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Kultur

Das schwarze Lebensgefühl

Zum Wave Gotik Treffen werden Ende Mai wieder rund 20.000 Teilnehmer aus aller Welt in der Stadt erwartet. Wie Leipzig zu einer internationalen Hochburg der Gothic-Szene wurde, beschreibt Thomas Thyssen

  Das schwarze Lebensgefühl | Zum Wave Gotik Treffen werden Ende Mai wieder rund 20.000 Teilnehmer aus aller Welt in der Stadt erwartet. Wie Leipzig zu einer internationalen Hochburg der Gothic-Szene wurde, beschreibt Thomas Thyssen

Pfingsten in Leipzig. Der Hauptbahnhof mitsamt seinen Promenaden ist komplett in Schwarz gefärbt. Überall, ob in den Trams, in der Innenstadt, in den Hotels und Pensionen, selbst in den entlegensten Winkeln Leipzigs laufen einem die seltsamsten Gestalten über den Weg: vom Minnesänger in mittelalterlicher Gewandung über in Lederklamotten gekleidete Düsterrocker via in Latex gehüllte Fetischanhänger bis hin zu mittlerweile fast schon altmodisch anmutenden Gruftis mit Vogelnestfrisur, weiten Pumphosen und spitzen Schnallenschuhen. Das Wave Gotik Treffen, weltweit größtes Festival der Gothic-Szene, findet hier über die Pfingsttage bereits seit 16 Jahren statt.

Pfingsten in Leipzig. Der Hauptbahnhof mitsamt seinen Promenaden ist komplett in Schwarz gefärbt. Überall, ob in den Trams, in der Innenstadt, in den Hotels und Pensionen, selbst in den entlegensten Winkeln Leipzigs laufen einem die seltsamsten Gestalten über den Weg: vom Minnesänger in mittelalterlicher Gewandung über in Lederklamotten gekleidete Düsterrocker via in Latex gehüllte Fetischanhänger bis hin zu mittlerweile fast schon altmodisch anmutenden Gruftis mit Vogelnestfrisur, weiten Pumphosen und spitzen Schnallenschuhen. Das Wave Gotik Treffen, weltweit größtes Festival der Gothic-Szene, findet hier über die Pfingsttage bereits seit 16 Jahren statt.

Aber war die Stadt schon von Anfang an von Schwarzen überlaufen? Wie passen all die schwarz gekleideten Personen in eine Szene, obgleich sie dabei doch so unterschiedlich aussehen? Lässt sich diese Szene wirklich auf Patchouli-Duft und Schuhglöckchen reduzieren? Was ist dran an den vielen Vorurteilen, die in der Bevölkerung die Runde machen? Wie wird das WGT, wie das Festival in Kurzform meist genannt wird, in Leipzig aufgenommen? Und wie sieht es mit szenerelevanten Aktivitäten außerhalb der Pfingsttage in der Stadt aus? Um auf die Anfänge des Wave Gotik Treffens zurückzublicken, muss man weiter in der Vergangenheit wühlen als bis 1992, wo im Eiskeller, dem heutigen Conne Island, das allererste offizielle WGT stattfand. Denn bereits 1988 trafen sich Gleichgesinnte zu einem gemütlichen Stelldichein – zumindest war es so geplant – anlässlich der Walpurgisnacht am Schloss Belvedere auf dem Pfingstberg in Potsdam. Die nahezu 150 anwesenden Personen waren jedoch den Ordnungskräften des damaligen DDR-Regimes ein Dorn im Auge, so dass der ungestörte Ablauf der Party schnell unterbunden wurde. Die etwaige Entstehung einer schwer kontrollierbaren Subkultur, die sich kritisch auch mit der SED-Politik auseinandersetzen könnte, stieß beim Staat nicht auf Gegenliebe. Offiziell betrieben werden konnte das damals noch Wave Gothic (und nicht Gotik) Treffen benannte Festival erst nach der Wende, in besagtem Jahr 1992. Mehr als 1.500 internationale Gäste fanden sich bereits im und um den Eiskeller ein. Was in den 15 Jahren danach folgte, ist eine Geschichte mit etlichen Tiefen und noch mehr Höhen. Bis zum Jahr 2000 war das WGT in der Hand der damals im Werk II beheimateten Veranstaltungsagentur Sol et Luna. Die im Nachhinein oftmals als »Chaos-WGT« bezeichnete Edition zum Jahrtausendwechsel führte dank der immer aufwendigeren Gestaltung und des Missmanagements der Organisatoren am dritten Tag des Events zum Bankrott des Veranstalters.

