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Stadtleben

Chats so groß wie tausend Bibeln

Ein Leipziger Professor untersucht die Kommunikation mit WhatsApp

  Chats so groß wie tausend Bibeln | Ein Leipziger Professor untersucht die Kommunikation mit WhatsApp

Bekannte Situation: Da sitzt man zusammen und keiner spricht, weil alle in ihre Handys tippen. Aber was tippen sie da und wie ändert sich dadurch unser Kommunikationsverhalten? Mit einer umfassenden Datenerhebung ist ein bundesweites Forschungsprojekt zur Kommunikation in WhatsApp gestartet. Bis zum 11. Januar können WhatsApp-Chats gespendet werden. Der kreuzer traf Projektleiter Beat Siebenhaar, Professor für Variationslinguistik an der Universität Leipzig, zum Interview

kreuzer: Warum ist WhatsApp für Sprachwissenschaftler so interessant?

BEAT SIEBENHAAR: Zunächst aufgrund der besonderen Kommunikationssituation, die deutlich anders ist als beispielsweise bei der SMS. Eine SMS war ursprünglich beschränkt auf 160 Zeichen, hat etwas gekostet und wurde auf zwölf Tasten getippt. Wenn man eine ältere SMS anschauen wollte, musste man den Ordner wechseln oder zurückgehen. Durch die Verbreitung der Smartphones hat innerhalb der letzten Jahre eine erstaunliche Entwicklung stattgefunden. Sie haben andere Eingabemodalitäten und andere Darstellungsmöglichkeiten, die vor allem interaktiv orientiert sind. Bei der SMS war es so: Ich kriege eine SMS, und dann schreibe ich irgendwann eine kurze Mitteilung zurück. Die WhatsApp-Kommunikation tendiert viel stärker zur Synchronizität und weist eine deutlich dialogische Struktur auf. Der Text wird gewissermaßen gemeinsam gestaltet. Dabei tut sich ein spannendes linguistisches Problem auf, denn nicht zuletzt wirft diese Form der Kommunikation aufs Neue die alte Frage auf: Was ist überhaupt ein Text? Wo beginnt er, wo endet er? WhatsApp trifft sich in dieser Hinsicht mit Formen konzeptioneller Mündlichkeit, wie wir sie in den 2000er-Jahren anhand von Internet-Chats untersucht haben. Die öffentliche und anonyme Art des Chattens ist allerdings heute mehr oder weniger eingeschlafen. Stattdessen können wir eine Verlagerung ins Kleinräumige oder sogar Private beobachten; zu denken ist hier beispielsweise an die sozialen Netzwerke oder Communities von Online-Spielen. Und natürlich an die Gruppenchats in WhatsApp, die oft in Kreisen stattfinden, die einander persönlich kennen: Familien, Freunde, Schulklassen. Daneben gibt es da natürlich auch den dialogischen Zweierchat.

kreuzer: Wie kam es zu der Idee, eine Datensammlung in Deutschland zu initiieren?

SIEBENHAAR: Ich bin in der Schweiz an einem SMS-Projekt beteiligt. An der Uni Leipzig kann ich die SMS aus der Schweiz den Studierenden, nun ja, recht schlecht verkaufen. Das liegt vor allem daran, dass der Dialekt in der Schweiz einen viel höheren Stellenwert hat als hier in Deutschland. Entsprechend chatten und simsen die Schweizer häufig mundartlich. Und da »bocken« die Studierenden hier ein bisschen, wenn ich mit diesen Daten im Unterricht arbeiten will, weil sie denken: Das verstehe ich sowieso nicht. Nachdem wir im Juni und Juli schon eine WhatsApp-Datensammlung in der Schweiz angelegt hatten, wollte ich das auch hier in Deutschland machen. Und den Hut habe ich mir jetzt eben aufgesetzt. Wir arbeiten dabei mit derselben Methode wie bei »What’s up, Switzerland?«. Das hat den Vorteil, dass wir die Daten aus der Schweiz und Deutschland hinterher vergleichen können.

kreuzer: Die Datenerhebung zu »What’s up Deutschland?« läuft seit dem 17. November und dauert noch bis zum 11. Januar. Wie viele Daten brauchen Sie?

SIEBENHAAR: In Wörtern: so ungefähr tausend Bibeln. Das wäre ideal. Wir haben in der ersten Woche bereits 80 Chats zugesendet bekommen. Das sind circa 1,6 Millionen Wörter und entspricht ungefähr zwei Bibeln. Wenn es mindestens zwanzig Mal so viele würden, wäre es schon gut. Ich hoffe also sehr auf die Mitarbeit der Bevölkerung.

kreuzer: Wie sieht es mit dem Datenschutz aus?

SIEBENHAAR: Ich würde behaupten, Ihre Daten sind bei uns sicherer als zuvor (lacht). Als universitäres Forschungsprojekt sind wir nicht mit WhatsApp oder Facebook verbunden. Die Chats werden automatisch anonymisiert, wenn sie bei uns ankommen. Private Informationen wie Namen, Adressen, Straßennamen und E-Mail-Adressen werden automatisch gelöscht und sind für uns nicht identifizierbar, wenn wir die Daten einsehen. Grundsätzlich interessieren wir uns ja auch nicht für die einzelnen Personen, sondern für ihr Sprachverhalten, und zwar aus wissenschaftlicher Sicht. Daher bekommen Sie neben der Bestätigungsmail auch einen Fragebogen zur sprachbiografischen Datenerhebung. Hier hoffen wir natürlich auch auf die Mitarbeit.

kreuzer: Das Forschungsprojekt umfasst sieben Teams aus ganz Deutschland.

