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Stadtleben

Flutschfinger fürs Auge

Hyper-Realismus-Retro-Chic: Das Panometer geht unter Wasser

  Flutschfinger fürs Auge | Hyper-Realismus-Retro-Chic: Das Panometer geht unter Wasser

Ob eisiger Mount Everest, grünes Amazonien oder blutige Völkerschlacht – Yadegar Asisi hat sie alle schon als 360°-Panoramen gezeigt. Als Kind von der Zauberei fasziniert, schafft er in begehbaren Bildräumen perfekte Illusionen, sagen die einen. Die anderen nennen die vom Künstler als monumentale Rundgemälde inszenierten Natur- und Stadtlandschaften kitschig. In Leipzig hat der Erfolg – und den kann man ihm nicht absprechen – seiner hyperrealen Simulationen begonnen.

Retro rollt: Was mit Flutschfinger und Yps gelungen ist, kann Asisi schon lange. Wenn die 1970er-Marken Absatz finden, warum dann nicht ein Medium des 19. Jahrhunderts wieder gesellschaftsfähig machen? Damals schon war man nach dem Rundumblick verrückt, der den Betrachter ins Zentrum stellte und ihn in erhabene Position brachte. Vielleicht ist es das, was die Leute am Panorama anfixt? Immerhin ist es der Form nach die passendste Nachnutzung für ausgediente Gasometer, weshalb Dresden später auch eins bekam.

Eine Frage der Perspektive: Beim Panorama steht der Betrachter mittendrin und hat den 360°-Rundumblick. Es war einst ein Massenmedium, das die Erfahrung in der Natur nachahmt und die »Seh-Sucht«, wie der Kulturforscher Stephan Oettermann formuliert, nährt. Europaweit entstand ihm zufolge das Verlangen nach Horizonten und Ausblicken. Berge, Kirchtürme und andere Höhe-Punkte wurden bestiegen, für eine Übersicht und den Blick in die Ferne. Als ein Seh-Gebäude erfüllte das Panorama diese Lust auf seine Art als künstliches Landschafts-Arrangement. Seine Kunst bestand darin, natürlich und eben nicht als Kunstwerk zu wirken. Auch der Begriff Panorama (griechisch für »alles sehen«) stammt aus dieser Zeit und meint explizit die Rundgemälde. Erst danach wurde er auch auf den Panoramablick in der Natur angewendet. Die ersten dieser Gemälde zeigten das geschäftige Treiben in London und Paris. Ansichten von berühmten Schlachten und exotischen Landschaften kamen hinzu.

Daran knüpfte Yadegar Asisi nach rund 100 Jahren wieder an. Auf der Flucht vor der politischen Verfolgung im Iran Richtung DDR befand sich Asisis Mutter mit fünf Kindern gerade in Wien, als sie ihn 1955 gebar. Er wuchs in Halle und Leipzig auf. Er studierte in Dresden Architektur, verließ das Land schließlich gen Westberlin, besuchte dort die Hochschule der Bildenden Künste. Zunächst arbeitete er als Architekt, näherte sich dann über Architektursimulationen seinem Thema Panorama an. Dann suchte er nach anderen Themen, die er mit diesem Medium visualisieren konnte. Da kamen ihm 50 Jahre Everest-Erstbesteigung gerade recht; weil das Projekt in Oberhausen flöten ging, kam Asisi 2003 nach Leipzig. Er einigte sich mit den Stadtwerken, die nicht unfroh waren, einen interessierten Nutzer fürs Gasometer zu finden. Nach eigenen Angaben wäre Asisi mit 50.000 Besuchern sehr zufrieden gewesen. Am Ende waren fast zehn Mal mehr da. Mit Amazonien und Völkerschlacht schuf Asisi weitere Besuchermagnete. Ab Oktober wird seine Version des Great Barrier Reef an der Panometer-Wand kleben.

Worin liegt der Reiz des Phänomens Panorama? Den Überblick zu haben ist für viele Menschen ein Erlebnis, und sei es nur über eine vollendete Fiktion. Panoramen bieten eine klare Horizonterfahrung, die im Alltag vermisst wird. Auf einer Plattform stehend, wird dem Betrachter der freie Blick und die klare Aussicht auf die Szenerie gewährt. Keine Wetterkapriole stört, den Standpunkt muss man sich nicht mühsam erkämpfen. Eine visuell einfache Sprache ermöglicht den leichten Zugang, erst zu entziffernde Symbole fehlen. Alles steht für sich selbst. Durchkomponiert und mit vielerlei Technik gespickt, mit Musik und Soundeffekten ausstaffiert sind Asisis Panoramen weit mehr als bloße Wandbilder. Es sind Eventhallen, die zum hyperrealistisch verdichteten, monumentalen Kunst-Druck eine multisinnliche Erfahrung versprechen. Man muss nur dran glauben wollen.

Es scheint paradox, dass das Panorama gerade Anfang des 21. Jahrhundert ein Revival erlebt. Ist das eine harmoniesuchende Retro-Bewegung, die sich modernster Technik bedient? Ausdruck eines Überdrusses an virtuellen Digital-Räumen, der die Menschen in die rund gemauerte künstliche Welt treibt? In Leipzig hat Asisi jedenfalls noch einiges vor. Das Panometer soll zu einer Art Premierenhaus werden, wo die Themen jedes Jahr wechseln und sich Verantwortliche aus anderen Städten aussuchen können, welches Wandbild sie in ihre Kommune holen. Leipzig als Show-Room, quasi.


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