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Filmkritik

Die Vorfreude steigt

Die Kinostarts im Überblick und was sonst Filmisches in der Stadt geschieht

  Die Vorfreude steigt | Die Kinostarts im Überblick und was sonst Filmisches in der Stadt geschieht

Das Programm des 58. DOK Leipzig steht! An vielen Orten kann man bereits das frisch gedruckte Programm abgreifen und sich einen ersten Eindruck davon verschaffen, wie das Programmteam die Vermählung von Dokumentar- und Animationsfilm bewerkstelligt hat. Auch wir gehen nächste Woche online und liefern die gewohnt kritische Berichterstattung zum Festival im Rahmen des kreuzer Dok-Blogs. Am 26.10. geht es dann los mit dem Filmrausch in den Passage Kinos, dem CineStar, der Schaubühne Lindenfels, der Cinémathèque in der naTo und im Polnischen Institut, wo eine Auswahl des Programms kostenfrei zu sehen sein wird. Daneben geht es in den Knast und in den Kiez und an Orte, wo ihr bisher kein DOK vermutet hättet. Haltet die Augen offen: Das DOK kommt!

Film der Woche: Ein kleiner Ort in der Ukraine. Aus der Entfernung beobachten wir einen Teenager dabei, wie er nach dem Weg zum örtlichen Internat für Gehörlose fragt. Der Bau soll fortan sein Heim sein und hier herrschen ganz eigene Gesetze, wie er bald feststellt. Als Neuer muss er sich beweisen vor der Meute seiner Mitschüler. Im Faustkampf behauptet er sich und wird als Handlanger für die Älteren rekrutiert. Sie haben hier das Sagen und setzen ihre Autorität durch Gewalt an den jüngeren Schülern durch. Ihr System aus brutalen Übergriffen auf Passanten, den Verkauf von Tand an Bahnreisende und die Prostitution ihrer Mitschülerinnen am nahegelegenen LKW-Parkplatz ist organisiert. Die erwachsenen Lehrkräfte sind nahezu abwesend. Der Neue unterwirft sich den Regeln, bis er sich in eines der Mädchen verliebt. Miroslav Slaboshpitsky beobachtet das Treiben der Heranwachsenden aus der Distanz in schmerzhaft langen Einstellungen. Es gibt kein Eindringen in die Gefühlswelt seiner Protagonisten. Ihre stummen Gesten bleiben den Hörenden unerschließbar. Keine Untertitel helfen. Das fordert den Zuschauer, legt eine unangenehme Stille über die schmerzhaften Szenen. »The Tribe« – der Stamm, hat Slaboshpitsky sein Werk genannt und man könnte die Gemeinschaft der Jugendlichen genauso gut als Wolfsrudel beschreiben. Tieren gleich sind sie stark im Rudel, die Schwachen bleiben auf der Strecke. Ein unangenehmes Werk, das lange nachhallt. Ausführliche Kritik von Stephan Langer im aktuellen kreuzer. »The Tribe«: ab 15.10., Schaubühne Lindenfels

Der 70. Geburtstag des Patriarchen Hannes Westhoff: Die zweite Frau hat die Familie eingeladen. Dazu zählt neben Hannes’ Söhnen plus Partner auch die Mutter der Kinder aus erster Ehe. Doch schnell ist klar: Der gefeierte Konzertpianist ist ein selbstgefälliges Arschloch, vor dessen Spott niemand sicher ist. Einen ersten Höhepunkt gibt es, als er homophob gegen den Lebensgefährten seines jüngsten Sohnes Frederik pöbelt. Weder Frederik noch der windige Gregor und auch nicht sein Ältester, Max, sind offenbar so gediehen wie gewünscht. Die Ex-Frau erträgt alles schon seit Jahren nur ordentlich angetrunken, während ihre Nachfolgerin naiv versucht, Frieden zu bewahren, wo keiner ist. Stellvertretender Zaungast für uns Zuschauer bei dieser schrecklich realen Familie ist die Krankenschwester Jenny, die Max spontan mitgebracht hat. Lars Kraume, der mit »Familienfest« und dem ebenfalls sehenswerten »Der Staat gegen Fritz Bauer« im Oktober gleich mit zwei Filmen in den Kinos vertreten ist, setzt ganz auf seine Darsteller. Das pointierte Drehbuch lässt auf kurze Versöhnungspausen schon die nächste Dissonanz folgen, bis am Ende ein für alle kathartischer Schlussakkord ertönt, der teuer bezahlt ist. Bei aller Bitterkeit blitzt aber auch immer böser Humor auf, der allem die nötige Würze verleiht, ohne die ernüchternde Wirkung zu schmälern. Ausführliche Kritik von Peter Hoch im aktuellen kreuzer. »Familienfest«: ab 15.10., Passage Kinos

