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Kultur

Wenn Michael Jackson auf dich schießt

Wolfgang Welt ist tot

  Wenn Michael Jackson auf dich schießt | Wolfgang Welt ist tot

Der Bochumer Schriftsteller Wolfgang Welt ist am Sonntag, 19.6.2016, gestorben. Vermutlich an den Folgen seiner dauerhaften Psychopharmakamedikation. An dieser Stelle noch einmal der Text zu seinem Leipzig-Besuch im letzten Jahr.

Wolfgang Welt scheint kein Mann der vielen Worte zu sein. Schreibt man ihm eine Mail, um nach einem Interview zu fragen, ist die Antwort einfach seine Telefonnummer. Ruft man da gegen 15 Uhr mal an, hat man ein wenig die Befürchtung, dass man Welt wecken wird. Schließlich ist er Nachtwächter im Schauspielhaus Bochum. Außerdem ist Welt Schriftsteller.

»Stör’ ich?« – »Ich esse gerade.« Aber nee, man störe nicht. Gerade ist »Fischsuppe« erschienen, der fünfte Roman von Welt. Im Peter Engstler Verlag – was insofern bemerkenswert ist, weil die Vorgänger alle bei Suhrkamp herauskamen. Mit bester Empfehlung von Peter Handke, der ein Fan von Welt ist. Genauso wie Dietmar Dath, Friedrich Küppersbusch und 27 andere, die im letzten Jahr mit der Unterschriftenliste »Dreißig für Wolfgang Welt« forderten, den Autor mit dem Literaturpreis Ruhr auszuzeichnen.

Warum jetzt also ein kleiner Verlag? »Ich habe auf der Buchmesse den Engstler getroffen und der fragte: Haste nicht mal 70 Seiten für mich?«, erklärt Wolfgang Welt. Und ja, die hatte er gerade da liegen. 82 Seiten über sein Leben. Darüber, wie er aus der Psychiatrie entlassen wird und erfolgreich anfängt zu schreiben. Wie er die Tabletten absetzt und irgendwann der Überzeugung ist, dass Michael Jackson durchs Olympiastadion läuft und auf ihn schießt. Darüber, wie sein Vater stirbt.

Angeblich ist alles, was Welt schreibt, autobiografisch. Geschichten von einem, der sich fragt, ob er jemals wieder ficken wird. Von einem Nachtwächter, der in den Achtzigern Musikjournalist war. Welt beschimpfte Heinz Rudolf Kunze als treudeutschen Studienrat und »singenden Erhard Eppler«. Er soff eine Woche mit Motörhead und schrieb sie dann nieder, er verpasste ein Interview mit Lou Reed, um danach ausführlich zu berichten, was er stattdessen tat. Doch dann kam die Phase, wo er dachte, er sei J.R. Erwing und mitten in einer Dallas-Folge. Diagnose: »schizophrene Psychose«.

Seit 1991 ist Welt Nachtportier und schreibt seine Texte im Urlaub. »Weil ich sonst keine Zeit habe. Tagsüber schlafe ich meistens.« Folgt jetzt bald ein Nachtwächterroman? »Nein, ein Nachtwächterroman gibt nicht viel her.« Es passiert ja nichts. Daher schreibt Welt von früher und selten über die Gegenwart. »Kaum aus der Psychiatrie entlassen, holte ich mir auf meiner Mansarde einen runter. Im Marienhospital hatte ich keinen Steifen gekriegt, was wohl an dem Hängolin lag, das die mir in den Kaffee gegeben hatten. Nun ging es wieder, und es kam gut, kam sehr gut. Ich fragte mich, ob der jahrelange Sex mit mir selbst dazu geführt hatte, daß ich plemplem geworden war. Aber dann müßten ja alle katholischen Geistlichen und Junggesellen ohne Freundin reif sein für die Klapsmühle. Sind sie es nicht auch?« So beginnt der Roman »Doris hilft«. Und man weiß nicht genau, wieso das kein Riesen-Erfolg wurde in der Zeit, als gerade die Popliteratur aufkam.

»Seit 15 Jahren bin ich jetzt ohne Psychose«, sagt Welt. Am Schreiben habe sich auch unter Medikamenten nichts geändert. Gerade sitzt er an einem Buch über seinen Bruder und sich, über die fünfziger, sechziger und siebziger Jahre, über Kindheit und seinen Verein. Nach fünf Minuten ist das Telefongespräch vorbei. Welt redet nicht viel, aber erzählt umso mehr in seinen Büchern.


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