© Cox
Doch was in anderen Szenen vermutlich zu Ausschreitungen geführt hätte, wurde von der schwarzen Gemeinschaft friedlich aufgenommen. Selbst wenn nicht mehr alle Bands und Künstler auftreten würden, für die man teures Eintrittsgeld bezahlt hatte; selbst wenn es keine Security mehr gibt, die den Ablauf der Veranstaltung überwacht – die abertausend Anwesenden blieben ruhig, fungierten oftmals als freiwillige Helfer und auch etliche Musiker spielten ohne Gage auf dem Gelände der alten agra-Messe. In der Historie des WGT war dies mit Sicherheit ein wichtiger Moment, dachte doch ein Großteil der Anwesenden, dass die 2000er Ausgabe des Treffens auch gleichzeitig die letzte sein sollte. Weit gefehlt, denn bereits 2001 wurde unter neuer Leitung eine weitere Runde des WGT eingeläutet. Nun übernahm die eigens dafür gegründete Treffen & Festspielgesellschaft für Mitteldeutschland mbH die Organisation. Mittlerweile lockt das WGT weit über 20.000 Gäste aus aller Herren Länder alljährlich nach Leipzig. Was aber macht den Charme des Festivals aus? Wie setzt sich das Treffen von den mittlerweile vielen ähnlich gearteten Veranstaltungen ab? Viele Besucher wurden über die Jahre zu Stammgästen, die sogar stellenweise ihren Jahresurlaub über die Pfingsttage in Leipzig verbringen – egal ob sie aus Europa, den USA, Asien oder gar aus Australien und Neuseeland stammen. »Das WGT würde außerhalb von Leipzig gar nicht funktionieren, da wir hier vor Ort den großen Vorteil haben, dass wir uns zwar in einer Großstadt mit über einer halben Million Einwohner befinden, es jedoch trotzdem möglich ist, ohne stundenlanges Herumfahren in der Tram von einem Veranstaltungsort zum anderen zu gelangen«, erklärt Cornelius Brach, Pressesprecher des Wave Gotik Treffens, diesen Umstand. Das gilt für alle Locations, egal ob kleine Clubs, die Krypta des Völkerschlachtdenkmals oder die agra als Herzstück des WGT mitsamt dem großen Campingareals. Auch die Zusammenarbeit mit den LVB funktioniere einwandfrei, lobt Brach. »Die gesamte Atmosphäre ist einfach anders und nicht mit Festivals vergleichbar, die eben nur an einem Ort mit einer oder mehreren Open-Air-Bühnen stattfinden. Das Treffen betrifft die ganze Stadt.« »Treffen« ist hierbei wörtlich zu verstehen, denn als »nur ein weiteres Festival« wollen die Macher das WGT nicht verstanden wissen. »Dies ist auch der Hauptgrund, warum es nur Gesamt- und keine Tageskarten für das Event gibt«, erläutert Brach. »Uns ist es wichtig, dass die Gäste das Treffen vor allem als Chance sehen, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen, neue Kontakte zu knüpfen und einfach gemeinsam ausgelassen zu feiern. Normale Festivals, auch im schwarzen Bereich, gibt es sonst wie Sand am Meer.« Dass Leipzig wegen des Wave Gotik Treffens mittlerweile weltweit ein hohes Ansehen genießt, nicht nur bei den Gästen, sondern auch bei etlichen der beteiligten Musiker und Künstler, ist nicht weiter verwunderlich. Einige haben sogar so sehr einen Narren an der Stadt gefressen, dass sie kurzfristig ihre Zelte anderswo abbrachen, um in Leipzig einen neuen Anfang zu wagen. Der wohl prominenteste Vertreter dieser Zunft ist Ronny Moorings, eigentlich aus den Niederlanden stammend und bereits seit Beginn der Achtziger mit seiner Band Clan Of Xymox erfolgreich unterwegs. Er kann nicht nur auf Hunderttausende verkaufter Alben zurückblicken, sondern hat auch nahezu alle Kontinente bereits auf Konzertreisen hinter sich gelassen. »Amsterdam siechte vor sich hin, sowohl kulturell als auch als Stadt«, erklärt Moorings die Hintergründe seines Umzugs vor einem Jahr. »Ich kannte Leipzig zuerst nur von unseren Gigs beim WGT und von daher auch nur das agra-Gelände. Als ich dann erstmals Gelegenheit hatte, die Stadt zu besichtigen, war es um mich geschehen. Ich habe den Schritt, hierher zu ziehen, jedenfalls noch nicht bereut, keineswegs. Das WGT selbst ist nach wie vor einzigartig in seinem Ablauf und seiner Atmosphäre, und ich habe wirklich viele Festivals und große Open Airs in den letzten zwanzig Jahren gesehen.