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Rezensionen

Herman Dune

Herman Dune

Santa Cruz Gold

Santa Cruz Gold

David Ivar Herman Dune hat den Kontakt zu seinen alten Plattenfirmen abgebrochen, um neue Songs mit weniger Druck schreiben zu können, und ist nach Los Angeles gezogen. Gelegentliche Konzerte gab der gebürtige Franzose nur noch in seiner Wahlheimat. Aber am bekannten Herman-Dune-Sound hat sich im Laufe der Jahre wohltuend wenig geändert. Nach wie vor steht der Name für verspielte, groovende Songs mit bittersüßen Texten. »Santa Cruz Gold« bildet da keine Ausnahme, auch wenn diesmal Country stärker hervorsticht als Folk. Die offenherzige, bisweilen naiv anmutende Art, Musik darzubieten, erinnert stark an Jonathan Richman. Zudem war und ist Bob Dylan eine wichtige Referenz, was sogar im Opener »Life On The Run« thematisiert wird. Insgesamt fällt »Santa Cruz Gold« weniger gut gelaunt aus als manch anderes Herman-Dune-Album. Ungeachtet dessen beweist dieses Werk eindrücklich, dass die Band immer noch ein Wörtchen im Indie-Folk mitzureden hat, und macht Lust auf baldige Konzerte in hiesigen Gefilden. Kay Engelhardt

Niek Baar und Ben Kim

Niek Baar und Ben Kim

Solitude – Werke von Robert und Clara Schumann

Solitude – Werke von Robert und Clara Schumann

Der junge niederländische Geiger Niek Baar und der amerikanische Pianist Ben Kim sind ohne Zweifel ein fantastisches Duo. Ihr Album »Solitude« (Einsamkeit) kombiniert Robert Schumanns Violinsonaten 2 und 3 mit Clara Schumanns Romanzen für Violine und Klavier opus 22. Von Anfang an wird mit großer Ernsthaftigkeit musiziert, bestechend die Klarheit und die Konzentration in Klang und Ausdruck. Robert Schumanns Violinsonate Nr. 3 wird erst seit wenigen Jahren dank der neuen Schumann-Ausgabe als eigenständige Sonate aufgeführt. »Frei, aber einsam« war das Motto des berühmten Gemeinschaftswerks der Komponisten Dietrich/Brahms/Schumann, zu der Schumann die Sätze 2 und 4 beisteuerte. Später ersetzte er die Sätze seiner Kollegen und schuf damit seine eigene »F.A.E.-Sonate«, wenn auch ohne Opuszahl. Berührend hier das Intermezzo, das Baar und Kim mit großer Klangschönheit darbieten. Überhaupt steht »Schönheit« im Zentrum ihrer Interpretation. Die innere Zerrissenheit, bei Schumann durch das gegensätzliche Charakterpaar Florestan und Eusebius symbolisiert, wird in dieser Aufnahme geglättet, in der Ausgewogenheit und Harmonie im Vordergrund stehen. Den intimen drei Romanzen von Clara Schumann kommt dieser Ansatz eher zugute, sie sind wunderbar poetisch, sprechend, innig. In Robert Schumanns 2. Sonate in d-moll fehlt es bei all der dargebotenen Schönheit dann doch an leidenschaftlichem Charakter, an Schroffheit und Abgründen in der Interpretation. Allzu emotional ausgeglichen, allzu gut »in Form« gehalten und beherrscht wirkt hier das Spiel, Schlussakkorde werden schön »gesetzt« auf Kosten des Ausdrucks. Atemlosigkeit, Verzweiflung sind weniger spürbar. Als Duo sind Niek Baar und Ben Kim dennoch außerordentlich überzeugend. Ihr Spiel übt eine eigenartige, fast aus der Zeit gefallene Faszination aus. Silke Peterson

