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Politik

War Hitler abhängig von Crystal?

Maik Baumgärtner über bislang unbeachtete Aspekte des Drogenphänomens Crystal

  War Hitler abhängig von Crystal? | Maik Baumgärtner über bislang unbeachtete Aspekte des Drogenphänomens Crystal

Ständig gibt es neue Schreckensmeldungen über die Droge Crystal Meth: Die beschlagnahmten Mengen wachsen um mehrere hundert Prozent pro Jahr, der Konsum zieht immer größere gesellschaftliche Kreise. Zugleich weiß die Öffentlichkeit wenig über Crystal und seinen Wirkstoff Methamphetamin. Die Journalisten Maik Baumgärtner, Mario Born und Bastian Pauly haben für ihr Buch »Crystal Meth – Produzenten, Dealer, Ermittler« eine Menge Erstaunliches zu Tage gefördert.

kreuzer: Ihr verfolgt die Spur des Wirkstoffs Methamphetamin weit zurück zu seinen Ursprüngen Anfang 1900 in Japan und zeigt, dass Adolf Hitler wahrscheinlich abhängig von Meth war, das damals als Pervitin offiziell vertrieben wurde. Ihr legt sogar nahe, dass das sogenannte Wunder von Bern von Methamphetamin gedopt war. Hat euch überrascht, wie weit die Droge bereits einmal verbreitet war?

MAIK BAUMGÄRTNER: Ja, ebenso wie die Tatsache, was für ein Massenphänomen Pervitin auch nach dem Krieg noch war. Wenn man gegenwärtige Berichte verfolgt, wird darin oft so getan, als wäre es das erste Mal, dass Methamphetamin so weit verbreitet ist. Der Blick in die Geschichte offenbart aber: In der 1954er Nationalmannschaft soll es zum Einsatz gekommen sein. Auch viele Bergsteiger, also Leute die damals Leistungsträger der Gesellschaft und Vorbilder waren, haben den Stoff bereits konsumiert und waren teilweise abhängig.

kreuzer: Ihr stellt bei euren Recherchen fest, dass die heutigen Meth-Konsumenten aus allen Schichten kommen, vom Arbeitslosen über Akademiker hin zu Unternehmern und sogar Spitzenpolitikern. Wie weit hat sich Crystal in die Gesellschaft hinein ausgebreitet?

BAUMGÄRTNER: Bislang haben die vielen verschiedenen Behörden und Stellen nur ihre eigenen, vereinzelten Erkenntnisse, es fehlt eine bundesweite Studie. Bislang gibt es nur eine Forschungsarbeit von 2014, die die Konsumentenschichten untersucht hat und zum Ergebnis kommt, dass Crystal in allen Bereichen verbreitet ist. Bei unseren Recherchen hat uns erstaunt, mit welchen Leuten wir am Ende über den Konsum gesprochen haben. Da waren Mittelständler, Leistungsträger, Soldaten – Menschen aus allen Schichten und Berufen. Am weitesten verbreitet war es allerdings noch unter Leuten mit wenig Einkommen oder in bestimmten Gegenden. Erschreckt hat mich mancher Ort in Sachsen, wo das Jugendzentrum um 18 Uhr schließt und die Jugendlichen Crystal ziehen, einfach damit die Zeit vergeht. Oder auch die Zeitarbeiter in der Region Zwickau, die sagen, wie soll ich ein Vierschichtsystem ohne diese Droge schaffen.

kreuzer: Crystal als Leistungsdroge, die gut zum gegenwärtigen Turbokapitalismus passt, dieses Motiv taucht häufig im Buch auf. Wie gefährlich ist es, darüber zu sprechen, ohne Werbung für die Droge zu machen?

BAUMGÄRTNER: Ich glaube nicht, dass man Werbung macht, wenn man objektiv aufklärt. Eines meiner Motive für dieses Buch war, endlich einmal einen Überblick über alle Bereiche zu schaffen, die mit Crystal zu tun haben, ohne ständig böse Superlative wie Teufelsdroge und ähnliches zu verwenden. Crystal ist sehr gefährlich, aber man erreicht die Leute nicht mit den berühmten Fotos von zerstörten Gesichtern. Denn die entsprechen meistens nicht den ersten Erfahrungen der Konsumenten. Stattdessen sollte man zeigen, wie vielschichtig das Problem ist. Der Aufklärungsbedarf ist hoch. Bislang gibt es nur wenige spezifische Vorsorgeprogramme, weil man kaum weiß, wer eigentlich alles Nutzer der Droge ist.

kreuzer: Wie schwer war es, an die gesellschaftlich gut situierten Crystaluser heranzukommen, die ihren eigenen Konsum für unproblematisch halten?

