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Stadtleben

»Diese Party ist nicht unsere Party«

Die »Parade der Unsichtbaren« protestiert gegen das 1.000-Jahre-Jubiläum – warum?

  »Diese Party ist nicht unsere Party« | Die »Parade der Unsichtbaren« protestiert gegen das 1.000-Jahre-Jubiläum – warum?

Am Wochenende feiert die Stadt Leipzig ihr 1.000-jähriges Bestehen mit einem großen Festumzug. Zwei Organisatoren der Gegenveranstaltung »Parade der Unsichtbaren« erklären, warum ein Bündnis verschiedener linker Gruppen in Leipzig gegen diese Form des Stadtmarketings protestiert.

kreuzer: Wieso ist das 1.000-jährige Jubiläum nicht eure Party?

SEBASTIAN BUDOWSKY: Es geht dabei um die Frage, was hier eigentlich gefeiert wird, welches Bild von der Stadt gezeichnet wird und wer das zeichnet. Das Ganze liest sich als eine einzige 1000-jährige Erfolgsgeschichte und ist in erster Linie eine Form von Selbstinszenierung, in der es darum geht, Leipzig als ein Konsum- und Kulturzentrum zu vermarkten und damit letztlich für Investoren attraktiver zu machen. Dabei geht es eben gerade nicht um ein »Wir«, das die Einwohner in dieser Stadt in irgendeiner Form einbindet. Doch uns geht es um die Erfahrungen derer, die in dieser großen »das neue Hypezig«-Erzählung nicht auftauchen und die auch von dieser Politik nicht repräsentiert werden.

MAREN LEVY: Diese Erzählung will ein positives Image generieren. Darin tauchen ganz bewusst die Probleme nicht auf, die sich nicht in dieses Image integrieren lassen: Entmietung oder Gentrifizierung, eine ausschließende Asylpolitik sowie ein rassistischer Alltagsverstand, mit dem Geflüchtete hier konfrontiert sind. So wird Leipzig als kulturell diverse Stadt präsentiert, in der viel Platz für verschiedene Lebenskonzepte ist. Im Endeffekt ist das aber eine Werbeschleife für ein bestimmtes Milieu, bei der sich beobachten lässt, wie alternative oder subalterne Lebensformen für ein städtisches Marketing nutzbar gemacht werden. Die Schizophrenie besteht darin, dass dadurch die kulturelle Diversität kaputtgemacht wird, weil die Stadt immer stärker nach Leistungskriterien und Profitkriterien ausgerichtet wird. Im Endeffekt wird also kulturelle Diversität gepredigt – mit der Konsequenz der Homogenität.

kreuzer: Wie lassen sich solche Problemfelder wie die Ausgrenzung Asylsuchender oder Erwerbsloser mit Entmietung, Gentrifizierung oder der Stigmatisierung bestimmter Viertel zusammenbringen?

LEVY: Die Gemeinsamkeit besteht darin, dass all diese Gruppen die Verlierer dieser neuen urbanen Ordnung sind. In dem Moment, in dem Leipzig für ein bestimmtes kulturelles und ökonomisches Milieu fit gemacht werden soll, werden all diese Subjektivitäten ausgeschlossen.

BUDOWSKY: »Die Unsichtbaren« benennt erst mal die große Kategorie all derer, die von dieser Politik des Ausschlusses betroffen sind. Gleichzeitig ist die Art und Weise, wie diese Prozesse erfahren werden, durchaus sehr unterschiedlich. Insofern ist es auch offen, ob daraus ein gemeinsames politisches Projekt entsteht und ob wir gemeinsam langfristig zusammenfinden und eine Utopie einer anderen Stadt entwerfen. Da ist die Demonstration vielleicht ein erster Anfang.

kreuzer: Ihr kritisiert das »Marketingspektakel« der Stadt als Ausdruck neoliberaler Ideologie. In eurem Aufruf heißt es, die »Motive von Verwegenheit und Pioniergeist« würden nicht umsonst ausgespielt werden. Was kritisiert ihr an dieser Art des Stadtmanagements?

LEVY: Da gibt es drei Ebenen. Zum einen gibt es einen allgemeinen Strukturwandel des urbanen Raums im Neoliberalismus. Menschen ziehen wieder stärker in die Nähe ihres Arbeitsortes. Dadurch werden diejenigen, die in den Zentren bereits gewohnt haben, verdrängt. Die zweite Ebene wäre das Stadtmarketing. Die Stadt wird als Abenteuer und Erlebnis konstruiert, man kann sich hier selbst verwirklichen. Diese Selbstverwirklichung führt aber im Endeffekt zur Auflösung der Grenze zwischen Arbeit und Freizeit. Das dritte ist, dass sich klassische neoliberale Selbstausbeutungsmechanismen in experimentellen Wohnformen wiederfinden lassen, zum Beispiel im Wächterhausprojekt. Da ziehen Studierende ein, die dort für Investoren mit unbezahlter Arbeit Häuser in Stand halten. All diese Mechanismen des Neoliberalismus sind mit einer Ideologie der Selbstverwirklichung verknüpft.

BUDOWSKY: Ich würde noch eine vierte Ebene ergänzen. Städte konkurrieren um den Zuzug attraktiver Konsumentengruppen, um Investoren, um einen Platz in der internationalen Arbeitsteilung und auch um Zuschüsse. Das führt dann dazu, dass die innerstädtischen Bereiche in erster Linie zu großen Konsumtempeln werden und Konsumieren die einzige Form der Nutzung des öffentlichen Raumes ist, was sich am Leipziger Hauptbahnhof sehr gut beobachten lässt.

kreuzer: »Wir sind die Stadt« haltet ihr für eine Marketing-Lüge. Fühlt ihr euch nicht als Teil der Stadt?

