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Politik

»Es fehlt eine umfassende Bewertung der Partei«

Der Jurist Bijan Moini von der Gesellschaft für Freiheitsrechte über ein Verbot der AfD

  »Es fehlt eine umfassende Bewertung der Partei« | Der Jurist Bijan Moini von der Gesellschaft für Freiheitsrechte über ein Verbot der AfD  Foto: Maika Schmitt

Weil sie nicht das »Potenzial« habe, die Demokratie in Deutschland zu beseitigen, wies das Bundesverfassungsgericht 2017 den Antrag auf ein zweites Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme NPD (heute: Die Heimat) ab – das erste war 2003 aus »Verfahrensgründen« eingestellt worden. Die ebenfalls rechtsextreme AfD hat nun in Ostdeutschland Volksparteicharakter. Wir sprachen mit Bijan Moini über ein mögliches Verbot der Partei. Moini ist Jurist und Legal Director der Gesellschaft für Freiheitsrechte, ein Verein, der sich juristisch für Grund- und Menschenrechte einsetzt. Uns erklärt er, warum er ein Verbotsverfahren gegen die AfD nicht für undemokratisch hält und warum er trotzdem dagegen ist.
 

In Sachsen sitzt eine vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestufte Partei im Landtag. Macht Ihnen das Sorgen?
Mir macht das große Gewicht, das die Partei jetzt im Landtag hat, große Sorgen. Der Diskurs hat sich in den letzten Jahren extrem nach rechts verschoben und damit auch die politischen Mehrheiten. Auch wenn die AfD davon noch nicht unmittelbar profitiert: Umso größer sie wird, desto schwieriger wird es, funktionale Regierungen gegen sie zu bilden. Und desto größer wird natürlich auch die Versuchung, eine Regierung mit ihr zu bilden. Spätestens wenn das passiert ist, drohen einige der klar rechtsextremen Positionen, die in der Partei vertreten werden, Politik zu werden.

Die AfD in Sachsen wird als gesichert rechtsextrem eingestuft, ein Verbot gibt es trotzdem nicht. Wie erklärt sich das?
Das liegt zunächst daran, dass die Einstufung von einer Behörde stammt, dem Landesamt für Verfassungsschutz, aber nur das Bundesverfassungsgericht eine Partei verbieten kann. Außerdem verfolgen die Einstufung als rechtsextrem und das Verbot einer Partei unterschiedliche Zwecke. Der Verfassungsschutz hat in erster Linie die Aufgabe, Gefahren für die freiheitlich demokratische Grundordnung aufzuklären. Ein Parteiverbotsverfahren hingegen hat den Zweck, eine Partei aufzulösen. Dadurch soll verhindert werden, dass extremistische Parteien Regierungsgewalt erhalten.

Sind die Hürden für ein Verbot höher?

Für ein Parteiverbot muss über die gesichert extremistische Einstellung hinaus nachgewiesen werden, dass die Partei darauf ausgeht, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen. Jenseits der Einstellungen, die in der Partei vertreten sind, muss also auch ein planvolles Vorgehen nachgewiesen werden und zumindest die Möglichkeit bestehen, dass die Partei ihre Pläne umsetzen kann. Diese beiden Elemente braucht man für die Einstufung als gesichert rechtsextrem nicht.

Gibt es denn eigentlich eine Möglichkeit, die Partei auf Landesebene zu verbieten?

Der Regelfall ist ein Verbotsverfahren, das sich gegen die Bundespartei richtet. So steht es auch im Grundgesetz. Das Bundesverfassungsgerichtsgesetz, das die Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht näher ausgestaltet, kann man aber so verstehen, dass auch das gezielte Verbot einzelner Landesverbände möglich ist. Ob man das wirklich isoliert beantragen kann, ist aber umstritten. In jedem Fall könnte das Bundesverfassungsgericht im Falle eins Verbotsantrags gegen die Bundespartei entscheiden: Nein, nur die Landesverbände in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt werden verboten.

Marco Wanderwitz, der ehemalige Ostbeauftragte, strebt ein AfD-Verbotsverfahren auf Bundesebene an. Halten Sie das für sinnvoll?