BAUMGÄRTNER: Es war nicht leicht, hat sich aber im Rahmen der Recherche teilweise zufällig ergeben. Wir sind in sehr viele Regionen gefahren, um Gespräche zu führen. Wenn wir dann abends im Hotel waren, haben wir Menschen an der Bar oder in einer Kneipe kennengelernt. Stück für Stück konnten wir zu ein paar Leuten Vertrauen aufbauen, ihnen zusichern, dass wir ihre Klarnamen schützen und sie nicht sozial outen. Es ging uns ja darum, dass sie frei aus ihrer Konsumwelt erzählen konnten. In der Gesellschaft gilt Leistung generell als etwas positives, wer nicht funktioniert ist schwach. Die Leute redeten dann mit uns, um zu zeigen: Ich funktioniere auch mit dem Konsum gut und bin erfolgreich.

kreuzer: Also wollten sie dem Bild der Zerstörungsdroge Crystal widersprechen.

BAUMGÄRTNER: Genau. Mancher sagte zu uns: »Was soll denn die ganze Propaganda? Ich nehme die Droge schon lange und mir geht es total gut.« Wenn man sich aber intensiv mit dem Thema beschäftigt, mit Ermittlern, Therapeuten und mit Psychiatern spricht, die am Ende die allerschlimmsten Fälle auffangen, dann fallen an den Konsumenten einige Kleinigkeiten auf, die sie selbst vielleicht nicht mehr bemerken. Die waren zappelig, zogen während des Gesprächs an ihren Schnürsenkeln herum, ließen ihre Blicke ständig umherwandern, verhaspelten oder überschlugen sich. Ich bekam dabei den Eindruck: Die Droge hat Auswirkungen auf ihren Alltag, auch wenn sie das selbst nicht wahrhaben wollen.

kreuzer: Crystal überschwemme das Land, wie eine Epidemie falle die Drogensucht über die Bevölkerung her – wenn in Medien die Ausbreitung von Crystal besprochen wird, wird das Vokabular oft hysterisch. Wie viel Furcht vor der Droge ist angebracht? Wo verstellt zu viel Angst den Blick auf vernünftige Strategien des Umgangs?

BAUMGÄRTNER: Hysterie verstellt immer den Blick, nüchterner Umgang ist sehr wichtig. Interessant war allerdings, dass viele Drogenberater, die sonst einen sehr liberalen Ansatz haben und sagen, es gibt einen kontrollierten Konsum, dass die zu uns ganz klar gesagt haben: Bei Crystal würden wir niemals unterschreiben, dass eine kontrollierte Nutzung möglich ist. Es ist einfach so unberechenbar in seiner Langzeitwirkung. Man kann nicht kontrollieren, wie lange man dann wach ist und man fällt sehr schnell aus dem sozialen Netz. Beispielsweise trafen wir uns mit einem Zeitarbeiter, der lange Crystal konsumierte und gut am Fließband arbeiten konnte. Irgendwann geriet er durch Zufall in eine Verkehrskontrolle. Dann war der Führerschein weg, damit auch der Arbeitsplatz und sofort kam er in eine Abwärtsspirale. Beim Crystalkonsum spielen oft kleine Nebensächlichkeiten plötzlich eine große Rolle. Es ist wichtig, diese Umstände nüchtern zu analysieren, nicht hysterisch.

kreuzer: Was müsste denn geschehen, um einen Umgang mit Crystal zu schaffen?