Ilgen-Nur

Ilgen-Nur

It’s All Happening

It’s All Happening

Ilgen-Nur ist die coolste Slackerin, die Deutschlands Indiepop zu bieten hat. Oder müssen wir inzwischen sagen: Hatte? Denn das neue Album der Songwriterin ist in Los Angeles entstanden – und so klingt »It’s All Happening« auch. Nach Träumen und Sonnenuntergang am Meer, nach Freiheitsversprechen und lauen Nächten, in denen man in einem alten Mercedes durch die Landschaft cruist. Genau das hat Ilgen-Nur getan, nachdem sie in der Stadt der Engel während der Corona-Pandemie irgendwie gestrandet war – und kurz danach auch direkt wiederkommen musste. Ihr Power-Pop ist weniger schrammelig als auf ihrem Debüt »Power Nap«, Klaviere und Synthies kommen deutlicher zum Einsatz, alles ist wärmer, melancholisch aber natürlich auch. Summertime-Sadness trifft auf Momente des Glücks. Ilgen-Nur singt über die Liebe, über Drogen nehmende Großstädter, über Dinge, die man einfach nicht versteht, und über die Suche nach sich selbst. Sie selbst ist bei dieser Suche anscheinend fündig geworden: »Windows are mirrors / You are the things you want to be« heißt es im letzten Song. Und wie hoffnungsvoll schön ist das, bitte? Ein dreamy Sommeralbum, das man auch ganz wunderbar im dunklen Herbst hierzulande hören kann. Juliane Streich

Erregung Öffentlicher Erregung

Erregung Öffentlicher Erregung

Speisekammer des Weltendes

Speisekammer des Weltendes

Die Servietten bitte gründlich in den Kragen stopfen und los: Synthies brodeln, die Drums wallen. Alsbald prickeln Gitarrentöne und sie formen fortan spritzige Akzente für die Gesangsmelodie. Die Stimme Anja Kastens befeuert die Silben, sie beeindruckt mit frischem Timbre und ihrer kaum zu bändigenden Energie, die über die Aufnahmen hinaus brodelt: »Doch am meisten lieb ich’s, wenn du abflämmst, aufschlägst, flambierst und demolierst.« Einmal vor Wut kochend, servieren Erregung Öffentlicher Erregung gleich »Viele Pommes« hinterher, die, statt in rot-weißen Saucen zu schwimmen, mit Synthies und Sentimentalität überbacken werden. Zum Dahinschmelzen träumt der Song »Heiße Liebe, sanfter Engel« davon, wie Liebe und Eiscreme durch den Magen gehen. »Ich koch über und du bist zu weich« sind die Worte, die Kasten im Song »Suppe (franz.)« in vereinnahmenden Repetitiven antreibt. Allen voran das Stakkato der Silben von »Suppe« garantiert einen wohligen Ohrwurm. Verfeinert mit einer umtriebigen Bassmelodie, entdeckt der Folgetrack das Haar in der Suppe. Garniert mit Aufmüpfigkeit und verziert mit eingängigen Melodien serviert das Sextett Erregung Öffentlicher Erregung seine aktuelle Platte »Speisekammer des Weltendes«. Das Menü aus Delikatesse und Tristesse umfasst 12 schmackhafte Songs mit frischen, zumeist unbeschwerten Melodien. Seit ihrem Debüt von 2020 zeitgeistert die Gruppe mit dem klangvollen Namen durch Retroavantgarde-Klänge und Musik der Neuesten Neuen Deutschen Welle. Claudia Helmert

Timber Timbre

Timber Timbre

Lovage

Lovage

Es wurde Licht im Internet, als Taylor Kirks Folk-Projekt Timber Timbre nach einem sechsjährigen Hiatus ein neues Album ankündigte. Nun stellten sich einige Fragen: Wird Kirk sich für die Fortsetzung der eher elektronischen, an die 80s erinnernden Synthie-Klanglandschaft entscheiden, mit der die kanadische Band im letzten Album »Sincerely, Future Pollution« (2017) die Zuhörerinnen und Zuhörer schockierte? Oder wird die Band zur analogen Instrumentierung der ersten sechs Alben zurückkehren; zu jenem kinematografischen Genre-Eklektizismus zwischen Folk, 50s-Americana, Rock and Roll, Rhythm and Blues, Country und und und? Die Antwort liegt irgendwo dazwischen. »Lovage« ist ein 33-minütiges, melancholisches Album mit krautrockigen Eskapaden und einem Lo-Fi-Lied im filmischen, makabren Hi-Fi-Land. Darin teilt sich Kirks Baritonstimme mit dem Piano die Hauptrolle, ohne den Klang des Schlagzeug-Jazz-Besens, des mehrstimmigen Gesangs, der Synthesizer, obskurer Texte zu vernachlässigen. So fragt der Sänger ironisch zu Beginn des Albums: »Do you wanna see a dead body / Don’t you wanna see a dead body? / Ask the community«. Banger! Libia Caballero Bastidas

