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Filmkritik

Geheimnisse noch und nöcher

Die Kinostarts im Überblick und was sonst noch so Filmisches in der Stadt geschieht

  Geheimnisse noch und nöcher | Die Kinostarts im Überblick und was sonst noch so Filmisches in der Stadt geschieht

Geheimnisse stehen diese Woche ganz oben auf der Kinoordnung: Zweimal geht es um Israel, wenngleich auf ganz unterschiedliche Weise. Blickt Tom Shoval in seinem Spielfilmdebüt »Youth« in Form eines Brüdergespanns, das einen dunklen Plan ausheckt, auf eine junge Generation, die mit ganz anderen Problemen zu kämpfen hat, als etwa die junge Deutsche Hannah, die in Julia von Heinz Culture-Clash-Komödie »Hannas Reise« auf ihrer Reise nach Tel Aviv auf ein Familiengeheimnis stößt. Licht ins Dunkel über das Oktoberfest-Attentat von 1980 will der Film »Der blinde Fleck« bringen. Florian Eichinger beschäftigt sich im zweiten Teil seiner Trilogie über häusliche Gewalt, »Nordstrand«, mit einem extrem dunklen Familiengeheimnis. Fernab der Geheimnistuerei gibt es gleich zweimal am Wochenende Stummfilme live: In der Reihe Welte-Orgel läuft »The Weel« von Abel Gance, ein Melodram aus dem Jahre 1923. Und das UT Connewitz zeigt den zwei Jahre jüngeren Eisenstein-Klassiker »Panzerkreuzer Potemkin«, der von der Berliner Formation ALP live begleitet wird. Für weitere Informationen einfach runterscrollen, unter den Neustarts gibt’s mehr dazu!

Jeden Tag nach der Schule folgt Shaul (Eitan Cunio) einer Mitschülerin, fotografiert sie mit dem Handy und lauert ihr an Straßenecken auf. Was anfangs wie eine heimliche Verliebtheit anmutet, lässt schon bald den Verdacht zu, dass Shaul ganz andere Pläne verfolgt. Selbst als sein älterer Bruder Yaki (David Cunio) vom Militärdienst nach Hause kommt und Shaul dringend rät, diese Fotos zu löschen, tappt der Zuschauer noch immer im Dunkeln. Einzig die Probleme, die sich zu Hause um den Küchentisch herum herauskristallisieren, lassen bald schon vermuten, dass hier nicht alles seinen gewohnten Gang geht. Die Eltern haben große Probleme, sich finanziell über Wasser zu halten. Um den sozialen Abstieg der Familie um jeden Preis zu verhindern, haben die Brüder einen Plan geschmiedet. Sie entführen Shauls Mitschülerin (Gita Amely). Regisseur Tom Shoval gibt in seinem Langfilmdebüt nicht viel über seine Protagonisten preis. Ganz allmählich fördert er zu Tage, was seine Figuren eigentlich herumtreibt. Vor allem das Brüder-Gespann, das hier ebenso sein Leinwanddebüt feiert, überzeugt durch ein reduziertes Mimenspiel, was der Geschichte zusätzlichen mysteriösen Nährboden verleiht. Dem Film gelingt es – und hier fordert Shoval einiges an Hintergrundwissen beim Zuschauer – auf subtile Weise immer mehr den Nahost-Konflikt in seine Geschichte einfließen zu lassen, der auch eine Jugend mit sich bringt, für die es selbstverständlich scheint, Waffen zu tragen. Der israelische Film war einer der Geheimtipps der letzten Berlinale!

»Youth«: 23.-26./28./29.1., Schaubühne Lindenfels

In ihrer Kindheit haben die Brüder Marten (Martin Schleiß) und Volker (Daniel Michel) schreckliche Dinge erlebt. Volker wurde vom Vater (Rainer Wöss) missbraucht und Marten sah tatenlos zu. Viel zu spät und gewaltsam bereitete die Mutter (Anna Thalbach) den Gewalttaten schließlich ein Ende. Nach dem Tod des Vaters und Jahren der Funkstille treffen die Brüder im verlassenen Elternhaus an der Nordsee wieder aufeinander. Florian Eichinger arbeitet äußerst zurückhaltend die Erinnerungen auf, was dem Film eine ungeheure Kraft verleiht und den Fokus auf die komplizierte Brüder-Beziehung legt. Die zurückliegenden Ereignisse werden nicht zur Schau gestellt, Eichinger geht sachte vor beim Auffächern der dunklen Familienvergangenheit. Wie schon in seinem Debüt inszeniert er im zweiten Teil seiner Trilogie über häuslichen Missbrauch die Geschichte als kammerspielartiges Drama.