SIEBENHAAR: Ja, es ist eine großangelegte Zusammenarbeit von Sprachwissenschaftlern der Universitäten Dresden, Duisburg-Essen, Mannheim, Dortmund, Hannover, Koblenz und Leipzig. Insgesamt sind damit sehr unterschiedliche Forschungsinteressen verknüpft. In Dresden forscht man beispielsweise an einem Chat-Roboter. Andere spannende Fragen stellen sich im Hinblick auf sprachliche Identitätskonstruktionen, die Verwendung unterschiedlicher Anredeformen sowie die regionale Verteilung. Was mich als Variationslinguist besonders interessiert, sind die Unterschiede in den einzelnen Teilen Deutschlands: Wie werden nicht-standardsprachliche Formen in Sachsen, Bayern und Baden-Württemberg verwendet? Gerade was die Dialektverwendung in den deutschen Chats angeht – auch im Unterschied zu den schweizerischen – bin ich gespannt. Was außerdem spannend ist: Wo werden non-standardsprachliche Formen verwendet, und welche Funktionen haben sie? Sind es vor allem Sub-Standardformen wie »nich« und »is«, die man auch in der mündlichen Alltagskommunikation verwendet? Oder werden einzelne dialektale Wendungen im Chat verschriftlicht, wie »Tüschq statt »Tisch«? Wenn Sie an das norddeutsche »Moin« denken, das haben wir sogar in den Schweizer Chats gefunden. Wir haben es hier also mit der Delokalisierung eines dialektalen Ausdrucks zu tun, der dann als Informalitäts-Marker dient. Spannend ist dann tatsächlich, bei welchen Dialekten das der Fall ist und bei welchen nicht. Und in welchem Verhältnis das insbesondere in Gruppenchats zu kleinräumigen, lokalen Mundarten steht.

kreuzer: Wann ist mit ersten Ergebnissen zu rechnen?

SIEBENHAAR: Also, erste, ganz kleine Ergebnisse haben wir jetzt schon, etwa, welche Smileys häufig benutzt werden, nämlich das lachende Smiley und die Katze mit den Freudentränen. Demgegenüber muss man aber festhalten, dass 11% der Leute erstaunlicherweise gar keine Piktogramme verwenden. Mitunter macht man also recht überraschende Beobachtungen. Auch was die Länge der Nachrichten betrifft: Die Leute, die uns bis jetzt etwas geschickt haben, verwenden durchschnittlich sechs Wörter pro Nachricht. Das ist sehr kurz. Natürlich sind das aber nur vorläufige Beobachtungen und Tendenzen, die linguistisch noch nicht besonders aussagekräftig sind. Provisorische Ergebnisse sind im Frühjahr zu erwarten, und ich hoffe, dass wir dann im Herbst schon deutlichere Aussagen machen können. Eine wirklich detaillierte und präzise Analyse ist aber erst in drei bis vier Jahren zu erwarten, wenn wir die Datensammlung in den verschiedenen Forschungsprojekten untersucht haben.

kreuzer: Haben Sie eine Erklärung dafür, dass auch im 21. Jahrhundert mit all seinen audiovisuellen Kommunikationsmöglichkeiten – FaceTime, Skype – die Attraktivität von textbasierten Nachrichten bleibt?

SIEBENHAAR: Ich denke, es besteht nach wie vor ein Bedürfnis bzw. es liegt ein Reiz darin, »leise« zu kommunizieren, also eine gewisse Distanz beizubehalten.

kreuzer: Glauben Sie, dass diese Form der Kommunikation sich allgemein auf unser Sprach- und Schreibverhalten auswirkt?

SIEBENHAAR: Das ist ja immer wieder die Befürchtung: dass unsere Sprache verlottert und die Kinder dann nicht mehr richtig schreiben können. Das hat man beim Chat vermutet, bei der E-Mail vermutet, bei der SMS vermutet. Ich glaube, das ist nicht haltbar. Bislang hat sich nichts davon bewahrheitet. Die computervermitteltet Form der Kommunikation ist eben eine besondere Form der Kommunikation, die sich von traditionellen Formen des Schreibens unterscheidet. Es handelt sich um eine konzeptionelle Mündlichkeit, nicht um eine konzeptionelle Schriftlichkeit. Und die allermeisten Leute können das durchaus trennen, das heißt, dass sie weiterhin in der Lage sind, einen Brief zu schreiben, auch wenn sie in anderen Situationen SMS oder WhatsApp nutzen. Dass dabei bestimmte Begriffe oder Ausdrücke ‚rüberschwappen‘ können, ist normal, denn Sprache ist dynamisch.

kreuzer: Trotzdem – Stichwort Kommunikationsverhalten – ist es doch keine so seltene Situation, dass man sich in geselliger Runde befindet und sich keiner unterhält, sondern alle in ihre Handys tippen.

SIEBENHAAR: Ich würde behaupten, dass das mit dem Schreiben nichts zu tun hat. Vielleicht ist es eher ein Zeichen unserer Zeit: Dass wir nie wirklich da ankommen, wo wir schon sind.


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