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Filmkritik

»Einfache Geschichten einfach erzählt«

Die Kinostarts im Überblick und was sonst Filmisches in der Stadt geschieht

  »Einfache Geschichten einfach erzählt« | Die Kinostarts im Überblick und was sonst Filmisches in der Stadt geschieht

Er gilt als einer der wichtigsten Drehbuchautoren der deutschen Filmgeschichte, wird mit Erich Kästner verglichen und mit Billy Wilder. Doch Wolfgang Kohlhaase ist jede Art von Künstlerattitüde fremd, intellektuelle Phrasendrescherei sowieso. 1931 in Berlin geboren, erhielt Kohlhaase für seine Arbeit als Drehbuchautor zahlreiche nationale und internationale Auszeichnungen, sein Lebenswerk umfasst sechzig Jahre deutsch-deutscher Filmgeschichte. Kohlhaase schrieb die Drehbücher für DEFA-Klassiker wie »Berlin – Ecke Schönhauser«, »Ich war neunzehn«, »Der Aufenthalt« oder »Solo Sunny«. Besonders erfolgreich ist Kohlhaases Zusammenarbeit mit dem Regisseur Andreas Dresen, für den er unter anderem die Vorlagen für »Sommer vorm Balkon« und zuletzt »Als wir träumten« schrieb. Nun widmet ihm die Cinémathèque in der naTo eine Retrospektive, bei der viele Klassiker, aber auch nach der Wende entstandene Filme wie Volker Schlöndorfs »Die Stille nach dem Schuss« zu sehen sind. Ein ausführliches Interview mit dem Autor gibt es im aktuellen kreuzer. > Filmreihe »Personalie: Wolfgang Kohlhaase«, 16.–19.2.,Cinémathèque in der naTo

Film der Woche: Dieser Thomas ist schon ein ganz schöner Waschlappen. Am liebsten geht er jedem Konflikt aus dem Weg. Seine Frau Martina verachtet ihn dafür, seine 15jährige Tochter Jenny nutzt es schamlos aus, dass er nicht nein sagen kann. Obwohl sie keinen Bock hat und seine Frau keine Zeit, besteht Thomas darauf, mit der Familie in den Skiurlaub zu fahren. Auch als Sarah auf dem Rücksitz Platz nimmt, gibt es keine Widerworte von Thomas. Schließlich ist sie die Tochter des Chefs und der Duckmäuser rechnet sich berufliche Aufstiegschancen aus, wenn sie mit in den Familienurlaub kommt, auch wenn Jenny relativ schnell von ihr angenervt ist. Dann gibt’s eben ein neues Snowboard und die familiäre Harmonie ist wieder hergestellt. Täglich geht der Papa mit den Mädchen auf die Piste. Martina vergräbt sich derweil in Arbeit. Als der Sohn des Pächters Severin die Mädels in die örtliche Disco einlädt, fährt Thomas sie sogar in den Ort. Doch dann kommt es zur Katastrophe, die Thomas' heiles Weltbild aus dem Gleichgewicht bringt. Jeder Versuch, das Geschehene zu verheimlichen, reitet den Familienvater nur noch tiefer in den Schlamassel. Thomas manövriert sich konsequent in den Abgrund und es ist fast schmerzhaft dem von Devid Striesow verkörperten Pantoffelhelden dabei mitansehen zu müssen. Striesow gibt seine Figur nicht der Lächerlichkeit preis. Für jeden seiner Schritte gibt es Gründe und doch vergräbt man als Zuschauer seine Finger immer tiefer in der Sitzlehne. Jeder Schritt hallt im Zuschauer nach und man stellt sich zwangsläufig die Frage: wie würde ich handeln? Es ist bemerkenswert, mit welch bitterer Konsequenz der Schweizer Regisseur Micha Lewinsky, der mit seiner charmanten Komödie »Die Standesbeamtin« auch die Zuschauer hierzulande begeisterte, seine Geschichte durchzieht. Das kann das Schweizer Kino, dem deutschen hätte vermutlich der Mut dazu gefehlt. Ausführliche Kritik im aktuellen kreuzer.