Pose Dia

Pose Dia

Simulate Yourself

Simulate Yourself

Sneakers liegen in einer Holzkiste vergraben in der Einöde. Sie werden ausgebuddelt, später für fast zwei Millionen verkauft. So erzählt es Pose Dia in ihrer multimedialen Konzertperformance »Empire of the Statue«, die letztes Jahr auf Kampnagel zu sehen war und die Grundlage für ihr neues Album »Simulate Yourself« lieferte. Fragte die Hamburger Künstlerin da noch, wie Pop und Trends konserviert werden, verknüpft sie auf ihrer zweiten Platte nach dem Debüt »Front View« Soziologie, Medientheorie und Post-Strukturalismus. Klingt kompliziert? Ist es auch – aber macht nichts, denn es klingt auch supercool. Helena Ratka vereint in ihrem Alter Ego Pose Dia viele Strömungen ihres bisherigen Schaffens: Mit Sophia Kennedy ist sie das Duo Shari Vari, als Ratkat legte sie als Resident-DJ im Golden Pudel Club auf, zudem komponierte sie Soundtracks und Theatermusik. All das hört man auch auf »Simulate Yourself«: die Ekstase und Dramatik des Nachtlebens, die Freude an der Kunst und einer rätselhaften Story, die Beobachtungsgabe für den Wahnsinn der Welt, den sie dann scharfsinnig abstrahiert. Ratka singt kaum auf den neun Tracks, sie spricht zu uns. Spoken Words, die assoziativ aneinandergereiht werden. Die vom Feuer erzählen, das man fängt. Von der Asche des Phönix, von Mandelmilch und Widerstand. Eine obskure Mischung aus Sehnsucht und Manie, die unter die Haut geht, während die Worte gar keine große Rolle spielen. Vielmehr knallt die Musik rein. Kühl und minimal, mal eher Pop, mal eher Techno, viel Cold-Wave-Synthies. Electrosounds aus einer anderen Welt. Einer Welt, die künstlich ist, seltsam, anders irgendwie. Aber doch unserer ähnelt, der sogenannten Real World, in der Algorithmen bestimmen, was wir sehen, Hypes gefeiert werden, Menschen für Sneakers tatsächlich ein Vermögen ausgeben. Juliane Streich

Animal Collective

Animal Collective

Isn’t it now

Isn’t it now

Animal Collective liefern uns das Album zur neuen Zeitrechnung: »Isn’t it now«, das Album eins nach Corona. Diese Referenz auf die Pandemie sei hier noch einmal erlaubt, da »Isn’t it now« in der Tat zusammen mit dem Vorgänger »Time Skiffs« betrachtet werden muss: Die Songs beider Alben sind zur selben Zeit und in derselben Hütte entstanden, in die sich das US-amerikanische Kollektiv um Avey Tare, Panda Bear, Geologist und Deakin für die Arbeit zurückgezogen hatte. Dann kam der Lockdown und gab vor, dass die Aufnahmen nur noch remote erfolgen konnten. Und Animal Collective gaben ihrerseits vor, dass das nur für die neun Songs auf »Time Skiffs« funktionieren kann. Für die anderen neun Tracks brauchte es eine gemeinsame Bühne im Studio und die wechselseitigen Blicke. Dass die Songs des »Live«-Albums deutlich länger sind als die des Remote-Albums, sagt einiges über die Band aus: Zusammen auf einer Bühne oder in einem Raum sind die vier Musiker verspielter und ausufernder. Das Schlagzeug verliert sich im 4/4-Takt und in Synkopen; das Klavier spinnt Melodien und eine Orgel setzt den Kontrapunkt. So verweben sich die Instrumente ineinander und vergessen im Spiel die Zeit. Dynamik heißt bei Animal Collective nicht wilde Energie, sondern Gemeinsamkeit, Austausch und Sich-treiben-Lassen. Dieses Markenzeichen des Kollektivs wird im direkten Vergleich der beiden Alben besonders deutlich. »Isn’t it now« wird damit auch ein bisschen zur Hommage der Band an sich selbst und das gegenseitige musikalische Verständnis, das sie seit fast einem Vierteljahrhundert pflegt. Kerstin Petermann