BAUMGÄRTNER: Man muss Kinder und Jugendliche früh über Drogen aufklären. Aber auch die Leistungsforderung der Gesellschaft müssen eingedämmt werden. An manchen Tagen kann man einfach nicht funktionieren. Das muss okay sein. Solange man in Apotheken Medikamente mit dem Crystal-Grundstoff kaufen kann, die letztlich ähnlich wie die Droge wirken, nämlich Krankheitssymptome unterdrücken, den Körper pushen, Ausfall durch Stresshormone übertünchen, also immer währende Leistungsbereitschaft herstellen – solange wird es schwierig sein, Crystalkonsumenten davon zu überzeugen, mit der Droge aufzuhören.

kreuzer: Nicht nur die soziale Zusammensetzung der Konsumenten ist illuster, mindestens ebenso bizarr wirken die Hintergründe der Dealer. In Sachsen fallen besonders Neonazis immer wieder auf, die vordergründig die Droge als Teufelszeug verurteilen. Wie kommt es, dass die Rechtsextremen offenbar Gefallen am Handel mit Crystal gefunden haben und selbst am Konsum?

BAUMGÄRTNER: Man muss sich bewusst werden, dass Nazis und organisierte Kriminalität eng verwoben sind. Das sieht man schon am Handel mit verbotenen CDs, grenzübergreifendem Schmuggel oder ähnlichem. Durch ihre Ideologie lernen sie, sich vor Ermittlern zu schützen oder Dinge illegal über die Grenzen zu bringen. Dadurch haben sie oft bereits das für Drogenhandel nötige Know-How. Das andere ist: Wenn man Gerichtsprozesse verfolgt sieht man schnell, es überall gibt Neonazis, die mit Drogen handeln. In Sachsen ist Crystal durch die Nähe zu Tschechien eben leicht verfügbar und man kann viel Geld damit verdienen. Viele Nazis gehen gern in Fitnessstudios und nehmen Anabolika. Dort schließen sie sich oft auch Rockerstrukturen an: Der Weg in die organisierte Kriminalität ist dann nicht weit.

kreuzer: Passt die Droge auch gut zur Aggressivität, die Nazis aufbauen wollen?

BAUMGÄRTNER: Klar. Schmerzempfinden wird gelindert, man wird mutiger und aggressiver. Was sonst immer mit Gruppenstärke verbunden wird, funktioniert mit einer Nase Crystal auch allein.

kreuzer: Ein wirklich erstaunlich unbeachteter Aspekt, den ihr in eurem Buch beleuchtet, sind die ernomen Umweltprobleme, die die Produktion von Crystal nach sich zieht. Wie kommt es dazu?

BAUMGÄRTNER: Das Zeug wird in Hinterhofküchen produziert. Weil es eine rein chemische Produktion ist, fallen dabei eine Menge Abfallprodukte an. Die organisierte Kriminalität kümmert sich natürlich nicht um eine sachgemäße Entsorgung, sondern verklappt die Stoffe in Wäldern, auf Feldern oder in alten Industriegebieten. Die Auswirkungen reichen von vergifteten, verendeten Tieren, über verseuchtes Grundwasser bis hin zu Böden, die auf mehrere Meter abgetragen werden müssen, um sie wieder nutzen zu können. Die Probleme sind vielfältig und erstaunlich wenig im Fokus. Wenn man anhand der beschlagnahmten Drogenmengen hochrechnet, wie viel Abfall bei der Produktion angefallen sein muss, dann bekommt das rasch eine enorme Dimension. Nur ein Bruchteil des Chemiemülls wird überhaupt gefunden.

kreuzer: Ihr schreibt, in den USA werden mancherorts aufgedeckte Methlabore kartiert, um die Menschen vor den Gesundheitsgefahren dieser Orte zu warnen.

BAUMGÄRTNER: Die ganzen Giftstoffe lagern sich in Wänden, Böden und Decken ab und werden über Jahre hinweg wieder an die Umwelt abgegeben. Für Europa habe ich den Eindruck: Werden hier kleine Küchen in Wohnungen aufgedeckt, werden diese Orte anschließend auch richtig gereinigt. Allerdings werden viele Labore in alten Industrieruinen oder Lagerhallen betrieben und kein Mensch weiß davon. Wenn dann dort mal Bauarbeiten beginnen, haben die Arbeiter keine Ahnung von den gesundheitlichen Gefahren, weil sie nichts von dem Methlabor wissen, dass da mal drin war.


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