« Daniel Myer ist ebenfalls zugezogener Leipziger. Der Mastermind der deutschen Electro-Legende haujobb ist auch in vielen anderen elektronisch gelagerten Gefilden unterwegs, egal ob Ambient, Drum & Bass oder Ambient-Sounds. Er war bereits etliche Male in das Geschehen des Treffens involviert, als Musiker und als DJ. »Ich hatte eine gescheiterte Ehe hinter mir und wollte einfach raus aus meiner gewohnten Umgebung«, sagt der 35-Jährige. »Außerdem habe ich angefangen für ein hier ansässiges Label eine Band zu produzieren. Bevor ich nach Leipzig gezogen bin, war ich immer wieder wegen diverser Jobs in der Stadt. Ich mochte es sehr und irgendwie liegen hier auch meine Wurzeln.« Genauso vielfältig wie die Macher, die es permanent nach Leipzig zog, gestaltet sich auch das Programm des Wave Gotik Treffens. Denn anders als allgemein angenommen ist Gothic nicht gleich Gothic und Grufti nicht gleich Grufti. Ganz im Gegenteil, tatsächlich besteht die Szene aus den unterschiedlichsten Splittergruppen und Subsparten, die allesamt ihre eigenen Dresscodes, Eigenheiten und musikalischen Vorlieben besitzen. Wie in anderen Jugendsubkulturen gibt es auch im Goth-Bereich Nischen, in denen kaum Verständnis für die anderen aufgebracht wird. Konfrontationen zwischen alten und jungen Anhängern der Szenerie kommen häufig vor – old school vs. new school. Die Bandbreite der Musik bewegt sich dabei von Klängen der Frühphase der Bewegung mit Künstlern wie The Cure, Joy Division, Bauhaus, Throbbing Gristle, Front 242, Skinny Puppy und Depeche Mode über mittelalterliche Sounds, metallische Gitarren aller Arten, punkige Uptempo-Nummern, sphärisch-ätherische Stimmen und poppige Synthie-Harmonien bis hin zu fast schon Techno-ähnlichen Soundscapes, die, wenn nicht die verzerrten Vocals wären, wohl auch auf jedem Dorffest regen Anklang finden würden. Man sieht: Die musikalische Schere ist weit und damit auch der Nährboden für – wenn auch friedlich ausgetragene – Zwistigkeiten tief. Markus A. Müller von San Diego Music, langjähriger Veranstalter und DJ in Leipzig und zudem Radiomoderator der sonntäglichen Sendung »Insomnia« auf MDR Sputnik, bemängelt die fehlende Offenheit innerhalb der Szene: »Das WGT könnte ein etwas innovativeres, unabhängiges Programm gebrauchen, jenseits vom Mainstream der Szene. Impulse sollten gesetzt werden, um in die Zukunft schauen zu können, gerade auch, um eine Vorreiterstellung einzunehmen.« Dass die open mindedness nicht zu weit gehen darf, zeigten die in den letzten Jahren immer wieder in den Medien auftauchenden Berichte darüber, dass sich die Neonazi-Szene subtil Zugang zur schwarzen Subkultur verschaffen wolle, der man eine gewisse Affinität zum Heiden- und Germanentum nicht absprechen kann – zumindest einigen Nischengruppierungen nicht. Der Grat zwischen künstlerischem Spiel und Provokation mit Symbolik und waschechtem Rechtsradikalismus ist bisweilen sehr schmal. Bei den Veranstaltern ist deshalb Fingerspitzengefühl gefragt. Doch die Treffen- & Festspielgesellschaft hat aus den Fehlern des früheren WGT-Veranstalters Sol et Luna gelernt, als zum 2000er Treffen die berüchtigte Formation Von Thronstahl eingeladen wurde, deren Frontmann Josef Maria Klumb über einschlägige Kontakte in die rechte Szene verfügte. So etwas scheint mittlerweile undenkbar: »Das Wave Gotik Treffen ist keinerlei Podium für politische Aktivitäten oder Agitation, in welcher Richtung auch immer«, erklärt Pressesprecher Brach auf KREUZER-Anfrage. In diesem Jahr wird im Rahmen des WGT zum ersten Mal die »Glitter Trauma«-Party im Volkshaus veranstaltet, ein Event, das speziell für die Queer-Szene auf die Beine gestellt wurde. Durchaus ein Beleg dafür, dass es den Veranstaltern wichtig ist, wirklich für jede Szenenische etwas zu bieten. Etwas ganz Besonderes haben sie sich zusätzlich