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Sport

»Ich gehe bis zum Gerichtshof«

Halil Ibrahim Dinçdağ darf in der Türkei kein Schiedsrichter sein - weil er schwul ist

  »Ich gehe bis zum Gerichtshof« | Halil Ibrahim Dinçdağ darf in der Türkei kein Schiedsrichter sein - weil er schwul ist

Normalerweise steht der Schiedsrichter im Fußball nur dann im Fokus, wenn es um Rote Karten oder Abseitstore geht. Beim Spiel von Roter Stern Leipzig am 11. April war das anders: Halil Ibrahim Dinçdağ ist ein türkischer Schiedsrichter, der in seiner Heimat keine Spiele mehr pfeifen darf. Der Grund: Er ist homosexuell.

Der türkische Verband schloss Halil Ibrahim Dinçdağ  2009 offiziell aus mangelnder Fitness aus. Vorher musste Dinçdağ wie jeder junge Türke seinen Militärdienst ableisten, wurde 2008 eingezogen. Nachdem er dem türkischen Militär seine Homosexualität offenbarte, wurde er wegen »psychosexueller Störungen« ausgemustert. Als er danach erneut Spiele pfeifen wollte, verlangte der Fußballverband Einsicht in die militärischen Unterlagen. Kurz darauf suspendierte der türkische Schiedsrichterverband das Mitglied aus Trabzon. Der Fall sorgte weltweit für Schlagzeilen, weil Dinçdağ in einem Fernsehinterview seine Situation öffentlich machte.

Der Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg (LSVD) hat die Jahre über Kontakt mit Dinçdağ aufgebaut. Zusammen mit dem LSVD haben die Vereine Tennis Borussia Berlin und Roter Stern Leipzig ihn für eine Woche nach Deutschland eingeladen. Und weil er ja eigentlich Schiedsrichter ist, hielt er nicht nur Vorträge über seine Situation in der Türkei, sondern tat das, was er am liebsten macht: Er pfiff Fußballspiele. In Leipzig leitete er ein Freundschaftsspiel zwischen den 2. und 3. Herren von Roter Stern Leipzig. Für Halil Ibrahim Dinçdağ eigentlich unter seinem sportlichen Niveau, in der Türkei pfiff er in der zweithöchsten Liga. Aber um Leistung ging es im Sportpark Dölitz bei diesem Spiel auch nur am Rande. Dementsprechend gelöst zeigt sich Dinçdağ im Interview nach dem Spiel.

 

kreuzer: Sie haben hier nach fünf Jahren zum ersten Mal wieder Fußballspiele gepfiffen. Gab es strittige Entscheidungen?

Halil Ibrahim Dinçdağ: Nein, alles war super. Es gab keine Gelben oder Roten Karten. Auch die Anhänger der anderen Mannschaften in Berlin waren supernett. In der Türkei kann ich ja nur bei Freizeit-Turnieren pfeifen. So ganz aus der Übung bin ich nicht.

kreuzer: Wie erleben Sie Ihre Fußballwoche in Deutschland?

Dinçdağ: Ich finde es super hier. Die Deutschen haben das wunderbar organisiert. Ich habe nicht damit gerechnet, dass ich so viel Unterstützung und Aufmerksamkeit bekomme. Und ich hoffe, dass ich in anderen europäischen Ländern über Homophobie im Fußball sprechen kann. Ich bin auf jeden Fall dankbar für die Einladung aus Deutschland.

kreuzer: Haben Sie die Diskussion um den homosexuellen Fußballer Thomas Hitzlsperger in der Türkei mitbekommen?

Dinçdağ: Ja, das habe ich mitbekommen. Das war auch in der Türkei groß in den Medien. Er war ein super Spieler. Aber ich glaube, das macht im Endeffekt wenig Unterschiede, ob du dich in der Türkei oder in Deutschland outest: Wenn du öffentlich sagst, dass du schwul bist, ist das immer problematisch.

kreuzer: Wobei er ja viel Wohlwollen aus der Öffentlichkeit bekommen hat. Wie sah das bei Ihrem Coming-out 2009 aus?

Dinçdağ: Ich erhielt viele Briefe. Einige schrieben, dass ich die Türkei verlassen soll. Meine Familie und meine Freunde haben aus dem Fernsehen erfahren, dass ich schwul bin. Ich hab das vorher keinem gesagt. Aber meine Familie unterstützt mich zum Glück.

kreuzer: Hat sich beim Thema Homophobie im Fußball etwas getan in den letzten Jahren in der Türkei?

Dinçdağ: Na ja, zumindest ein bisschen. Es wird jetzt in der Öffentlichkeit darüber diskutiert. Ich durfte im Parlament über meine Situation sprechen.

kreuzer: Und wie sieht der Kampf konkret aus?

Dinçdağ: Am 22. April wird in Istanbul verhandelt, ob meine Absetzung durch den türkischen Fußballverband rechtens war. Falls ich dort scheitern sollte, gehe ich alle Instanzen in der Türkei durch. Wenn es sein muss, bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

kreuzer: Sie haben vor Ihrem Coming-out als Radiomoderator gearbeitet, dann Ihren Job verloren. Wovon leben Sie jetzt?

Dinçdağ: Ich habe mich nach meinem Coming-out bei über 150 Stellen beworben, bekam aber überall nur Absagen. Meine Eltern haben mich lange Zeit finanziell unterstützt. Seit einem Jahr arbeite ich als Kolumnist bei einer Zeitung. Aber klar, es ist natürlich nicht so einfach.

kreuzer: Sie sind jetzt 36, eine Karriere als Schiedsrichter ist womöglich vorbei. Wie gehts jetzt mit Ihnen weiter?

Dinçdağ: Ich guck jetzt erst mal, wie die Verhandlung mit dem türkischen Verband ausgeht. Aber auch wenn ich danach nicht mehr pfeifen darf, hab ich vielleicht doch den Weg geebnet für die nächste Generation.

kreuzer: Und falls Sie doch wieder pfeifen dürfen?

Dinçdağ: Dann wäre ich der glücklichste Mensch auf der Welt.

 


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