»Nordstrand«: ab 23.1., LURU-Kino in der Spinnerei

Bei Recherchen über das Oktoberfest-Attentat von 1980 stellt der BR-Journalist Ulrich Chaussy fest, dass die Ermittlungen dilettantisch geführt wurden. Er erlebt, wie die überlebenden Opfer des schwersten Anschlags in der Geschichte der Bundesrepublik den Glauben an die Gerechtigkeit verlieren. Aus dem Radio-Feature wird Chaussys Lebenswerk. »Der blinde Fleck« setzt sich über drei Jahrzehnte mit Ungereimtheiten und eklatanten Widersprüchen auseinander – und scheint schon jetzt einen Stein ins Rollen gebracht zu haben, folgt man der allabendlichen Berichterstattung. Einziges Manko aber scheint doch die allzu sehr in Fernsehoptik verfallene Ästhetik des Films.

»Der blinde Fleck«: ab 23.1., Passage Kinos

Die ehrgeizige BWL-Studentin Hanna (Karoline Schuch) möchte für eine Unternehmensberatung arbeiten, merkt aber schnell, dass ihr Lebenslauf noch eine entscheidende Lücken aufweist: Ihr fehlt ein nachgewiesenes ehrenamtliches Engagement. Hannas Mutter (Suzanne von Borsody), die eine Friedens-Aktion für Israel leitet, weigert sich jedoch, ihrer Tochter ein gefälschtes Zeugnis über einen Freiwilligendienst auszustellen und so muss Hanna widerwillig einen Job in einem Behindertendorf in Tel Aviv annehmen. Ein warmherziger und unterhaltsamer Film, der ganz ohne Zwang von Liebe und einem Familiengeheimnis erzählt und zugleich nach Verantwortung gegenüber der jüngeren deutschen Geschichte fragt.

»Hannas Reise«: ab 23.1., Schauburg

Der ehemalige DEA-Agent Phil Broker (Jason Statham) hat die Nase voll von seinem gefährlichen Beruf. Zusammen mit seiner neunjährigen Tochter Maddy will der Witwer sein altes Leben hinter sich lassen. Er zieht mit ihr in eine beschauliche Kleinstadt, doch so ruhig scheint dieses Städtchen gar nicht zu sein. Passable Action mit Jason Statham und James Franco.

»Homefront«: ab 23.1., Cineplex im Alleecenter

Für Fantasy-Fans: Adam (Aaron Eckhart), vor 200 Jahren von dem berüchtigten Dr. Victor Frankenstein (Aden Young) geschaffen, fristet sein Dasein in der Stadt Darkhaven. Doch plötzlich findet sich Adam im Mittelpunkt einer Auseinandersetzung zwischen Gargoyles und Dämonen. Wie er bald feststellen muss, kann seine Unsterblichkeit den Kampf um die Weltherrschaft beeinflussen. Doch nicht nur die Clans der Unterwelt interessieren sich für sein dunkles Geheimnis.

»I, Frankenstein« (3D): ab 23.1., Cineplex im Alleecenter, CineStar, Regina Palast

Was schief ging beim Polizeieinsatz, wird der Zuschauer nie erfahren. Aber nach seiner Genesung wird der dabei angeschossene Ermittler Carl Mørck in den Keller abgeschoben. Dort soll er die neue Sonderabteilung Q führen. »Erbarmen« ist der erste Teil der Ermittlerserie um Mørck, mit welcher der dänische Schriftsteller Jussi Adler-Olsen anhaltende Erfolge feiert. Unser Autor Tobias Prüwer hat sich den Krimistreifen, der ab 23.1. in der Schauburg läuft, für uns angesehen.

Filmfutter fernab der Neustarts

Welteorgel »The Wheel«:

In der Welte-Orgel-Reihe läuft dieses Mal das 273 Minuten starke Werk »The Wheel« von Abel Gance aus dem Jahre 1923. Das zwischen einem französischen Bahnhof und dem Mont Blanc angesiedelte Melodram umkreist einen Lokomotivführer, der das Findelkind Rose zusammen mit seinem eigenen Sohn Elie großzieht. Der Film wird mit zwei Pausen gezeigt. An der Welte-Orgel: Richard Siedhoff. 25.1., Grassi-Museum Leipzig, mit Einführung

ALP vertonen »Panzerkreuzer Potemkin«:

Begleitet wird Eisensteins Klassiker von 1925 – das UT zeigt die 2005 restaurierte Fassung – live von der Berliner Formation ALP, die dem Film einen zeitgemäßen Soundtrack verpasst. Im Halbdunkel der Filmprojektion arbeiten Gitarre, Bass, Schlagzeug, Orgel, Laptop, Keyboard und DJing und erzeugen in einer Symbiose aus zerschreddertem Ambientsound und Gitarrennoise ein, dem Bandnamen »aggressive loop productions« entsprechender Sound. 25.1., UT Connewitz

Weitere Filmbesprechungen und -tipps finden Sie hier und in unserer Printausgabe.

Gute Unterhaltung im Kinosessel und ein frohes Fest!


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