LEVY: Wir sind insofern Teil der Stadt, als dass wir hier leben. Aber die Frage ist, wer ist denn mit »Wir sind die Stadt« gemeint? Vermieter oder Mieter oder Immobilienfirmen? Kaffeehausbesucher im Barfußgässchen oder Prekäre in der Eisenbahnstraße? Rassisten oder Asylsuchende? Das Problem an einem so konstruierten Kollektivsubjekt ist, dass es Interessengegensätze verschleiert. Im Endeffekt haben unter dieser Verschleierung immer die zu leiden, die in den Machtgefällen weiter unten sind.

BUDOWSKY: Gegenwärtig manifestiert sich das ganz stark in der Rede von der neuen kreativen Klasse, die sich angeblich in Leipzig so wohl fühlt. Der immaterielle Reichtum, der geschaffen wurde, führt jetzt dazu, dass Investoren kommen und sich die Viertel aneignen. Letztliche Konsequenz ist, dass die Leute, die die Viertel lebenswert gemacht haben, gezwungen sind zu gehen, weil ihre nicht kommerziellen Initiativen kein Geld und keine Anerkennung bekommen und sie so aus dem urbanen Raum verdrängt werden.

kreuzer: Eure Demonstration nennt ihr »Parade der Unsichtbaren«. Wer sind diese Unsichtbaren?

BUDOWSKY: Den Begriff der Unsichtbaren haben wir gewählt, weil die Menschen, die diesen Prozessen der Verdrängung ausgesetzt sind, gegenwärtig noch als einzelne Individuen gegenüberstehen. Ihnen ist oft nicht bewusst, dass das ein kollektiver Prozess ist und wie viele Menschen davon betroffen sind. Und auch einer städtischen Öffentlichkeit ist das nicht präsent. Das ist gewissermaßen ein stiller, schleichender Verdrängungsprozess. Das muss man erst mal sichtbar und dann auch kollektiv behandelbar machen.

kreuzer: Eine Boulevardzeitung hat geschrieben, ihr wärt die »Chaoten«, die im »Schwarzen Block« die Party stürmen wollen. Sieht so eure Form der Sichtbarmachung aus?

Budowsky: Es gibt sowohl in unseren Ankündigungstexten als auch in unseren Vorhaben nichts, was diese Gefahreneinschätzung in irgendeiner Form rechtfertigen würde. Wir betrachten diesen Artikel als ein Angriff auf ein sehr legitimes politisches Anliegen, das wir mit dieser Demonstration äußern. Ein Protest gegen so ein Selbstgefeiere muss jede Stadt aushalten können.

LEVY: Das zeigt auch die Entpolitisierung der städtischen Kultur. Wenn es einen Ausdruck von Menschen gibt, die unterprivilegiert sind, wird das nur noch ordnungspolitisch behandelt. Es geht nicht mehr um die Aushandlung eines politischen Interessenkonflikts, sondern nur noch darum, dass »die Ärger machen wollen«, einfach dadurch, dass sie sich ausdrücken wollen.

kreuzer: Zum Schluss noch ein wenig Utopie: Wie stellt ihr euch die Stadt vor, in der ihr leben wollt?

LEVY: Man sollte erst mal anfangen zu sagen, was man in letzter Konsequenz nicht will. Uns geht es erst mal nicht darum, unsere eigenen alternativen Lebenskonzepte im städtischen Raum akzeptiert zu sehen. Es geht auch nicht um Fragen des Lebensstils. Es ist ja gut, wenn Viertel saniert werden und Lebensraum lebenswert gestaltet wird. Uns geht es um die Frage, wie Wohnraum jenseits einer Markt- und Warenlogik organisiert werden kann, also die grundsätzliche Frage nach Vergesellschaftung von Wohn- und Lebensraum. Die Menschen, die in einer Stadt wohnen, sollten kollektiv entscheiden können, wie ihre Lebensräume aussehen.

BUDOWSKY: Das Ziel muss sein, einen städtischen Raum zu schaffen, der nicht mehr von Trennungslinien durchzogen ist, sondern für alle zugänglich ist und durch alle gestaltet werden kann.


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3 Kommentar(e)

A Week in Pictures 22/2015 | André Herrmann - How about nö? 01.06.2015 | um 10:00 Uhr

[…] “Wie man’s macht, macht man’s verkehrt.” Wie schön, dass immerhin nicht alle begeistert von diesem komischen 1000-Jahre-In-der-Nähe-von-Leipzig-hat-irgendein-Kirchendude-einen-Herzinfarkt-Festival […]

Jörg 02.06.2015 | um 23:51 Uhr

Nun bin ich mehr als nur etwas irritiert. Die Stadt Leipzig feierte in den späten sechziger Jahren ihr 850jähriges Leben. Wie kommt man denn da auf 1000 Jahre. Hat man eine neue Stadtrechtsurkunde gefunden?

AVC 28.05.2015 | um 11:23 Uhr

Im Allg. bin ich mehr als einverstanden, besonders weil ich weiss, dass ich als Mittelstands, studierte junge Frau zu dem Gentrifitzierungsprozess beitrage ohne es wirklich zu wollen. Was ich nicht verstehe ist,:wenn die Veranstalter die Logik der "Trennungslinien" herausfordern wollen, warum bauen sie noch eine Grenze zwischen den Dagegen und Dafür anstatt das Fest zu "erobern" - in friedlichen Sinn? Wen wollen sie erreichen? Ich wurde eher sagen, wenn Konflikt und die "Unsichtbaren" ausgeschlossen werden, dann sollen sie wieder im Programm hinzugefügt werden, sodass ALLE sich damit auseinandersetzen können. Kontra-hegemonische Taktiken sind oft wirksamer als Ablehnung!