Die Türen

Die Türen

Kapitalismus Blues Band

Kapitalismus Blues Band

Hört man sich durch den Backkatalog von Die Türen – Haus- und Hofband des Berliner Labels Staatsakt –, beschleicht einen fast das Gefühl, dass sie mit ihrem Oeuvre am liebsten jeden Winkel der Popkulturgeschichte beleuchten möchten. Mal ging es bei ihnen in der Vergangenheit Elektro-poppig zu (wie auf »Das Herz war Nihilismus«), mal soulig-funkig (wie auf »Popo«), ein anderes Mal krautig-ausufernd (wie auf »Exoterik«). Auf ihrem neuen Album präsentiert sich die Allstar-Band um Maurice Summen, Chris Imler, Andreas Spechtl & Co. nun wieder deutlich kompakter als zuletzt: Statt ausufernder Impro-Eskapaden dominieren eingängige Riffs und Refrains, ohne dabei den üblichen musikalischen Schulterblick nach links und rechts aufzugeben: So wird der Ambient-Noise (»Im Wohnzimmer meines Opas«) ebenso freundlich gegrüßt wie hyperaktiver Post-Punk (»Grunewald is burning«) und intimer Singer/Songwriter-Pop (»Tiny House«). Und anders als im Opener (»Gut für mich, schlecht für die Welt«) verlautbart ist dieses Album nicht nur (verdammt) gut für mich, sondern ebenso (und ganz besonders) für die Welt. Luca Glenzer

Asasello-Quartett/Christiane Oelze/E-MEX-Ensemble

Asasello-Quartett/Christiane Oelze/E-MEX-Ensemble

Sterne steigen dort ...

Sterne steigen dort ...

Auf dem CD-Cover wird der Name noch nicht verraten, lediglich das Porträt der Komponistin und die Anfangszeile des Stefan George-Gedichts »Vorklang« legen eine Spur. Albert Maria Herz ist diese CD gewidmet, mit einem Querschnitt ihres insgesamt leider nur 30 Werke umfassenden Schaffens. Das Booklet gibt Auskunft über das Leben der jüdischen Komponistin, Pianistin und Konzertveranstalterin, deren Lebensdaten (1878 in Köln geboren, 1950 in New York gestorben) für sich sprechen. Der von ihr häufig verwendete männliche Vorname erinnert an ihren verstorbenen Ehemann. Bachs Chaconne, von Herz für Streichquartett bearbeitet, eröffnet die CD, ein großes Credo an Bach und den »Glauben an den Glauben«. Die »Fünf Lieder auf Worte von Stefan George« opus 7, von Christoph Maria Wagner für Ensemble bearbeitet, sind musikalisch ganz Expressionismus. Die Sopranistin Christiane Oelze und das E-Mex-Ensemble hätten die Extreme in Ausdruck und Dynamik gerne stärker herausstellen dürfen. Das ist dem Asasello-Quartett mit den »Vier kleinen Stücken für Streichquartett« opus 5 und dem Streichquartett opus 6 überzeugender gelungen. Die »Rundfunkmusik für 8 Instrumente« opus 9, im Stil der neuen Sachlichkeit, beschließt diese CD spielerisch und charmant. In ihrem Booklet-Text beschreibt die Musikerin Barbara Streil die Aufnahme als notwendigen Beitrag in der Aufarbeitung unser aller (Musik-)Geschichte. Dem kann man nur zustimmen. Silke Peterson

Mohammad Motamedi/Rembrandt Trio

Mohammad Motamedi/Rembrandt Trio

Intizar: Songs Of Longing

Intizar: Songs Of Longing

Mohammad Motamedi ist ein im Iran gefeierter Sänger, der in der traditionellen persischen Musik zu Hause ist. Seine Zusammenarbeit mit dem niederländischen Rembrandt-Trio ist ein Glücksfall und Visitenkarte des neu gegründeten Labels »Just Listen«. Das Jazz-Trio gibt zu Beginn der Lieder Improvisationen vor, deren Stimmung und Rhythmus der Sänger aufgreift, ad hoc ein Gedicht aus dem spirituellen persischen Repertoire aussucht und frei darüber improvisiert. Auch wenn man die persischen Texte nicht versteht, dem sehnsuchtsvoll leidenschaftlichen Charakter kann man sich kaum entziehen. Der aus dem 14. Jahrhundert stammende persische Dichter Hafis (oder Hafez), der hier auch zu Wort kommt, faszinierte bekanntlich schon Goethe und Rückert. Die niederländischen Musiker um den Pianisten Rembrandt Frerichs spielen einfühlsam, fast vorsichtig, nehmen originelle, zum Teil historische Instrumente (Kirchenorgel) hinzu, färben und setzen hin und wieder jazzige Kontrapunkte. Die sieben Lieder sind trotz der für persische Musik typischen Sehnsuchtsthematik sehr unterschiedlich und differenziert, von meditativer Kontemplation bis zu orgiastischer Wildheit. Die persische traditionelle Musik bleibt in ihrem Kern und in ihrer Aussage unangetastet, zum Glück weit entfernt von weichgespülter »Weltmusik«. Das neu gegründete Label Just Listen Records möchte durch mehr Raumklang und weniger perfektionistische Nachbearbeitung die natürliche Konzertatmosphäre nachempfinden. Das ist gelungen. Silke Peterson