»Nichts passiert«: ab 11.2., Passage Kinos

Die 88-jährige Anne regiert ihr Leben in Bochum vom Sofa aus. Vor kurzem ist ihr Mann gestorben. Er hatte im Alltag gekonnt überspielt, was nun für die Töchter erschreckend deutlich wird: Anne wird dement. Jowitas Familie wohnt im polnischen Lubin seit Jahren in der Baustelle ihres Hauses. Die Küche fehlt, die Schlafzimmer sind noch im Rohbau. Es fehlt an Geld. Zwei Familien, die eine scheinbar perfekte Win-win-Situation zufällig zusammenführt.

»Family Business«: 14./15., 18./19., 21., 23., 25.2., Cinémathèque in der naTo

Eine legendäre Rockband aus Grönland, die auf Grönländisch sang? Es gab sie tatsächlich. Im Jahre 1973 veröffentlichte die grönländische Band Sumé ihr Debüt-Album (»Sumut«) und eroberte in Rekordzeit die Haushalte der Insel hoch oben im eisigen Norden. Heute, über 40 Jahre später, erzählt der grönländische Dokumentarfilm die Geschichte des Aufstands der 70er Jahre in der ehemaligen dänischen Kolonie. Mit aktuellen Interviews, rarer Super-8 Footage und Archivmaterial zeigt der Film, wie einflussreich die politischen Songs der Band auf die ersten Jugendproteste gegen die dänische Unterdrückung des Landes waren. Die Songs handeln von den sozialen Missständen in der grönländischen Gesellschaft und dem Verlust der indigenen Inuitkultur sowie von der Ausbeutung der Natur. »Am Anfang waren wir alle schockiert, als wir Sumés Musik hörten…Es hatte ja noch nie jemand vorher auf Grönländisch gesungen!«, erzählt eine Grönländerin im Film. Der Soundtrack zur Protestbewegung: the sound of a revolution.

»Sumé – The Sound of a Revolution«: ab 11.2., Kinobar Prager Frühling

Flimmerzeit_Januar_2016

 

Weitere Filmtermine der Woche

Bowlingtreff Im Jahr 1987 eröffnet, wurde der Bowlingtreff zu einem Symbol für die Sportstadt Leipzig. In Anwesenheit der Filmemacher Adrian Dorschner und Thomas Beyer. 13.2., 21 Uhr, UT Connewitz

Dringende Heirat Die Journalistin Zhenja möchte gerne Chefredakteurin werden, doch dafür erwarten die Aktionäre der Familienzeitschrift, für die sie arbeitet, dass sie verheiratet ist. Russisches Kino 14.2., 17 Uhr, Cineplex (OF)

 

Personalie: Wolfgang Kohlhaase, Cinémathèque in der naTo

Berlin - Ecke Schönhauser (DDR 1957) Unter dem U-Bahn-Bogen auf der Schönhauser Allee treffen sich täglich die Jugendlichen, denen der Platz im Elternhaus zu eng wird. Mutproben sind an der Tagesordnung, und für eine Westmark wirft man schon mal eine Laterne ein. Engagierter Jugendfilm mit authentisch wirkenden Figuren, ein herausragendes Beispiel für die während der sogenannten Tauwetter-Periode entstandenen DEFA-Filme der 50er Jahre. 16.2., 19.30 Uhr

Die Stille nach dem Schuss Deutschland in den 70er Jahren: Über die Neigung zur Anarchie kommt Rita zum Terrorismus, verführt durch ihren Gerechtigkeitssinn und durch die Liebe zu Andi. Als sie das Scheitern der Bewegung erkennt, taucht sie in der DDR unter, wo sie mit Hilfe der Staatssicherheit eine neue Existenz beginnt. Ein überzeugender Versuch deutsch-deutscher Geschichtsaufarbeitung mit zwei großartigen Hauptdarstellerinnen. 16.2., 22 Uhr

