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Kultur

Neues, buntes Grau

Matthias Hoch machte die erste Fotostrecke im kreuzer

  Neues, buntes Grau | Matthias Hoch machte die erste Fotostrecke im kreuzer

Das A4-große Kulturmagazin Connewitzer Kreuzer erschien am 19. Januar 1991 gemeinsam mit Die Leipziger Andere Zeitung. Zwischen Artikeln zur DDR-Lyrik und einem Text von Fred Gehler zum Film »Der Tangospieler« findet sich ein Fotoessay mit dem Titel »Neue Heimat« vom Leipziger Fotografen Matthias Hoch.

Die Fotoserie »Neue Heimat« entstand 1990. Matthias Hoch hatte von 1983 bis 1988 Fotografie an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst studiert und dort die Klasse für Fotografik von Joachim Jansong besucht. Ihn interessierte die Buntheit von Grau und nicht die in Leipzig durch Arno Fischer oder Evelyn Richter so stark besetzte sozialdokumentarische Fotografie in Schwarz-Weiß. In der Deutschen Bücherei studierte er Bildbände von Eugène Atget und dessen detailreicher Dokumentation von Paris sowie die Fotografie der Neuen Sachlichkeit von Karl Bloßfeldt und Albert Renger-Patzsch.

In seinen ersten Serien widmete sich Hoch der »alten« Heimat. 1986 entstanden Schwarz-Weiß-Fotografien zu »Leipzig« mit Aufnahmen von Fabrikanlagen im Leipziger Westen, im Süden liegenden Straßenkreuzungen oder dem Portal des Künstlerhauses am Nikischplatz während der Neubebauung des Kolonnadenviertels. Wer Leute sucht, wird keine finden, denn: »Ich brauchte und wollte keinen Vorwand für ein Bild: kein Ereignis, keine Sonne, keine Menschen«, sagt Hoch. Und Geschwindigkeit gehörte und gehört ebenfalls nicht in sein Repertoire. Ganz im Gegenteil: Sie zu stoppen bereitet ihm große Freude und das genau an den Orten, die durch Bewegung gekennzeichnet sind. Jenseits von der Hatz findet Hoch die Motive für seine Serie »Bahnhöfe« aus dem Jahr 1988. Dass Farbe nicht gleich Bunt bedeutet, ist auf den Farbfotografien von Bahnhofshallen, Schließfächern oder aus der Mitropa sehr gut zu erkennen. Die Aufnahmen möchten »unbunte, vergraute Farbkonstellationen« zeigen und erinnern heute – fast dreißig Jahre später – an längst nicht mehr vorhandene Orte und Ästhetiken. Die wenigen Menschen in den Bildern wirken dabei fahl und irgendwie zur falschen Zeit am falschen Ort, denn schnelle Bewegungen sind ausgeschlossen.

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Hoch nutzte die Chance, während des Studiums Anträge für Auslandssemester zu stellen, denn das bedeutete vor allem für Fotografen einen besseren Zugriff auf technische Artefakte zur farbigen Bilderproduktion. Der ebenfalls bei Jansong studierende Jens Rötzsch, der für seine Farbfotografien vom Turn- und Sportfest bekannt wurde, besuchte beispielsweise die Budapester Kunsthochschule. So stellte Hoch 1987 und 1988 Anträge für ein Gaststudium in der BRD. Dafür erhielt er Ermunterung seitens der Hochschule, doch aus der Schule heraus gelangten die Anträge nicht zu anderen staatlichen Stellen. Mit der Wende änderte sich das. Ende 1989 konnte er sich für ein halbjähriges DAAD-Stipendium in der BRD entscheiden. Die Wahl fiel auf Essen.

Hier gab es ein gut ausgestattetes Farblabor und Fotopapiere, die man in der DDR nur über Prag in geringen Mengen beziehen konnte. In Essen war Hoch in der neuen Heimat angekommen. Um sie intensiver zu erkunden, wählte er als Vorlage den Wim Wenders Film »Falsche Bewegung« aus dem Jahr 1975, bei dem der Protagonist Westdeutschland vom äußersten Norden bis zur Zugspitze durchmisst. Hoch tut es ihm 1990 gleich. Heraus kamen Farbfotografien von Flughäfen, Parkhäusern und Eigenheimsiedlungen. Alles Orte, die für jemanden aus der DDR einen gewissen Reiz ausübten zwischen Weltoffenheit und zugebautem Biedermeier.

Im kreuzer war auf zwei Doppelseiten eine Auswahl von sieben Fotografien zu sehen: Der Mercedes Benz, der in Essen zwischen Eigenheimeingang und Gerüst der Auffahrt eingeklemmt zu sein scheint. Ein Kind, das auf einem Klettergerüst sitzt, von ihm wenden sich drei Erwachsene ab, um auf die Rollbahn eines Flughafens zu schauen. Der Blick des Fotografen bleibt immer an etwas hängen, das sich in den Vordergrund schiebt – ob Pelzmantel, Drehkreuz, Maschendraht, Parkhaus oder andere Mauern. Der Blick trifft hier nirgends auf erhabene Ferne. Stattdessen zerteilen sich die Orte und erwecken beim Betrachter Freude darüber, nicht dort sein zu müssen. Eine Aufgeregtheit über das neu zu erkundende Stück Land bleibt – ganz seinen historischen Fotografievorbildern verpflichtet – völlig aus.

Dem voran stehen einige Zeilen zu Frankfurt/Main, Düsseldorf und Stuttgart, die Oberflächlichkeit, Glücklosigkeit und Einsamkeit verurteilen. Die Motivauswahl samt Anordnung erfolgte durch den kreuzer. Reaktionen auf die Serien sind dem Künstler nicht bekannt. Die Serie selbst war in Leipzig noch nie vollständig zu sehen.

In den folgenden Heften finden sich Fotostrecken von Olaf Martens und Gerhard Gäbler – jeweils mit einem kurzen Einstiegstext versehen. Im Juni 1991 erschien erstmals der kreuzer im heutigen äußeren Heftformat. Ein Fotoessay auf drei Seiten handelte damals vom »Jahrmarkt der Gegensätze« und zeigte Momente auf der Kleinmesse von Holger Ahrens.


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