Devendra Banhart

Devendra Banhart

Flying wig

Flying wig

Freaky ist Devendra Banharts neues Album »Flying wig« nicht, jedenfalls nicht mehr. Wer ihn immer noch mit seinen Alben »Smokey Rolls Down Thunder Canyon« oder »What Will We Be« aus den mittleren Nullerjahren assoziiert, soll das bitte so beibehalten. Natürlich verändern sich Musiker, und das freut uns alle, denn auf heuchlerisch-anbiedernden Sound hat sowieso niemand Bock. Das hat sich Banhart genauso gedacht und hat uns eine Schlaftablette in Vinylform verpasst. Von der spielerischen Folk-Rock-Fusion mit lateinamerikanischen Stilen und der vibrierenden Falsett-Stimme seiner früheren Musik ist nichts mehr rauszuhören. Das neue Album ist eher elektronisch, atmosphärisch, ruhig minimalistisch, mit einem sehr subtilen E-Gitarreneinsatz und den Backgroundvocals von Cate Le Bon, die für Dynamik sorgen. Es besteht aus zehn melancholischen Songs, die im Grunde genommen von Verzweiflung, Trauer, Hoffnung und Dankbarkeit handeln. Banharts tiefe Stimme leitet das Ganze fünfzig Minuten lang mit Wärme und Gelassenheit. Für die Leute also, die gerne Musik zum Einschlafen hören, sehr empfehlenswert. Für die anderen, die trauern und dabeibleiben wollen, ebenso. Libia Caballero

Colter Wall

Colter Wall

Little Songs

Little Songs

Colter Wall ist 28 Jahre alt und hat die Stimme einer Kneipenlegende jenseits der 50. Der Kanadier ist ein Shooting-Star des zeitgenössischen Country. Mit »Little Songs« legt er sein viertes Studioalbum vor, das sich wie eine Demonstration seiner Fähigkeiten als ernstzunehmender Geschichtenerzähler anhört. Das Cover mutet wie ein Westernfilm an: Wall sitzt auf einem Pferd und blickt gedankenverloren in die Prärie. So hört sich der erste Teil des zehn Song starken Albums auch an. Gleich im ersten Lied, »Prairie Evening/Sagebrush Waltz«, dröhnt seine Baritonstimme über die genretypische Steelguitar. Da wird auf Merle Haggard hingewiesen, der aus der Jukebox dröhnt, und man kann sich den Tanz im staubigen Truckstop irgendwo in Alberta gut vorstellen. Wall macht klar, wer die Vorbilder sind. In »Standing Here« tuckert eine Bassline vor sich hin, die auch aus einem Song Johnny Cashs stammen könnte. Auf seinen vorherigen Alben coverte der Kanadier auch mal einen Townes Van Zandt oder Marty Robbins. Respektbekundungen und Hommagen sind berechtigt, doch fehlt dem Ganzen auf dem Album die Innovation. Beim Soundbild versucht man, genauso zu klingen wie damals. »Corraling The Blues« ist eine tolle Ballade, danach folgt mit »The Coyote & The Cowboy« ein eher schwächerer Song, der an ein Kinderlied erinnert. Wall ist ein guter Musiker und kann Country zwar versatil spielen, doch fehlt es dem Album an Tiefe. Oder wie Zack Fox, seines Zeichens Comedian und Teilzeit-Musikkritiker aus Atlanta, eine überschaubare musikalische Leistung einmal resümierte: »This ain’t it.« Jan Müller