Der Aufenthalt Der junge deutsche Kriegsgefangene Mark Niebuhr kommt mit einem Transport im Oktober 1945 auf dem Warschauer Güterbahnhof an. Eine Polin glaubt, in ihm einen SS-Mann wiederzuerkennen, der ihre Tochter ermordet hat. Modellhaftes, dabei sehr packendes DEFA-Drama von Frank Beyer über Schuld und Verantwortung unter Kriegsrecht und Gewaltherrschaft; nach dem gleichnamigen Roman von Hermann Kant. 17.2., 19 Uhr

Solo Sunny Sunny ist Schlagersängerin und tingelt mit ihrer Band durch Dörfer und Kleinstädte. Sie sehnt sich nach Glück und Anerkennung als Persönlichkeit, aber ihre Beziehungskisten sind kompliziert und selten dauerhaft. Nach einer Auseinandersetzung mit einem Musikerkollegen und dem widerlich-dummen Conferencier Benno Bohne fliegt sie schließlich aus der Band. Silberner Bär auf der Berlinale 1980. 18.2., 19 Uhr

Der nackte Mann auf dem Sportplatz Kemmel ist ein Bildhauer, der es sich und anderen nicht leicht macht. Auf die vierzig zugehend fragt er sich, was er bisher Bedeutendes geschaffen hat – zumal nur wenige seiner Arbeiten auf große Bewunderung stoßen. Als er dann für einen Fußballclub die Skulptur eines nackten Sportlers anfertigt, löst das peinliche Verwicklungen aus. Konrad Wolfs leise, dennoch ungemein pointierte Tragikomödie reflektiert die Widersprüche des DDR-Alltags und die Suche nach dem Platz des Künstlers in seiner Gesellschaft. In Anwesenheit von Wolfgang Kohlhaase. 19.2., 20 Uhr

 

Cinema Perverso Die wunderbare und kaputte Welt des Bahnhofskinos und anschließend erotische Trailer der siebziger Jahre 16.2., 20 Uhr, LURU-Kino in der Spinnerei

Afrofuturismus - African Science Fiction Shorts - Kurzfilme und Gespräch Die künstlerische Bewegung nutzt das Science-Fiction-Genre, um schwarze Versionen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu imaginieren. Während die Afrofuturismus-Bewegung vor allem eine kann man ihre Wurzeln auf dem afrikanischen Kontinent nicht ignorieren: Die Vorstellung und Utopie einer zukünftigen Welt, einer grundsätzlich unterschiedlichen Welt, jenseits von hegemonialen Kategorien und Gegensätzen, bis hin zur Infragestellung des Begriffs des (Post)Humanismus waren schon immer integraler Bestandteil der afrikanischen Erzähltraditionen. 18.2., 19 Uhr, Grassi-Museum für Völkerkunde

Der unsichtbare Dritte Der kauzige, aber charmante New Yorker Werbefachmann Roger Thornhill wird irrtümlich für einen Mann namens George Kaplan gehalten und entgeht nach einer Entführung nur knapp dem Tod. Als er Licht in die Sache bringen will, gerät er selbst unter Mordverdacht, kann aber herausfinden, dass Kaplan eine Erfindung der amerikanischen Spionage-Abwehr ist, die feindliche Agenten irreführen will. Hitchcock at his best. Auch wenn der Showdown etwas in James-Bond-Nähe geriet, ein Meilenstein des ironischen Thrillers. 18.2., 20 Uhr, Moritzbastei (OmU)

Stretch and Bobbito: Radio That Changed Lives Laut dem Source Magazine »die beste HipHop Radioshow aller Zeiten« im Porträt mit Statements von vielen Künstlern, die dort zum ersten Mal zu hören waren, wie Nas, Biggie und Wu-Tang. After-Show: Antr (Girls Edit), Salomo & Rufus Grimes (VARY), Spinstones (Spread Dope Music) 18.2., 20 Uhr, Institut für Zukunft


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