einfallen lassen: »Am Eröffnungsfreitag des Treffens wird es zum ersten Mal in der Geschichte des WGT eine Veranstaltung geben, die komplett kostenlos ist und speziell für die Leipziger Bevölkerung konzipiert wurde«, berichtet Pressesprecher Cornelius Brach. Zusammen mit dem Mittelaltermarkt »Wonnemond«, der an und in der Moritzbastei täglich während des WGT stattfindet, und dem »Heidnischen Dorf« am Torhaus Dölitz ist somit ein dritter Veranstaltungshöhepunkt geschaffen worden, bei dem sich interessierte Leipziger ins schwarzbunte Getümmel des Treffens stürzen können, ohne ein Gesamtticket besitzen zu müssen. »Gerade die Mittelaltermärkte und das Heidnische Dorf bieten sich auch als Ausflugsziel für Familien an, die einfach mal WGT-Luft schnuppern wollen«, glaubt Brach. Die Akzeptanz nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch innerhalb der städtischen Gremien und Institutionen ist über die Jahre hinweg stetig gewachsen. Wo anfangs noch gelächelt wurde, weiß man nun, dass das Wave Gotik Treffen ein mehrtägiges Event mit internationalem Prestige ist. In diesem Jahr bot die Oper Leipzig den Organisatoren an, die ohnehin geplanten Aufführungen von Verdis Requiem am Pfingstsamstag und -sonntag mit ins offizielle WGT-Programm aufzunehmen. »Das hat uns natürlich sehr gefreut«, sagt Brach, der es als einen weiteren Beleg dafür wertet, »dass viele Scheuklappen mittlerweile nicht mehr existent sind«. Was nur logisch ist, denn auch außerhalb des Wave Gotik Treffens hat sich Leipzig mittlerweile zu einem weltweit angesehenen Zentrum der Gothic-Szene gemausert. Mit der Villa, dem Darkflower und der Moritzbastei verfügt die Stadt gleich über drei Lokalitäten, die regelmäßig Events für die schwarze Szene anbieten. Hinzu kommen etliche Partys, die in Werk II, Kulturbundhaus oder 1880 sporadisch organisiert werden. Marko Meyer, Betreiber des Dark-flower-Clubs in der Hainstraße, bestätigt diese Einschätzung: »Ich kenne keine andere Stadt, die über so viele Szeneleute, Veranstaltungsorte und Events verfügt. Den Ausdruck ›Weltszenehauptstadt‹ mag ich trotzdem nicht. Das WGT wiederum ist für das Image Leipzigs sehr wichtig, und dies nicht nur innerhalb der Szene. Für das Image des Darkflower natürlich auch, denn Besucher aus allen Teilen der Welt treffen sich bei uns im Club.« In der Tat ist das Treffen längst auch zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor für die Stadt geworden. Mehrere tausend Übernachtungen, hohe Umsätze in der Gastronomie und natürlich in allen relevanten Szeneläden sprechen für sich. Ob dies in der Bevölkerung dazu beigetragen hat, dass man »die Schwarzen« immer weniger misstrauisch beäugt? »Die Bürger finden es lustig, unterhaltsam. Eine Freakshow, für die man keinen Eintritt zahlen muss – wenn nur nicht dieser widerliche Gestank wäre!«, lacht Daniel Myer augenzwinkernd. Alles Gründe, die dafür sprechen, dass auch die 16. Auflage des WGT wieder ein voller Erfolg wird. Für die Besucher, die Veranstalter, aber auch die Leipziger Bürgerschaft und die Stadt an sich. Hochkarätige Künstler und exklusive Performances haben sich angekündigt. Über den aktuellen Programmstand kann man sich online immer aktuell auf der WGT-Website informieren. Aber auch beim Buchen des Programms gilt die Maxime des Treffens, dass auf die ganz großen Namen bewusst verzichtet wird, da diese so oder so auf allen anderen Festivals auftreten. Vielmehr versteht sich das Wave Gotik Treffen auch als Plattform für junge oder noch unbekannte Musiker. Nicht wenige haben nach einem geglückten Gig beim WGT einen steilen Karrieresprung gemacht. Vielleicht gilt das ja auch für die eine oder andere gebuchte Band anno 2007. Noch bis Pfingsten können sich die Leipziger mental auf vier schwarze Tage in der Stadt einstellen. Vier Tage, die den Ausnahmestatus Leipzigs als internationale Hochburg der Gothic-Szene zementieren werden.


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