Slowdive

Slowdive

Everything is alive

Everything is alive

Alles lebt – Everything is alive. Ist das nun eine Bestätigung, ein Aufatmen, ein Mantra oder ein Hoffnungsschimmer? Der Titel ist eher ein roter Faden, der sich durch das fünfte Studioalbum von Slowdive zieht. Das britische Shoegaze-Quintett erörtert Existenzielles: Neuanfänge und Vergangenes, Beziehungen und Isoliert-Sein. Ganz schön vage? Ja, vielleicht auch ein bisschen orientierungslos. Wenn man aber weiß, dass das Album der verstorbenen Mutter von Rachel Goswell und dem ebenfalls verstorbenen Vater von Schlagzeuger Simon Scott gewidmet ist, dann ergibt dieses Gefühl Sinn. Und die sphärischen, ineinander verwobenen und schwebenden Synthie-Schichten könnten nicht passender sein. Sie geben dem Verloren-Sein, das man nach einem solchen Verlust verspüren mag, einen Klang. Dieser Klang ist reduzierter als bisher, aber auch konzentrierter und suchender. Die Synthesizer wabern ruhiger und dominanter. Vielmehr als den Gesang braucht es dazu nicht. Vielleicht ist das Teil der Katharsis: nach den Verlusten, aber auch nach dem Neuanfang. Sechs Jahre ist es her, dass Slowdive sich 2017 mit dem selbst betitelten Album zurückgemeldet haben. »Pygmalion«, das vorherige Album (1995), ist aber unendlich viel länger her. Und so wirken die acht Songs auf »Everything is alive« wie eine Läuterung, die Häutung einer Band, die in den Neunzigern voller Übermut und Drang innerhalb weniger Wochen ihr Debüt geschrieben und aufgenommen hat. Dieselbe Band ist nun gesetzter, erfahrener und dankbar wie jemand, der nach einer Geschichte mit einigen Höhen und Tiefen und Verlusten lebend davongekommen ist. Kerstin Petermann

Superpositivity

Superpositivity

Cerenity

Cerenity

Die Bassmelodie spult sich in den Vordergrund, wo sich schon die Worte zurechtrücken: »I wanna work not a single day, it makes me sick, feel down.« Der Gesang schmiegt sich an die strömende Melodie und verhallt sodann lässig. Die Gitarrentöne beginnen unruhig, eine Umtriebigkeit in den Song pulsiert. Wie das Flirren auf heißem Asphalt verdampfen die Klänge des wohlig-warmen Tracks »Iwanna«. Im Gegensatz zum ersten Song schwelgt der folgende Track »zeit2zwei« in deutschen Sprachbrocken. Auch hier ticken die Gitarrenanschläge rastlos. Dazu haucht und säuselt das bisweilen verzerrte Organ die Textfetzen: »die Zeit enteilt«. Melodien ziehen Schlieren durch den knapp zweieinhalbminütigen Song und führen weiter zu »my_eyes«. Bewegt von Coolness und Unbekümmertheit glüht der Song im dichtgestrickten Gewebe aus tänzelnden Rhythmen und wallenden Gitarrenklängen. Da aller guten Dinge bekanntlich vier sind, flirrt final der Titeltrack »Cerenity« vorüber. Der Song verzahnt das musikalische Getriebensein zu einem Sog, dem man sich zu gern hingibt. Gleich Treibsand zieht die EP »Cerenity« langsam und unweigerlich in die schönen Tiefen aus Musik von Superpositivity. Aus der Feder oder vielmehr den Händen Valentin Bringmanns nähert sich sein Soloprojekt der Megahappiness – zumindest klanglich. Claudia Helmert

Die Regierung

Die Regierung

Nur

Nur

Nein, eine breite Palette an lyrischem Ausdrucksvermögen und verarbeiteten Themen kann man Tilman Rossmy nun nicht gerade attestieren: Auf knapp zwanzig Alben kommt er mittlerweile, summiert man die Alben der Regierung mit seinen Soloalben. Und immer geht es irgendwie um die romantische Liebe, die zwar unbedingt gewollt wird, aber nie so aufzugehen scheint, wie man sie sich ersehnt hat. Nun erscheint mit »Nur« das vierte Album seit dem starken Regierungscomeback 2017. Der Blick auf die Tracklist verspricht zunächst Altbewährtes: »Wenn die Liebe ruft«, »Die Liebe, die niemals kommt« oder »Wo ist die Liebe jetzt«. Spätestens jetzt haben die meisten Leserinnen und Leser bereits geskippt. Fair enough, gibt es doch genug weiße Männer jenseits der Sechzig, die glauben, uns mit musikalischen Ergüssen beglücken zu müssen, die in sentimentalen Rotwein-Momenten ihre Hirnrinde verlassen hat. Bei der Regierung ist das zwar mutmaßlich nicht ganz anders, dafür aber viel besser als üblich – so auch dieses Mal. Egal, ob im treibend-verzerrten Opener »Nichts ist wirklich«, der reduzierten Pianoballade »Nirgendwo Hinzugehen« oder im mystisch-verspielten »Die Tür«: Stets beweist Rossmy sein feines Händchen für Wortspiele und eingängige Melodien. Und als Nicht-Boomer erblasst man zugegebenermaßen schon ein wenig vor Neid, wenn Rossmy derartig cool und nonchalant singt: »Ohne jede Hoffnung, so will ich sein.« Luca Glenzer

