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Stadtleben

Am rechten Stadtrand

Wie Gentrifizierung, Stadtpolitik und gesellschaftlicher Rechtsruck zusammenhängen

  Am rechten Stadtrand | Wie Gentrifizierung, Stadtpolitik und gesellschaftlicher Rechtsruck zusammenhängen

Der gesellschaftliche Rechtsruck ist keineswegs nur ein ländliches Phänomen. Auch in Leipzig gibt es Stadtteile, in denen die AfD zur Bundestagswahl fast 30 Prozent der Wählerstimmen holte. Warum? Und welche Rolle spielen etwa Verdrängungsdruck am Wohnungsmarkt oder räumliche Segregation? Diesen Fragen widmet sich die Stadtpolitische Tagung »Von der Großstadtfeindschaft zum Nazikiez? Anti-/urbane Kontexte des autoritären Populismus«.

Das universitäre Verbundprojekt Podesta (Populismus | Demokratie | Stadt) untersucht seit 2017 Konflikte um Stadtentwicklung in Leipzig und Stuttgart. Gemeinsam mit dem Netzwerk »Leipzig - Stadt für alle« laden sie für dieses Wochenende zur Tagung in die Galerie Kub. Peter Bescherer ist Sprecher im Panel »Populismus und Demokratie in der Stadt« und forscht am Institut für Soziologie der Universität Jena.

kreuzer: Warum müssen wir gerade jetzt über rechte Tendenzen in der Stadt reden?

PETER BESCHERER: Weil es ein dringendes Problem ist, wie die letzten Wahlen noch einmal gezeigt haben. Es wird immer so dargestellt, dass es hauptsächlich ein ländliches Problem sei, während sich die Städte in Sicherheit wähnen. Urbanität wird allzu häufig mit Weltläufigkeit und Toleranz verbunden. Das ist aber unseres Erachtens nach eine zu einfache Entgegensetzung: Die tolerante und vielfältige Stadt auf der einen Seite und das abgehängte rechte Dorf auf der anderen Seite. So einfach darf man es sich nicht machen. Und man darf die Gründe, die auch in Städten zum Rechtsruck führen, nicht vernachlässigen.

kreuzer: Sind das andere Gründe als auf dem Land?

BESCHERER: Ja. Man hat in den Städten – insbesondere in den Großstädten – eine weitaus angespanntere Lage auf dem Wohnungsmarkt als wir sie in ländlichen Regionen beobachten können. Auch viele Fragen der Sicherheitspolitik stellen sich auf dem Land nicht in gleicher Weise. Es gibt diese Formel der Stadt als »verdichtete Unterschiedlichkeit«. Ländliche Regionen sind da anders strukturiert, da treffen nicht so massiv heterogene Lebensformen aufeinander. In Städten stellen sich daher andere Probleme und Konflikte. Da spielt dann beispielsweise auch die städtebauliche Projekte eine Rolle. Das alles kann auch für Rechtspopulisten eine begünstigende Struktur bieten. In ländlichen Regionen hat man es hingegen eher mit Strukturabbau und demographischer Entleerung zu tun. Die findet sich zwar auch in den Peripherien der Städte, aber trotzdem kommen im Stadtraum noch andere Probleme hinzu.

kreuzer: Auf welche Fragen kann ich mir bei der Tagung Antworten erhoffen?

BESCHERER: Ich glaube, es wird eher eine Bestandsaufnahme werden. Es geht uns darum, das Thema vor Ort überhaupt erst einmal zu platzieren. Denn unseres Erachtens gibt es in Leipzig eine lebendige städtische soziale Bewegung und eine lebendige zivilgesellschaftliche Landschaft gegen Rechts. Uns interessiert gerade dieser Schnittpunkt, aber auch, wo diese Stadtentwicklungsproblematik dazu führen kann, dass rechte Deutungsmuster stärker verfangen. Wir wollen dafür sensibilisieren und diese beiden Szenen einander näher bringen. Für belastbare Antworten ist es allerdings noch etwas früh. Unser Forschungsprojekt läuft noch zwei Jahre. Bisher haben wir eine erste Runde von Experteninterviews geführt und einen Mikrokonflikt in Leipzig genauer untersucht.

kreuzer: PODESTA legt seinen Fokus auf Leipzig und Stuttgart. Geht es Ihnen auch um einen Vergleich zwischen Ost und West?

BESCHERER: Wir wollten natürlich einen Ost-West-Vergleich haben. Leipzig hat eine unglaublich große Dynamik, was die Entwicklung des Wohnungsmarkts angeht. Und wenn man die AfD als Indikator für den gesellschaftlichen Rechtsruck nimmt, dann ist Sachsen für den Osten schon archetypisch, weil da das Problem am drängendsten ist. Dem gegenüber verzeichnet die AfD in Baden-Württemberg die größten Zuwächse innerhalb der westlichen Bundesländer. Unser Praxispartner, der Verein »die Anstifter« in Stuttgart, konnte dort vor allem im Zusammenhang mit dem Bahnhofsumbau beobachten, wie Frustration und Enttäuschung über misslungene Partizipationsversuche auch fragwürdige Richtungen nehmen können.


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