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Kultur

Belebt/unbelebt

Bei der Euro-Scene 2016 steht die Puppenkunst im Zentrum – aber nicht nur

  Belebt/unbelebt | Bei der Euro-Scene 2016 steht die Puppenkunst im Zentrum – aber nicht nur

So ganz kann sich das Feuilleton diesen Nikolaus Habjan nicht erklären. Die Theaterhasen zeigen sich überrascht vom fabelhaften Figurentheater des 29-Jährigen – und lassen indirekt erkennen, dass sie vom Metier zuvor keine Ahnung hatten.

Die Zeit schrieb davon, dass im Gegensatz zum Marionettentheater Habjan mit seinen Klappmaulpuppen selbst auf der Bühne anwesend sei. Und hüllte das in den Klang eines Novums, als ob die Belebt-unbelebt-Doublette nicht seit Jahrzehnten der faszinierende Clou des Genres wäre. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Habjan ist ein hochinteressanter Künstler und ganz bestimmt kann er für die Puppenkunst eine Lanze brechen.

Um ddas Puppenspiel ist es in Leipzig gut bestellt, was Künstler wie Publikum betrifft. Schön, dass die heute startende Euro-Scene 2016 eine Habjan-Werkschau ins Zentrum ihres Programms setzt. Ann-Elisabeth Wolff, Leiterin des Festivals für zeitgenössisches europäisches Theater, erklärt die Beweggründe: »Nach 25 Jahren und dem Jubiläum überlegten wir: Was tun, wie geht es weiter? Holen wir wieder Platel, Castellucci? Die werden auch einmal wiederkommen, aber die Idee hieß, jetzt mit denen erst einmal Pause zu machen.«

Also lud sie Künstler ein, die in Leipzig noch nicht auf der Euro-Scene-Agenda standen. Nur Jan Martens war schon einmal da: Zur großen Jubiläumsfeier zeigte der Choreograf sein Tanz-Duett »Sweat Baby Sweat«. Nun könne er als Scharnier verstanden werden, sagt Wolff, für die nächsten 25 Jahre Euro-Scene. Heuer ist er mit zwei Tanzstücken vertreten. Unter den 13 Gastspielen aus zehn Ländern findet sich auch ein Tanzstück für Kinder (»De Kartonbewoners«) und die opulente Choreografie »I am beautiful«: Zu katalanischer Live-Folk-Musik wird das Thema Schönheit und Selbstermächtigung behandelt. Hintersinnig, nicht belehrend geht es im Sprechtheaterstück »Kosovo for Dummies« zu, das sich Heimat und Migration widmet.

Auf ihrer Tour, Neuland zu beschreiten, traf Festivalchefin Wolff auf Puppenspieler und Opernregisseur Habjan. »Hin und weg« sei sie schon von seinem »Missverständnis« (Camus) gewesen, aber dann kam »F. Zawrel – erbbiologisch und sozial minderwertig«. Das Stück erzählt die Erlebnisse von Friedrich Zawrel, der in Wien die Euthanasie der Nazis überlebte. Und später in Wien erneut auf seinen Peiniger traf, der ihm wieder böse mitspielte. Die grausame Geschichte fügte Habjan auf Basis von gemeinsamen Gesprächen zu seinem Figurenstück. »Nachdem ich das gesehen habe, hat das Theater das Leben geändert«, beschreibt Wolff ihre innere Bewegtheit als Zuschauerin. »Das war wie 1996, als ich das erste Mal ein Stück von Alain Platel sah. Das ist hochpolitisch, hochemotional, geradezu erschütternd. Man vergisst Zeit und Raum.« Neben dem »Das Missverständnis« wird Habjan einen Kreisler-Abend zeigen, ein Musik-Puppenspiel nach Franz Schubert sowie eine Einlage als Kunstpfeiffer geben. Denn das ist der Theater-Tausendsassa auch noch.


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