anzeige
anzeige
Kultur

»Wir sind nicht Morrissey«

Kraftklub über Protest, schlechte Partys und die Mittelfinger von Rammstein-Fans

  »Wir sind nicht Morrissey« | Kraftklub über Protest, schlechte Partys und die Mittelfinger von Rammstein-Fans

»Ach, vom kreuzer«, sagt Sänger Felix Brummer zur Begrüßung, nachdem er den Blick vom Handy erhoben hat. Sie seien ja gerade erst in Leipzig gewesen. Im Goldhorn, weil da der Wodka aus dem Wasserhahn kommt. Und im Conne Island auch. Deswegen freuen sich Kraftklub, dass sie dort am Freitag ihre Klubtour beginnen. War aber sofort ausverkauft. »Ey, kommt einfach alle in die Arena!«, appelliert Brummer ins Mikrofon, was wir an dieser Stelle einfach weitergeben.

kreuzer: Felix, du trägst einen Rammsteinpulli. Bist du Fan?

FELIX BRUMMER: Der ist vor allem sehr bequem, weil er Rollkragen- und Kapuzenpulli in einem ist. Aber ja, das sind große, subversive Künstler, die oft missverstanden werden. Wir waren bei zwei Shows von denen die Vorband.

kreuzer: Wie kamt ihr an?

BRUMMER: Sehr schlecht.

STEFFEN ISRAEL: Deren Fans sind schon sehr ultra-mäßig drauf und fragen sich: Vorband – was soll das? Und zeigen einem den Mittelfinger.

BRUMMER: Die haben aber gar nicht gemerkt, dass sie dabei auch leicht mitgetanzt haben, während die uns den Mittelfinger zeigten. Da haben wir gesagt: Zeigt uns den Finger, aber springt, zur Hölle, springt!

kreuzer: Auf eurer neuen Platte beschäftigen sich zwei Songs mit Protestkultur und Demos. Bei »Hand in Hand« geht der Protagonist nur mal mit, weil er verliebt ist, bei »Schüsse in die Luft« steht er alleine auf der Straße, weil die anderen alle RTL 2 schauen.

BRUMMER: Die Protestkultur sollte, wie jede andere Kultur auch, mal hinterfragt werden. Also die Motivation, warum man auf die Straße geht. Gerade bei »Hand in Hand« war es ja kein Zufall, dass wir das zuerst mit dem Label Audiolith gemacht haben. Eine Beobachtung von uns ist, dass der Krawalltourismus zunimmt.

kreuzer: »Schüsse in die Luft« fordert dagegen eher dazu auf, Krawall zu machen.

BRUMMER: Die Frage ist, ob und warum man auf die Straße gehen sollte. Oder ob es einem reicht, sich ständig zu empören und auf Facebook mal richtig wütend einen Link zu teilen, um zu sagen »Das kann ja wohl nicht wahr sein«. Um sich dann mit dem beruhigenden Gefühl ins Bett zu kuscheln, mal richtig auf den Tisch gehauen zu haben. Ich glaube eben nicht, dass das ausreicht. Die gute, alte Demo ist ein super Weg, aber unbequemer. Du musst dir zumindest schon mal die Schuhe anziehen und raus in die Kälte.

kreuzer: Für welche Themen sollte man das tun?

BRUMMER: Da gibt’s eine ganze Menge. Die muss sich jeder selbst raussuchen. Da, wo wir herkommen, sind es die Klassiker.

kreuzer: Nazis?

BRUMMER: Ja. Da finde ich es absolut lohnenswert. Die gibt es ja in Leipzig auch, aber da hast du oft eine größere Gegenfront als in Chemnitz. Umso wichtiger ist es, bei uns rauszugehen. Sonst hast du da eine Gegendemonstration von nur 300 Leuten.

kreuzer: Würdet ihr euch also als politische Band bezeichnen?

ISRAEL: Ja. Früher wollten wir uns als unpolitische Band verstehen, mussten aber einsehen, dass das nicht geht. Dass man als Band, die eine Meinung hat, gar nicht unpolitisch sein kann, weil man immer wieder Stellung beziehen muss und die auch in gewissen Maße äußern. Es hat für uns aber keine Priorität, den Leuten zu erklären, wonach sie sich richten sollen.

BRUMMER: Wir sind nicht Morrissey. Wir müssen keine wütenden Reden in die Diktiergeräte der Journalisten sprechen. Aber wir sind fünf sehr politische Menschen. Wir merkten, dass wir gewisse Sachen machen und andere eben nicht. Und zwar nicht aus Karrieregründen, sondern durchaus aus moralischen Gründen. Und da bist du dann im Endeffekt bei Politik. Politik klang für uns immer gleich nach Parteien. Aber das hat damit ja erstmal gar nichts zu tun. An »Schüsse in die Luft« habe ich zwei Jahre geschrieben, damit der nicht nach erhobenem Zeigefinger klingt.

kreuzer: Ihr spielt auch auf Antifa-Demos?

BRUMMER: Ja, haben wir. In Chemnitz.

Hat euch das Ergebnis der Sachsenwahl erschreckt?

BRUMMER: Ja. Und ich fand es echt schräg, dass die Wahlbeteiligung so gering war. Ich habe mit Leuten in meinem Umfeld bis aufs Messer gestritten, die meinten, dass es der falsche Weg ist, überhaupt zur Wahl zu gehen, weil man damit das System anerkennt, wie es besteht. Ich bin eher gemäßigt und sage: Ich wähle. Und wähle dann lieber das kleinere Übel.

kreuzer: Die meisten Sachsen sind wohl auch nicht deswegen nicht zur Wahl gegangen, weil sie das System nicht anerkennen.

