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Konzertkritik

Stöhnen bei Bach

Rückblick auf die Jazztage

  Stöhnen bei Bach | Rückblick auf die Jazztage

Zwanzig unterschiedliche Konzerte für ein breites Publikum: Unter der Überschrift »Cinematic Jazz« haben die 39. Leipziger Jazztage die Bühnen der Stadt mit internationalen Stars wie Brad Mehldau und Lokalmatadoren wie Evgeny Ring gefüllt.

Am dichtesten rückten Klang und Bild dort zusammen, wo Stummfilme live vertont wurden. Und das passierte während der 39. Jazztage zahlreich: LU:V widmeten sich erneut Animationsfilmen aus der DDR, Echtzeit auftragskomponierten die Musik für Trickfilme des Leipziger Comiczeichners Schwarwel und Michael Wollny (Piano), Eric Schaefer (Percussion) und das älteste aktive Blasorchester Norwegens, Det Norske Blåseensemble, fanden sich zusammen, um einem der ältesten Leinwandvampire (»Nosferatu«, 1922) im ältesten Kino der Stadt frisches Blut einzuflößen. Nur vier Jahre nach »Nosferatu« erschien Lotte Reinigers wundervolles Scherenschnitt-Meisterwerk »Die Abenteuer des Prinzen Achmed«, das dank der nicht minder wundervollen Live-Vertonung durch den französischen Kontrabass-Virtuosen Renaud García-Fons und seinem Ensemble für den magischsten Moment des Festivals sorgte. Der Soundtrack, den er dem orientalischen Animationsfilm verlieh, schmiegte sich an die 1001-Nacht-Thematik des Films – viel mehr, als dereinst die originale Filmmusik aus Babelsberg.

Auch in diesem Jahr gaben sich auf den sehr verschiedenen Bühnen der Stadt sowohl weltweit gefeierte als auch regionale Ensembles die Klinke in die Hand: Das Fusion-Trio um Wayne Krantz konnte trotz fürchterlicher Akustik in der Moritzbastei einen unglaublichen Groove entwickeln. Die gerade mal zwanzigjährigen Jungs von Nahtanoi knipsten im Horns Erben das Licht aus und Evgeny Ring nahm im Schauspielhaus den Jazznachwuchspreis entgegen. Einer der ganz großen Nummern der Jazzwelt ist der Pianist Brad Mehldau, der sich in der Thomaskirche zur Popmusik bekannte. »After Bach« heißt sein Konzert, und er gesteht mit Blick auf das Grab des Thomaskantors: »Ich bin ein bisschen nervös.« Bach selbst kommt in seinem Programm nur ein einziges Mal vor, der Rest sind zehnminütigen Improvisationen über Themen von den Beatles bis zu Neil Young. Die häufig proklamierte stilistische Nähe zu Keith Jarrett scheint in der Tat nicht weit hergeholt zu sein, auch wenn Mehldau selbst bei den exstatischsten Passagen nicht so schön stöhnt wie dereinst Jarrett.

Aufgrund von Umbauten in der Oper war in diesem Jahr das Schauspielhaus der Spielort mit den weichesten Sesseln. Zwischen rotem Plüsch und Kronenleuchter konnten Sex Mob hier gleich zu Beginn das Publikum für sich gewinnen. So schlecht, wie die Witze des (nach eigenen Angaben) 116 Jahre alten Trompeters Steven Bernstein waren, so gut war die Show, die sie geboten haben. Bernstein, mehr noch aber Schlagzeuger Kenny Wollesen hatten mit ihrer ausgeflippten Art mindestens genau so viel Spaß wie ihr Publikum. Vielleicht hängten sie damit die Latte zu hoch, denn mit dieser Show konnte die nachfolgende Johanna Borchert nicht mithalten. Die Rechnung, die vor einigen Jahren mit Lee Konitz und Sophie Hunger in der Oper überzeugte, nämlich der Stilbruch von Jazz auf Rock/Pop, wollte einfach nicht aufgehen. Musikalisch war das Quartett tadellos, aber sie konnten keine Verbindung zum Publikum aufbauen. Bei schönen Visualisierungen mit Nordlichtern und Mondlandschaften wirkten die meisten Stücke etwas blass. Moritz Baumgärtner ist zwar am Schlagzeug immer ein Erlebnis, aber jedes Mal, wenn er sich gerade eingegrooved hatte, kamen ein paar Brüche und elektronische Effekte zu viel, und er war wieder draußen. Johanna Borchert versuchte indes, die Stimmung mit reichlich spröden Ansagen zu retten: »Wenn Sie nicht in Ihren bequemen Sesseln sitzen würden, würden Sie jetzt alle tanzen.» Naja. Nur wer Spaß auf der Bühne hat, so der Zirkelschluss, kann auch für gute Laune im Publikum sorgen. Das zeigten ab Mitternacht auch die Jungs vom Trio Schmetterling auf der Baustelle des Schauspielhauses mit viel Energie, viel Elektronik (»Wir lieben Knöpfe!«), viel Spaß und krummen Takten.

Am beeindruckendsten aber waren die beiden Abschlusskonzerte: Sowohl beim Ensemble des norwegischen Elektro-Jazz-Trompeters Nils Petter Molvær als auch beim Klaviertrio um Omer Klein fällt es schwer, nicht ins Schwärmen zu geraten. Die überirdischen, sphärischen Klänge Molværs, eingehüllt in weißen Nebel, rissen die Zuhörer gänzlich aus dem Hier und Jetzt. Beim Klaviertrio waren es die Präzision, die zurückhaltende Virtuosität von Bass und Schlagzeug sowie das lyrische Klavierspiel Omer Kleins, sprich: die Details, die in Summe von der überragenden Qualität der zum Teil blutjungen Musiker gezeugt haben.

Die 39. Leipziger Jazztage haben ihr erstaunlich breites Publikum zu begeistern gewusst.


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