Leipziger Synagogalchor/Philipp Goldmann

Leipziger Synagogalchor/Philipp Goldmann

Samuel Lampel: Abendgebet für Schabbat, Leipzig 1928

Samuel Lampel: Abendgebet für Schabbat, Leipzig 1928

Samuel Lampel war ab 1914 Kantor an der Großen Gemeindesynagoge in der Gottschedstraße (wo heute 140 unbesetzte Bronzestühle an die durch die Pogromnacht gerissene Lücke im Stadtbild erinnern), er gestaltete Führungen, Vorträge und Konzerte in der Synagoge sowie Rundfunkbeiträge mit Synagogalmusik. Im Juli 1942 wurde er zusammen mit seiner Frau deportiert und vermutlich in Auschwitz umgebracht. Nur 24 von einst 13.000 Mitgliedern der Israelitischen Religionsgemeinde Leipzig überlebten den Holocaust. Seine Sammlung von 57 Musiken zur Schabbat- und Festtagsliturgie für Kantor, gemischten Chor und Orgel erschien 1928 unter dem Titel »Kol Sch’muel«, die Stimme Samuels. Der Leipziger Synagogalchor unter Leitung von Philipp Goldmann hat nun eine Auswahl daraus mit Originalkompositionen und Bearbeitungen traditioneller Melodien eingespielt. Den Part des Kantors gestaltet Cantor Assaf Levit überaus lebendig, Orgel spielt Ivo Mrvelj. Die auch klanglich erstklassige Aufnahme entstand in der Leipziger Thomaskirche und gibt Einblick in die traditionelle Praxis der Wechselgesänge zwischen Kantor und Chor. Die einst für die Schabbat-Liturgie komponierten Werke gehen von traditionellen Melodien aus und feiern die Zuversicht über die einstige Wiederkehr des Messias. Lampel kombiniert die traditionelle Weise, den Nussach, mit komplexeren und romantischeren Melodien und Harmonien. Der homogene und strahlende Chorklang und seine hervorragende Intonation anspruchsvoller Harmonieverläufe ergeben ein rundes Bild und erinnern auf ganz besondere Weise an das frühere Musikleben des jüdischen Leipzigs. Anja Kleinmichel

Echo von nichts

Echo von nichts

Obhut

Obhut

Für diese CD braucht man Ruhe. Und sie schenkt noch viel mehr Ruhe. »Obhut« heißt die Scheibe der Leipziger Gruppe Echo von nichts, deren Kern die Klangkünstlerin Pina Rücker und die Sängerin Ingala Fortagne sind. Das Duo, das sich »Ensemble für stille Musik« nennt, wird hier von den Gästen Nadia Belneeva (Klavier), Carsten Hundt (Kontrabass) und Hayden Chisholm (Sprecher) ergänzt. So können Wiegenlieder aus fünf Jahrhunderten im außergewöhnlichen Gewand präsentiert werden – geprägt von Rückers industriellen Quartzschalen, die sich mit Fortagnes klarem Gesang zu faszinierenden Klangreisen ergänzen. Schwerpunkt der Scheibe sind hebräische und jiddische Weisen, die darum zu »klingenden Stolpersteinen des Erinnerns« werden, wie ein kurzer kluger Text im Beiheft verrät. Nebenbei wartet die CD noch mit einer Hommage an einen nahezu vergessenen Jubilar auf: Vor 125 Jahren wurde in Leipzig der Komponist Hanns Eisler geboren. Im Konzertsaal spielte das fast keine Rolle. Umso besser, dass Echo von nichts auch Eislers »Vier Wiegenlieder« in ihren Kanon aufgenommen haben. Hagen Kunze