Die meisten politischen Argumente gegen ein Verbotsverfahren überzeugen mich nicht. Manche sagen zum Beispiel, die Partei sei zu groß für ein Verbot oder man könne das Gedankengut ohnehin nicht verbieten. Nach meiner Überzeugung ist eine große Partei aber auch besonders gefährlich. Und es ist nicht der Zweck eines Parteiverbots, Gedankengut zu verbieten, sondern extremistische Regierungspolitik zu verhindern.

Aber halten Sie ein Verbotsverfahren juristisch auch für aussichtsreich?

Das ist der springende Punkt: Es ist gegenwärtig nicht klar, wie aussichtsreich ein Verbotsverfahren wäre. Solange das so ist, bin ich auch gegen einen Verbotsantrag. Die Unsicherheit rührt daher, dass die AfD anders als die NPD nicht so offenkundig verfassungsfeindlich operiert. Ihre Funktionär:innen verbreiten und vertreten nicht im selben Maße rechtsextremes Gedankengut. Es ist dementsprechend schwierig, der Partei nachzuweisen, dass ihre Ziele tatsächlich verfassungswidrig sind. Es gibt zwar inzwischen viele Anhaltspunkte, die dafür sprechen. Es fehlt allerdings eine wirklich umfassende Bewertung der Partei. Gäbe es die, könnte man viel qualifizierter über solch ein Verfahren sprechen. Es ist mir unverständlich, warum das Bundesinnenministerium es bisher nicht geleistet hat, eine solche Diskussionsgrundlage zu schaffen.

Was denken Sie, woran das liegt?

Nach den öffentlichen Äußerungen beispielsweise von Olaf Scholz, Friedrich Merz und anderen hochrangigen Politiker:innen ist mein Eindruck, dass sie ein Verbotsverfahren einfach nicht wollen. Wenn man es aber schon aus politischen Gründen nicht anstrebt, dann gibt es auch keinen Grund dafür, es verfassungsrechtlich zu prüfen.

Denken Sie, dass sich die demokratischen Parteien einfach nicht selbst schaden wollen?

Sie bilden sich glaube ich ein, dass sie die AfD wieder kleinkriegen. Nur haben sie das doch jetzt schon zehn Jahre ohne Erfolg versucht. Die Partei ist immer stärker geworden. Zur selben Zeit hat die Union praktisch nichts hinzugewonnen, während die Ampel-Parteien beständig verlieren. 

Was entgegnen Sie Menschen, die sagen, eine Partei zu verbieten sei undemokratisch?

Ich halte es für undemokratisch, wenn man die Demokratie nur als Übersetzung des Wählerwillens in politische Mandate versteht. Die freiheitliche demokratische Grundordnung besteht nicht aus einer, sondern aus drei Säulen. Eine ist die Demokratie, die zweite der Rechtsstaat und die dritte die Menschenwürde. Letztere, so der Hauptvorwurf gegenüber der AfD ist, wird von ihr nicht hinreichend geachtet. Wenn sich das bewahrheiten sollte, dann greift es eben nicht mehr nur zu sagen, sie wurde gewählt und deshalb darf sie jetzt auch regieren.

Wenn es so einfach ist, als Partei anzutreten, aber so schwierig, eine Partei zu verbieten. Gibt es eine Schutzlücke in der Demokratie?

Nein, da gibt es keine Lücke, dafür gibt es ja die Möglichkeit eines Parteiverbotsverfahrens. Es kann sehr gut sein, dass wir in zehn Jahren sagen, jetzt, im Jahr 2024, wäre es notwendig gewesen, ein Verbot der AfD zu beantragen. Dann hätte es im Rückblick ein Vollzugsdefizit gegeben. Aber was würden Sie aus heutiger Sicht denn mehr wollen als die Möglichkeit zu einem Parteiverbot durch das Bundesverfassungsgericht? Noch in der Weimarer Zeit hat eine Behörde eine Partei verboten so wie man heute auch Vereine verbietet. Da war die Partei dann erst mal lahmgelegt und musste sich vor Gericht gegen das Verbot wehren. Das hat man im Grundgesetz bewusst umgedreht und gesagt, eine Partei darf so lange operieren, bis das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, dass sie verfassungswidrig ist. Dabei werden demokratischen Rechte geachtet bis eben zu dem Punkt, dass die Verfassungswidrigkeit festgestellt ist. Das halte ich für den richtigen Ansatz.

