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Kultur

Bloß nicht Museum

Jüdische Woche: Zwei Künstler mischen die israelisch-deutschen Beziehungen auf

  Bloß nicht Museum | Jüdische Woche: Zwei Künstler mischen die israelisch-deutschen Beziehungen auf

Wie über einen künstlerischen Prozess sprechen, der noch mitten in Gang ist und so flüchtige Elemente wie Bewegungskunst beinhaltet? Und sich dann auch noch mit einem nicht gerade leichten Thema beschäftigt: jüdisch-deutscher Erinnerungspolitik. Vielleicht zum Sprung aus der historischen Rückschau ansetzen, indem man eine andere Rückschau inszeniert, also den Blick aus einer Zukunft zurück aufs Heute wirft? Das war die Grundidee vom Kunstprojekt »150/Denkmale«, die der Pressetext so formuliert: »Leitgedanke ist die Idee eines utopischen Denkmals, das einmal für 150 Jahre freundschaftliche, deutsch-israelische Beziehungen stehen könnte.« Aber irgendwie läuft das jetzt ganz anders und worauf es bei Kooperation oder Konfrontation von Tanz und Installation hinausläuft, können die beiden beteiligten Künstler so richtig auch beim Gespräch eine Woche vor der Aufführung noch nicht sagen.

Das ist natürlich dem Prozess zeitgenössischer künstlerischer Arbeit geschuldet, bei dem eben nicht vorher feststeht, was genau entstehen wird. Beide auch unter dem Eindruck des Brandanschlags auf ein christliches Kloster in Israel, verübt von rechten jüdischen Religiösen, dder sie beschäftigt. Mit dem Tänzer und Choreograf Nir de Volff und dem bildenden Künstler Renan Ran Harari arbeiten zwei israelische Künstler am gemeinsamen Residenzprojekt von Halle 14 und Lofft. Was können sie denn nun schon sagen über ihre Arbeit? »Frisch und roh wird es sein, wenn unsere Sachen aufeinandertreffen«, sagt de Volff etwas vage. »Wir laden die Leute ein, Teil des Prozesses zu sein.«

Integrant sind die Bindungen und Verbindungen, die beide zu Deutschland haben. De Volff lebt seit zehn Jahren hier, Berlin ist seine Operationsbasis für die internationalen Projekte seiner Compagnie Total Brutal. Er sagt: »Ich könnte Deutschland auch wieder verlassen, ohne zu weinen. Aber solange ich hier arbeite, bin ich voll hier.« Harari kam viel später nach Deutschland, nach Leipzig, wo er Meisterschüler an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in der Klasse für Installation und Raum ist. Er nennt seine Familiengeschichte »sehr relevant« für diese Entscheidung, hat auch den deutschen Pass. »Der Kontakt mit Deutschland ist für mich absolut fundamental und sentimental. Auch wenn es eine zerstörte Sentimentalität ist, Deutschland war so eine Tabusache. Ich bin nicht mit der Sprache oder so aufgewachsen.« Nur drei Dinge habe er von Deutschland mitbekommen: »Zauberflöte«, »Hoppe, hoppe Reiter« und Erzählungen seiner Oma von Spargel aus der Umgebung von Berlin, wo sie einst lebte. »Und dann sehe ich gestern in der Halle 14 Reste von Spargelfolie aus einer beendeten Ausstellung.« Das habe – für andere eine Kleinigkeit – sofort etwas in ihm ausgelöst. »Das sind sentimentale Splitter, Zerstörungen, durch die ich mich finden muss.« Die jüdische Kultur wurde immer wieder durch die Geschichte hinweg durch Zerstörungserfahrung geprägt, meint Harari. Die Shoa sei aber als Singularität noch viel mehr. »Der Holocaust steht im Zentrum vieler, nicht nur jüdischer Identitäten.« »Der Zweite Weltkrieg wirkt im Bewusstsein vieler fort«, ergänzt de Volff.

Im Rahmen der Jüdischen Woche aufzutreten, fühlt sich für beide nicht komisch an. Man kann ja das Label nicht abstreifen, ist man immer Repräsentant von Israel oder dem Jüdisch-Sein, weil man eben von außen so wahrgenommen wird. Egal wie kritisch man aktueller israelischer Politik auch gegenüberstehen mag. »Natürlich hätte ich die Zusage für das Projekt nicht bekommen, wenn ich nicht aus Israel wäre, und ich freue mich über die Beteiligung«, sagt Harari. »Aber es ist wie ein Fluch. Egal, was ich in Deutschland machen würde, es wird immer in diesem Kontext gesehen, meine Identität steht immer vor meiner künstlerischen Praxis.« Man werde einfach gezwungen sich zu verhalten oder eben einfach so interpretiert. »Auf einer Ausstellung, die ich hatte, wurde ich von einer älteren Frau gefragt: ›Wie hat das mit dem Holocaust zu tun?‹ Ich antwortete: ›Gar nichts.‹ ›Aber Sie kommen doch aus Israel!‹ ›Wissen Sie, ich stehe nicht jeden morgen auf und denke an Auschwitz.‹«

»Dass wir als Strange Fish, als Sonderlinge, eingeladen wurden, weil wir nicht das klassische Programm wie Klezmer bedienen, freut mich«, so de Volff. »Es erlaubt auch zu zeigen«, wiederum Harari, »was Judentum auch alles ist. Viele wissen ja nichts über das Judentum jenseits von Auschwitz. Es bedeutet nicht nur Religion. Ich kann mich hier vielmehr als säkularen Juden zum Ausdruck bringen als derzeit in Israel.«

Ihre Materialsuche, um auf das Projekt zurückzukommen, läuft einerseits über Körperarbeit, wie sich vielleicht israelische Energie manifestieren kann. Aber auch ganz viel über Flashbacks, die sie erleben, im Zug etwa oder beim Arzt: »Aussteigen rechts!« »Die Nächste bitte!« »Es geht nicht ums Weinen«, erklärt de Volff, »das ist immer noch wichtig, aber nicht in diesem Projekt. Es hat auch unterhaltsame Aspekte.« »Ja, aber die Erwartungen, auf die wir eingangs trafen, dass wir das ironisch angehen, nicht so ganz seriös, sind Quatsch. Ich nehme das Thema sehr ernst und meine das auch so«, erklärt Harari. Aber natürlich steht im Zentrum, kein Museum zu sein, wie sich mancher Programmpunkt der Jüdischen Woche verstehen lässt. Offene Fragen ohne fertige Antworten werden hier zu sehen sein. Leichtigkeit und Gewicht auszubalancieren, Kunst auch als Akt der Genesung, so de Volff. »Zu erwarten ist zeitgenössische Kunst mit deutsch-israelischen Aspekten, wir werden dem Publikum nicht wie mit dem Löffel Inhalte verabreichen.«


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