Eine Dokumentation über eine noch lebende Persönlichkeit zu drehen, ist immer eine Gratwanderung. Allzu oft wird das filmische Werk unkritisch, weil es in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler entstand. Das Leben und Schaffen des David Hockney lässt diese Gefahr gar nicht erst aufkommen, ist es doch schillernd genug und so reich an Facetten, dass es bereits oft Sujet dokumentarischer Arbeiten war. Die Bekannteste entstand 1973, Jack Hazans »A Bigger Splash«, über Hockneys legendäre California Pool Paintings. Sie sind auch Herzstück der Biografie des britischen Regisseurs Randall Wright, der mit seinem schlicht »Hockney« betitelten Film einen umfassenden Blick in die Vita des Malers wirft. Von der Kindheit in der winzigen Wohnung in Yorkshire, das Heranwachsen geprägt von den Schatten des Zweiten Weltkriegs, hin zum gefeierten Künstler und medienwirksamer Persönlichkeit. Wrights Film lebt dabei von Hockneys Charme, der ihn auch heute noch umgibt, wie man in einigen aktuellen Interviews spüren kann. Der Regisseur klammert aber auch nicht Hockneys Homosexualität und die Beziehungen in seinem Leben aus. Viele seiner Wegbegleiter kommen zu Wort, seine größte Liebe aber schweigt. Aber auch so ist »Hockney« ein unterhaltsamer Streifzug durch die Jahrzehnte, ein umfassendes, wenn auch recht konventionell umgesetztes Porträt eines Künstlers und seiner Arbeit und gleichermaßen für Einsteiger und Kunstkenner informativ. Viele Grautöne gibt es zwar nicht, aber am Ende kann man dem Charisma des smarten Briten einfach nicht widerstehen. »Hockney«: ab 15.10., Passage Kinos kreuzer verlost Freikarten. eMail an film@kreuzer-leipzig.de (Betreff: »Kunscht«)

Kino brandaktuell: Während die Nachrichten beherrscht sind von Flüchtlingsströmen in die Festung Europa, schildert der italienische Regisseur Jonas Carpignano die Flucht zweier Männer aus Burkina Faso in ein vermeintlich besseres Leben in Italien. Ayiva verdingt sich als Handlanger der Schleuser, die täglich hunderte Menschen über die Grenze schmuggeln. Als er von einer Gruppe angeheuert wird, sie nach Tripolis zu bringen, sieht er seine Chance gekommen. Gemeinsam mit seinem Freund Abas macht er sich auf den Weg, um seiner Tochter eine Zukunft zu geben. Doch die Überfahrt wird zum Albtraum, aus dem es auch an ihrem Ziel im Süden Italiens kein Erwachen gibt. Carpignano verarbeitete bereits in seinem vielfach preisgekrönten Kurzfilm »A Chjàna« die Vorfälle von 2010, als es in Rosarno zu Unruhen zwischen Einheimischen und Migranten kam, bei denen 67 Menschen verletzt wurden und tausende Flüchtlinge umgesiedelt werden mussten. »Mediterranea« erzählt die Ereignisse im dokumentarischen Stil mit schonungslosem Realismus. Seine Darsteller sind zumeist Vertriebene, die selbst Opfer von rassistischen Übergriffen wurden und ihre Erfahrungen in den Film einfließen ließen. Auch wenn die Dramaturgie etwas Struktur vermissen lässt, ist vor allem die erste halbe Stunde ein intensiver, realistischer Einblick in die traumatischen Erlebnisse vieler Flüchtlinge, die man nach diesem Film vielleicht mit anderen Augen betrachtet. »Mediterranea«: ab 15.10., Kinobar Prager Frühling

South Boston in den 1970er-Jahren: FBI Agent John Connolly (Joel Edgerton) überredet den irischstämmigen Gangster Jimmy Whitey Bulger (Johnny Depp), mit dem FBI zusammenzuarbeiten, um einen gemeinsamen Feind zu eliminieren: die italienische Mafia. Diese unselige Partnerschaft gerät schnell außer Kontrolle, so dass Whitey sich der Verurteilung entziehen und seine Macht sogar stärken kann, um sich als einer der skrupellosesten und einflussreichsten Gangster in der Geschichte von Boston zu behaupten. Mal wieder eine wahre Geschichte, wie sie unglaublicher kaum klingen könnte: Jahrelang sponserte das FBI einen der größten Gangsterbosse in der amerikanischen Geschichte. James Whitey Bulger stieg so zum Paten von South Boston auf. Wer sich ihm in den Weg stellte, wurde liquidiert. Johnny Depp spielt Bulger mit beeindruckender Präsenz. Eine Oscarnominierung dürfte drin sein. Aber auch sonst überzeugt Scott Coopers (»Crazy Heart«) Gangsterepos im Stil von Scorsese und Coppola. »Black Mass«: ab 15.10., Schauburg (auch OmU)