ISRAEL: Sondern weil Stadtfest war.

BRUMMER: Aber genug über Politik geredet.

kreuzer: Sollen wir lieber über Liebe reden?

BRUMMER: Auch das ist ein Thema, dass fünf Jungs Mitte zwanzig beschäftigt.

kreuzer: Und alle ihre Fans. Auf dem neuen Alben besingt ihr die verschiedenen Stadien der Beziehung.

BRUMMER: Auch dies sind Dinge, die in unserem Umfeld beziehungsweise uns selbst passiert sind.

kreuzer: Hat das zweite Album deswegen so lange gedauert, weil ihr ersteinmal vom frischen Verliebtsein bis Schlussmachen alles durchmachen musstet?

ISRAEL: Ja, genau. »Baby, ich mach Schluss mit dir, weil wir noch einen Song darüber schreiben müssen.«

BRUMMER: Nee, aber ernsthaft. Man muss ja erstmal was erleben, bevor man drüber schreiben kann. Du musst dir Zeit nehmen, mal abschalten und wieder mit Freunden abhängen. Und halt einfach nicht über Kraftklub reden. Dafür brauchten wir Zeit. Für das erste Album konnten wir ja auf etwa 15 Jahre zurückgreifen Sonst hätten wir nur ein Album darüber machen können, wie es ist, auf Tour zu sein. Und das wäre sehr langweilig geworden.

ISRAEL (fängt an zu singen): Bier her, Bier her.

BRUMMER (stimmt ein): Backstageparty. Backstageparty.

kreuzer: In »Zwei Dosen Sprite« singt ihr von schrecklichen VIP-Partys, auf denen alle zugedröhnt sind. Ist der Ruhm wirklich so schlimm?

BRUMMER: Man muss natürlich nicht hingehen, aber man landet ja dann doch immer wieder da. Der Song handelt aber auch generell von schlechten Partys. Also von dem Gefühl: Was mache ich hier? Wieso gehe ich nicht einfach?

kreuzer: Und wieso geht man nicht einfach?

ISRAEL: Man könnte ja was verpassen. Also trinkt man noch zwei Cocktails.

BRUMMER: Den richtigen Zeitpunkt zu gehen zu finden – jeden Samstag wieder eine Herausforderung. (lacht)

kreuzer: Bevor ihr im Winter in den richtig großen Hallen spielt, geht ihr jetzt ersteinmal auf Clubtour.

BRUMMER: Da freuen wir uns am allermeisten drauf. Die neue Platte endlich in Clubs zu spielen, in denen wir selbst gerne sind. So wie wir ja auch unsere erste Platte bis zum Erbrechen im kleinen Rahmen gespielt haben, bevor das dann größer wurde

kreuzer: Diesmal hattet ihr, bevor das Album erschien, die neuen Songs noch gar nicht live gespielt, oder?

BRUMMER: Doch, im Proberaum. Rauf und runter.

ISRAEL: Das ist diesmal tatsächlich ein Unterschied. Beim ersten Album konnten wir die Songs ja live erstmal testen und dementsprechend leicht verändern. Diesmal konnten wir sie nur heimlich fertig machen.

kreuzer: Warum dieses Geheimhaltungskonzept?

BRUMMER: Weil wir es diesmal cooler fanden, dass sie alle gleichzeitig hören können. Wir haben keinen Bock drauf, dass das alles vorher schon im Internet landet. Dabei ist die Geldsache gar nicht der allererste Grund, sondern dass man das Ganze so wenig steuern kann. Wir sind kleine Schabernackaushecker und lassen uns das ungerne verderben. Da sind wir Kontrollfreaks. Möglicherweise rutscht das aber manchmal ins Paranoide ab.

kreuzer: Ein Schabernack war auch der Release der ersten Single, die ihr zuerst als unbekannte, maskierte Band „In Schwarz“ herausgebracht habt.

BRUMMER: Wir finden das witzig, Leute zuveräppeln. Mal ausprobieren: Wie kann man eine neue Band gründen und das so streuen, dass die Medien darüber berichten? Das haben wir von KLF, die ein großes Vorbild von uns sind und mal ein Buch darüber geschrieben haben, wie man einen Hit macht. Und dann ein zweites darüber, wie sie das ganze Geld auf einer Insel verbrennen.

kreuzer: Würdet ihr euer Geld auch verbrennen?

BRUMMER: Nein. Wir haben einen sehr langweiligen, fast schon konservativen Umgang mit Geld. Wir haben ein Bandkonto, von dem zahlen wir uns jeden Monat ein Gehalt aus.

ISRAEL: Wir können gar nicht richtig Geld ausgeben. Wenn sich jemand von uns jetzt einen gelben Porsche kaufen würde, würden sich die anderen schon wundern und Fragen stellen. Wieso gelb? Aber wir müssen uns natürlich gerade keine Sorgen machen um unsere Miete.

kreuzer: Die in Chemnitz vergleichsweise gering ist.

BRUMMER: Ja, ihr könnt alle nach Chemnitz kommen! Da ist noch sehr viel Platz. In Leipzig werden doch die Mieten auch immer teurer.


Kommentieren


0 Kommentar(e)