Kacey Johansing

Kacey Johansing

Year Away

Year Away

Alles begann mit der Nachricht des nahenden Todes eines geliebten Menschen. Die Zeit des Abschiednehmens verarbeitet Kacey Johansing eindrucksvoll im Song »Daffodils«. Auch auf dem Rest des Albums sind Vergänglichkeit, Verlust und die Endlichkeit unseres Daseins beherrschende Themen. Dass die Musikerin aus Los Angeles eine ausgewiesene Expertin für sphärische Folk-Klänge ist, wissen wir bereits dank ihrer ersten drei Alben. Das neue Werk »Year Away« setzt da nahtlos an. Diesmal haben ihr unter anderem Meg Duffy von Hand Habits und die Klangkünstlerin Kaitlyn Aurelia Smith unter die Arme gegriffen. Wenn es um große Gefühle wie quälende Sehnsucht geht, ist sich Johansing auch nicht zu schade, klanglich schön dick aufzutragen. Zuckerwattige Streicher- und Bläsersätze kommen auf »Year Away« ausgiebig zum Einsatz. Und über allem schwebt die wunderbar-schwelgerische Stimme Johansings. Die Musikerin schlägt perfekt die Brücke zwischen flächigem Eighties-Pop und gut gelauntem Sixties-Folk. Daher ist die Platte gleichermaßen geeignet für Fans von Sade und Abba wie auch für Menschen, deren Herz für Bedouine oder Fruit Bats schlägt. Kay Engelhardt

Zur Schönen Aussicht

Zur Schönen Aussicht

NEU

NEU

Schnell stolpert man über die rhythmischen Versatzstücke hinein in kaum zu fassende Klangsphären: Jede einzelne Synkope drängt wieder und wieder in neue Zeitlöcher, neue Welten ein. Darin taumelt man in schillernden Synthie-Galaxien und verfällt raunenden Gitarrendimensionen. Mit seiner dritten Platte schreit das Trio Zur Schönen Aussicht: »NEU«. Der Name der Gruppe, so wohlklingend er sein mag, führt zu irrwitzigen Ergebnissen in der Suchmaschine deiner Wahl. Insbesondere die Bilderschau ebenda kann nichts hervorbringen, das der Musik der Band nahekommt. Ihre Klangutopie setzt auf kosmische Töne, die ekstatisch sprudeln und flirren: Mit dem einsetzenden Song »NEU 5« singt das Saxofon in einer außerweltlichen Sprache, aufgeregt und ungebremst. Es scheint in unmittelbaren Austausch mit den sich immer neu wölbenden Melodieweiten zu treten. Man verliert sich schnell in den quirligen Tonströmen, schwebt in der Klangdichte – umso besser, dass hin und wieder die Instrumente auf Flugbahnen in die ungeahnt wuchtigen Musiksphären verweisen. Zur Schönen Aussicht schaffen einen fulminanten Sog des Ungewohnten. Das Trio besteht aus Jo Wespel (Gitarre, Produktion), Paul Berberich (Saxofon) und Florian Lauer (Drums), die 2009 zueinanderfanden. Bis heute fühlen sie sich auf der Bühne wohler als im Studio. »NEU« macht dennoch Lust auf die energetischen Konzerte. Claudia Helmert

Art School Girlfriend

Art School Girlfriend

Soft Landing

Soft Landing

»Everything looks perfect from such great heights« – ein wahrer Satz von Postal Service, der auch ganz wunderbar zusammenfasst, worum es in Polly Mackeys neuem Album geht. Unter dem Namen Art School Girlfriend veröffentlicht die Britin mit »Soft Landing« ihr zweites Album. Im Leadtrack »Close to the Clouds« blickt die Mitt-Dreißigerin auf ihre Teenager-Jahre zurück. Aus der Entfernung der Jahre fällt die Retrospektive versöhnlich aus: »Growing up to look back / Not the best, believe that / I would never change a thing«. Die Jahre sind – Klischee hin oder her – geprägt von emotionaler Unsicherheit, Ablehnung und dem Gefühl, nicht verstanden zu werden. Aber auch diesen emotionalen Turbulenzen steht die Musikerin heute mit sanftem Verständnis gegenüber – und findet tröstende Worte für ihr jüngeres Ich: »Didn’t know the hardest plan / Has given me the softest land«. Wenn Polly Mackey mit »Soft Landing« auch musikalisch ihren Teenager-Jahren Tribut zollt, dann hat sie diese wohl mit Bands wie The The oder den Psychedelic Furs verbracht. Auf jeden Fall ist das aktuelle Album noch elektronischer geworden. Die Drums bekommen jetzt etwas mehr House, nachdem sie sich beim Debüt »Is It Light Where You Are« noch unter dem Synthie-Teppich versteckten. Die Melodie trägt nun vor allem der leicht düstere Gesang. In den elf Songs stecken die Nostalgie, die Wehmut, aber auch die Zärtlichkeit jener, die mit genügend Abstand zurückblicken. Kerstin Petermann