Wenn das Verbotsverfahren scheitern sollte, was würde das bedeuten? Dass die AfD nicht gefährlich ist?

Das kommt auf die Gründe für das Scheitern an. Sollte es daran scheitern, dass das Bundesverfassungsgericht der Partei nicht nachweisen kann, dass sie verfassungswidrig ist, dann heißt das nicht unbedingt, dass sie nicht gefährlich ist. Das könnte auch einfach nur heißen, dass sie ihre wahren Ziele gut genug verbirgt. Das kann man sich vorstellen wie in einem Strafverfahren. Da erhält die Staatsanwaltschaft die Anklage und das Gericht entscheidet dann, ob diese Anklage überhaupt zugelassen wird, weil sie hinreichend begründet erscheint. Wenn das Parteiverbotsverfahren schon an dieser Hürde scheitern sollte, könnte es schnell erneut in Gang gesetzt werden.

Und wenn einmal in der Sache entschieden wurde?

Wenn es eine Verhandlung gab und das Gericht sich das im Detail angeguckt hat, dann kann man einen neuen Antrag nur stellen, indem man ihn auf neue Erkenntnisse stützt. Das ist eine hohe prozessuale Hürde, ein neuer Antrag wäre also schwierig. Ganz abgesehen davon, dass das politische Kapital, so was zu tun, nach einem Versuch auf absehbare Zeit aufgebraucht wäre. Der erste Schuss muss also sitzen.

Was wären denn Alternativen zu einem Verbotsverfahren?

Ich wünsche mir mehr politische Gegenwehr durch die demokratischen Parteien. Das heißt, AfD-Positionen nicht hinterherzulaufen und die Partei nicht zu imitieren. Das ist in der Sache falsch und es gewinnt politisch nur die AfD selbst. Die Zivilgesellschaft ist natürlich auch gefragt. Ein Verbotsverfahren ersetzt das alles überhaupt nicht, im Gegenteil. Wenn man ein Verbotsverfahren betreibt, müssen Parteien und Zivilgesellschaft erst recht gegen die Partei arbeiten. Denn sie machen sich ja auch unglaubwürdig, wenn sie die Hände in den Schoß legen und einfach alles dem Bundesverfassungsgericht überlassen.

Was ist mit der Ebene der Vorsorge? Es gibt Bestrebungen, das Bundesverfassungsgericht besser vor Extremisten zu schützen.

Für das Bundesverfassungsgericht gibt es noch immer Regeln, die sich schon mit einer einfachen Mehrheit verändern ließen, gerade, was seine Zusammensetzung und Entscheidungsbefugnisse angeht. Im Moment wird angestrebt, zentrale Punkte wie Kompetenzen und Verfahrensvorschriften in das Grundgesetz zu übernehmen. Das hätte zur Folge, dass diese Rahmenbedingungen nur noch mit Zweidrittel-Mehrheiten geändert werden könnten. Dadurch wäre es für eine AfD-Regierung praktisch unmöglich, sie nach einer Regierungsübernahme zu ändern und zumindest die gerichtliche Kontrolle wäre gesichert. Es mag ein bisschen deprimierend klingen, Vorsorge zu betreiben, sie ist bitter nötig.

Wie gehen Sie persönlich mit dem Widerspruch um, den Eindruck zu haben, die AfD ist gefährlich für die Demokratie, der Nachweis dafür aber rechtlich bisher nicht hinlänglich erbracht wurde?

Als Jurist kann ich das aushalten. Wenn man jemandem etwas nicht nachweisen kann, dann darf man auch kein entsprechendes Urteil fällen. Davon bin ich fest überzeugt. Als Privatmensch fällt mir das natürlich schwerer, weil ich das Gefühl habe, dass da eine große Gefahr auf uns zurollt und ich mir wünschen würde, dass man alle Instrumente, die es gibt, dagegen in Stellung bringt. Aber letztlich überwiegt meine Überzeugung für den Rechtsstaat. Ein Parteiverbot steht zurecht vor hohen Hürden. Wenn wir die einfach reißen, statt sie zu überspringen, könnte das Recht sehr schnell gegen uns verwendet werden und das kann keiner wollen.


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