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Kultur

Was tun?

Die Ausstellung »Flucht, Asyl, Protest? Wir müssen reden!« im Zeitgeschichtlichen Forum

  Was tun? | Die Ausstellung »Flucht, Asyl, Protest? Wir müssen reden!« im Zeitgeschichtlichen Forum

»Was meinen Sie – schaffen wir das mit den Flüchtlingen?« fragte die Kölner Fotografin Bettina Flitner im Auftrag des Hauses der Geschichte Leipziger Passanten und Prominente. Heraus kam eine Foto-Dokumentation, die noch bis zum 20.3. im Zeitgeschichtlichen Forum zu sehen ist. Mit dem Titel »Flucht, Asyl, Protest? Wir müssen reden!« zeigt die Installation das große Dilemma auf, wenn Kunst als Schlüsselmoment in gesellschaftliche Debatten eingreifen möchte. Herauskommt dabei oftmals gestylter Aktionismus. Und dabei wollte das Haus der Geschichte in Bonn nur helfen. Aber das bloße Abbilden einer Person mit ihrem Statement zur Flüchtlingssituation initiiert noch keine Kommunikation.

In der zweiten Etage des Zeitgeschichtlichen Forums, direkt im Eingangsbereich zur Wechselausstellung »Immer bunter. Einwanderungsland Deutschland«, unmittelbar zum Bild »Mauerstück« von Rainer Fetting, das die Berliner Mauer aus dem Jahr 1988 zeigt, steht ein langer Tisch übersät mit A4-Blättern und Filzstiften. Hier sind auf die Frage »Schaffen wir das?« zumeist bejahende Argumente zu lesen. Neben dem Tisch sind per Beamer Menschen mit A4 großen Schildern mit ihren Meinungen zu sehen.

Drumherum hängen im Raum überlebensgroße Fotografien, die ebenfalls Menschen mit ihren aufgeschriebenen Gedanken zeigen. Sie stehen vor schwarzem Hintergrund, schauen in die Kamera und halten in der Hand ein gebasteltes Schild mit ihren Argumenten für oder gegen die Aufnahme von geflüchteten Menschen, ihren Optimismus wie auch ihre Ängste, Skepsis oder totale Ablehnung, ob die derzeitige Situation zu schaffen sei. Auf dem Fußboden liegt eine Unmenge an Zetteln, die ebenfalls Botschaften zum Thema enthalten. Während einige Leipziger Prominente – die Pfarrerin der Thomaskirche Britta Taddiken, der pensionierte Pfarrer Christian Wolff, der Oberbürgermeister oder Sebastian Krumbiegel – direkt angefragt wurden, sprach die Künstlerin Passanten auf der Straße an. Ihr Arbeitsprinzip erklärte sie auf kreuzer-Anfrage: »Ich habe alle Meinungen und Menschen zugelassen, denn bei dieser Arbeit geht es ja genau darum, das Thema zu diskutieren. Ich bin der Meinung, dass jedes Thema, und sei es noch so schwierig, offen besprochen werden sollte. Nichts ist so explosiv, wie Stimmungen, die sanktioniert und unter den Teppich gekehrt werden.«

Entgegen der Aufforderung »Wir müssen reden!« spricht keiner der zu sehenden miteinander. Alle Dargestellten sind nicht nur mit geschlossenem Mund fotografiert, sondern auch die zu lesenden Argumente beziehen sich nicht aufeinander. Stattdessen öffnen sich Blickachsen mit den unterschiedlichen Meinungen. Hier treffen etwa Polizeisprecher Andreas Loepki und »Jesus rettet«-Vertreter direkt aufeinander. Während Loepki davon ausgeht, dass die derzeitige Situation die Polizei noch Jahrzehnte beschäftigen wird, sehen die Jesus-Verehrer in den »Flüchtlingsströmen« den Anfang vom Ende der Welt. Burkhard Jung hängt in einer Blickachse zu Silvio Rösler, der als Kaufmann auftritt ohne Nennung seiner Aktivitäten bei Legida und der OfD.

Diese Präsentation wirft einige Fragen auf: Warum beauftragt das Haus der Geschichte eine Künstlerin, um nur in Leipzig die Gesichter und Meinungen einzusammeln? Wäre ein solches Projekt im Bonner Mutterhaus nicht ebenso interessant? Warum spricht hier niemand wirklich miteinander? Reicht die verschriftlichte Meinung aus, um eine gesellschaftliche Debatte auszulösen? Veranstaltet das Zeitgeschichtliche Forum parallel zur Ausstellung eine Veranstaltung, in der Argumente ausgetauscht werden können?

Auf die letzte Frage ist aus dem Haus zu vernehmen, dass eine Gesprächsveranstaltung nicht direkt zur Ausstellung geplant ist. Während der Buchmesse finden stattdessen Lesungen zu Migration und Flucht statt. Am 19.3. diskutieren Politiker beim 23. Europaforum die Frage: »Schaffen wir das, Europa?«.

Die Fotografin Bettina Flitner, die für ihre Foto-Dokumentationen schon einige Auszeichnungen erhielt, plant eine Ausstellung in Köln, »um die westdeutschen Meinungen zum Thema einzuholen.

Die Verschriftlichung der Meinungen stellt dagegen einen Teil ihrer künstlerischen Konzeption dar. Damit möchte Flitner »an die Leipziger Tradition der Demos und der Demoschilder« anknüpfen. Mit Leipziger Tradition ist die Friedliche Revolution von 1989 gemeint. Obwohl bei den Montagsdemonstrationen mit steigender Personenzahl viele Transparente mit politischen Forderungen zu lesen waren, bildete diese Ausdrucksweise nur eine Variante der damaligen Meinungsbekundungen. Vielmehr führten die Demonstrationen nicht nur zu unzähligen Debatten innerhalb der Demonstrationen selbst, sondern auch zu neuen Formen der Kommunikation – wie Runde Tische oder die Sonntagsgespräche im Gewandhaus. Die Menschen wollten reden, Argumente austauschen und waren auf die Meinung des Gegenüber gespannt. All das fällt hier unter den Teppich. Das isolierte Notieren von Gedanken nützt der Gesellschaft wenig, der Archivierung als Zeitdokument für die Museumssammlung allemal

So zeigt sich wieder einmal, dass etwas Gutgemeintes nicht immer gut sein muss. Darüber sollte nun wirklich einmal geredet werden.


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