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Weitere Filmtermine der Woche

Boza Dokumentarfilm über die Flucht von Afrika nach Europa. Atopie & Refugees Welcome Leipzig. Im Anschluss Party. 16.10., 21 Uhr, Institut für Zukunft

Shorts Attack: Shnit International Das shnit International Shortfilmfestival aus Bern in der Schweiz präsentiert 8 Filme in 100 Minuten. 16.10., 21 Uhr, UT Connewitz

Stalker Unter der Führung des Stalkers, eines ortskundigen Pfadfinders, der am Rande einer verfallenen Industrielandschaft lebt, begeben sich ein Wissenschaftler und ein Schriftsteller in die verbotene »Zone«. Philosophische Dystopie nach dem Roman »Picknick am Wegesrand« der Strugazki-Brüder. 18.10., 18 Uhr, Schaubühne Lindenfels

Jahrgang 45 Ein junges Ehepaar vom Prenzlauer Berg hat beschlossen, sich zu trennen. Alfred hat das Gefühl, sich nicht entfalten zu können. Er nimmt ein paar Tage Urlaub, bummelt durch Berlin, trifft Freunde und Bekannte, lässt sich treiben. Jürgen Böttchers einziger Spielfilm wurde 1966 als »nihilistisch und skeptizistisch« gebrandmarkt und rasch verboten. – Vorfilm: »Barfuss und ohne Hut« (Dok) - Filmreihe: »Dekadent. Jugendgefährdend. Staatsfeindlich« – DEFA-Verbotsfilme 1965/1966 19.10., 20 Uhr, UT Connewitz

 

Die Realität ist nicht genug – Personalie: Ulrich Seidl Eine Werkschau in der Cinémathèque in der naTo

Tierische Liebe Radikaler Dokumentarfilm über Tiere als Menschenersatz - eine tief verstörende Studie über die Einsamkeit von Großstädtern. 19.10., 19 Uhr

Hundstage Es ist drückend heiß südlich von Wien. In dieser Atmosphäre erzählen sechs Geschichten von drögem Alltag, schwülen Nächten und Tagen voller Einsamkeit und der Sehnsucht nach Liebe. Schonungslose, dokumentarisch geprägte Gesellschaftsstudie von Ulrich Seidl. 20.10., 19.30 Uhr

Jesus, du weißt Sechs Porträts von sehr gläubigen (vor allem katholischen) Christen und ihren intimen Gebeten und Gesprächen mit Jesus und Gott. Formal sehr strenge, Ulrich Seidl-typische Dokumentation, ebenso erhellend wie irritierend. 20.10., 22 Uhr

Paradies: Liebe Eine Frau auf der Suche nach Liebe in Afrika. Auftakt der »Paradies«-Trilogie von Ulrich Seidl. – Regisseur Ulrich Seidl wird zu einem Gespräch nach dem Film anwesend sein. 21.10., 19 Uhr

Paradies: Glaube Der zweite Teil von Ulrich Seidls »Paradies«-Trilogie begleitet eine einsame Katholikin auf Missionsarbeit in der Nachbarschaft. Ausgezeichnet mit dem Spezialpreis der Jury beim Filmfestival in Venedig 2012. 21.10., 22 Uhr

Paradies: Hoffnung Ein Teenie-Mädchen im Abspeck-Camp: der hoffnungsvolle Abschluss von Ulrich Seidls »Paradies«-Trilogie. 22.10., 20 Uhr

Im Keller Österreichs Grenzgänger inszenierte diesmal wieder in der Form des Dokumentarfilms einen Einblick in die Kellerräume seiner Mitmenschen, wo Hobbys und Perversitäten gedeihen. 23.10., 20 Uhr

Ulrich Seidl und die bösen Buben Zum ersten Mal gewährt der radikale Filmemacher Einblick in seine Arbeit. Constantin Wulff begleitet ihn bei den Dreharbeiten zu »Im Keller«. 23.10., 22 Uhr

 

Rotation Berlin während der NS-Zeit. Der Maschinenmeister Hans Behnke ist tüchtig, und Politik interessiert ihn nicht. Bis er eines Tages von seinem Schwager gebeten wird, eine Druckmaschine zu reparieren, auf der antifaschistische Flugblätter hergestellt werden. 20.10., 20 Uhr, Cineding

