehen, überzeugt die Szenenfolge durch Abwechslungsreichtum und Tempo. Ihre Dynamik und Körperlichkeit vermag auch die weniger Tanzbegeisterten anzusprechen. Da ist es verzeihlich, dass die Choreografie manchmal eine klare Linie zugunsten verspielter Tanz- und Bewegungslust vermissen lässt.

Warum aber die Tänzerinnen kurzzeitig zu Sprechtheaterschauspielerinnen werden müssen und phrasenhaft über die Macht der Perspektive sinnieren sollen, erschließt sich nicht. Das drückt ihre Leistungen kurzzeitig auf Schultheaterniveau, bis sie zum Glück alsbald wieder schweigen und in das verfallen, was sie können: tanzen. Bis zum Schlussbild ist man darum wieder versöhnt mit diesem gut einstündigen Mix aus Athletik und Anmut.


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