Sóbibor, 14 octobre 1943, 16 heures Ursprünglich als Teil seiner »Shoah«-Dokumentation geplant, verarbeitete Claude Lanzmann das Interview mit dem Holocaust-Überlebenden Yehuda Lerner zu einem eigenständigen Film. Zu Recht. Immerhin berichtet Lerner detailliert vom einzigen verbürgten Juden-Aufstand in einem Nazi-KZ. Ein erschütterndes historisches Dokument, das den Mythos vom Juden als willigem Opferlamm korrigiert. 20.10., 22 Uhr, Cineding

Dark Lullabies Einer der ersten Dokumentarfilme über die Kinder von NS-Überlebenden und -Tätern. 21.10. 20 Uhr, Cineding

Eisenstein in Guanajuato Irrwitzigen Aufarbeitung der Aufzeichnungen Sergej Eisensteins während der Dreharbeiten zu »Que Viva Mexico«. Preview (ab 12.11. im Kino) Im Rahmen von »Queerblick. Die schwulesbische Filmreihe« 21.10., um 19.30 Uhr, Passage Kinos

Kinotour Deutscher Kurzfilmpreis 21.10., 21.15 Uhr, Kinobar Prager Frühling

Voices from the Attic Verstecken und Überleben im Holocaust. – Vorfilm: »Echoes from the Attic« – anschließend Filmgespräch mit Regisseurin Debbie Goodstein 19.10., 20 Uhr, Cineding

Friendship! Trip durch Amerika: Zwei Freunde nach dem Mauerfall auf ihrem beschwerlichen Weg nach San Francisco. Unterhaltsames Roadmovie. 20.10., 19 Uhr, Zeitgeschichtliches Forum

Zurück in die Zukunft 1–3 Tipple Feature (USA 1985–90) Der Tag in der Zukunft, an dem wir in selbstschnürenden Turnschuhen auf Hoverboards fliegen, ist nur noch wenige Tage entfernt. Um Marty McFly willkommen zu heißen, gibt es alle drei Teile am Stück. Let’s party like it’s 2015! 21.10. 18.30 Uhr, Cineplex, CineStar 20 Uhr, Moritzbastei (OmU) 16.29 Uhr, Regina Palast 19 Uhr, Flower Power

Inside Job Ebenso spannende wie entlarvende Dokumentation über Ursachen und Folgen der weltweiten Finanzkrise. Oscar 2011 für den besten Dokumentarfilm. Wissenschaftskino mit Gespräch über Finanzkrisen und das Vertrauen in Banken mit den Wirtschaftswissenschaftlern Prof. Dr. Andreas Suchanek und Prof. Dr. Bernhard Schwetzler. 22.10., 19 Uhr, Zeitgeschichtliches Forum

Kurz & Gut Die Passage Kinos zeigen wieder talentierte Filmemacher der Stadt mit der studentischen Kurzfilmrolle der Uni Leipzig. 22.10., 21 Uhr, Passage Kinos

Die lange queere Filmnacht Queeres Kino mit »Happy End« (D 2014) und »Cloudburst« (USA 2011; OmU). 23.10., 21 Uhr, Frauenkultur

Intimes: Holger – Glück ist jeder Augenblick & Lady Tarna Dokumentarfilme des Berliner Filmemachers Chris Caliman. 23.10., 20 Uhr, UT Connewitz

Kehraus (D 1990, Dok), Kehrein, Kehraus (D 1996, Dok) Dokumentarische Langzeitbeobachtungen der Stadt. Gerd Kroske macht den Wandel Leipzigs anhand einer Gruppe Straßenkehrer über zwei Jahrzehnte deutlich. Wie kommen die Menschen mit dem Wandel der Zeit zurecht? Ein spannendes Zeitdokument. Anschließend Filmgespräch mit Gerd Kroske. 23.10., 20 Uhr, Pöge-Haus

Paris Texas Wim Wenders' in Cannes mit der Goldenen Palme prämiertes Roadmovie über den Mythos und den Traum von Amerika mit der Musik von Ry Cooder. Eine filmästhetisch bestechende und emotional mitreißende Synthese aus publikumswirksamem Genrefilm und europäischem Autorenkino. – Psychoanalyse trifft Film 23.10., 19.30 Uhr, Passage Kinos

Unser letzter Sommer Im Sommer 1943 ist Ostpolen von Deutschland besetzt. Vier Teenager erleben die Grausamkeiten des Krieges auf beiden Seiten – und die Schönheit zwischenmenschlicher Gefühle. Leipzig-Premiere in Anwesenheit von Regisseur und Drehbuchautor Michal Rogalski, Darsteller Gerdy Zint, Kameramann Jerzy Zieliński sowie dem Produzententeam 22.10, 19.30 Uhr, Passage Kinos kreuzer verlost 3x2 Freikarten für die Premiere. eMail mit Name an film@kreuzer-leipzig.de (Betreff: »Premierenkino«)


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