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Kultur

Warme Milch von Tante Edeltraut

Die Leipzigerin Kathrin Aehnlich hat ihren ersten Roman veröffentlicht – eine Geschichte über Freundschaft und Liebe, Leben und Tod, wunderbar leicht erzählt

  Warme Milch von Tante Edeltraut | Die Leipzigerin Kathrin Aehnlich hat ihren ersten Roman veröffentlicht – eine Geschichte über Freundschaft und Liebe, Leben und Tod, wunderbar leicht erzählt

Der Neue fällt auf im Kindergarten, in dem Tante Edeltraut das Kommando führt. Mit seiner ruhigen Art, den langen Haaren und vor allem seinem Namen. Jean-Paul Langanke. Die anderen Kinder in der Einrichtung heißen Monika, Klaus oder Matthias, wie man eben so heißt in der DDR. Tante Edeltraut ist aber noch mit jedem Kind fertig geworden, und so muss auch »Schangbol« jeden Tag eine Tasse warme Milch trinken, die Haut gehört dazu. Und aufessen. Und die Hausschuhe anziehen. Der verträumte Junge leistet tapfer Widerstand, was ihm die Bewunderung von Skarlet Bucklitzsch einbringt. Der Beginn einer langen Freundschaft. Diese Freundschaft hat es wirklich gegeben. Vor mehr als fünf Jahren starb Holger Jackisch, ihm und seiner Familie ist dieses Buch gewidmet. Holger Jackisch hat auch für den KREUZER geschrieben, einfühlsame Gerichtsberichte. Nicht die großen, spektakulären Fälle haben ihn interessiert, sondern Gelegenheitsdiebe und Zechpreller. Vor seinem Tod hat er sich eine Grabrede ohne Pathos gewünscht, »nur ein bisschen Geschichtenerzählen«.

Der Neue fällt auf im Kindergarten, in dem Tante Edeltraut das Kommando führt. Mit seiner ruhigen Art, den langen Haaren und vor allem seinem Namen. Jean-Paul Langanke. Die anderen Kinder in der Einrichtung heißen Monika, Klaus oder Matthias, wie man eben so heißt in der DDR. Tante Edeltraut ist aber noch mit jedem Kind fertig geworden, und so muss auch »Schangbol« jeden Tag eine Tasse warme Milch trinken, die Haut gehört dazu. Und aufessen. Und die Hausschuhe anziehen. Der verträumte Junge leistet tapfer Widerstand, was ihm die Bewunderung von Skarlet Bucklitzsch einbringt. Der Beginn einer langen Freundschaft.

Diese Freundschaft hat es wirklich gegeben. Vor mehr als fünf Jahren starb Holger Jackisch, ihm und seiner Familie ist dieses Buch gewidmet. Holger Jackisch hat auch für den KREUZER geschrieben, einfühlsame Gerichtsberichte. Nicht die großen, spektakulären Fälle haben ihn interessiert, sondern Gelegenheitsdiebe und Zechpreller. Vor seinem Tod hat er sich eine Grabrede ohne Pathos gewünscht, »nur ein bisschen Geschichtenerzählen«.

Katrin Aehnlich versteht was von Geschichtenerzählen, sie hat am Leipziger Literaturinstitut studiert und arbeitet in der Feature-Redaktion von MDR Figaro. In ihrem Buch wimmelt es von Geschichten, lustigen und traurigen, mitunter schrägen. Wir lernen Skarlets Vater kennen, der in einer Art Tagebuch über Jahre hinweg sämtliche Ausgaben der Familie notiert, inklusive der Zählerstände im Keller. Wir begegnen einem Fotografen in einer Fotografen-Weste, einem stadtbekannten Maler, einem Zirkus-Clown und dem deutschen Bestattungswesen. »Der Bestatter schob eine Mappe über den Tisch. Schweinsleder mit eingeprägtem goldenem Kreuz. Es gab für alles Kataloge.« Jean-Paul und Skarlet verlieren sich nach der gemeinsamen Kindergartenzeit nicht mehr aus den Augen. Sie studieren, erleben in Leipzig die Wende. Sie heiratet – leider den Falschen – und wird Pressesprecherin im Zoo, der besonders stolz ist auf seine Löffelstörzucht. Er erfüllt sich einen Kindheitstraum und kauft ein altes Kino, um die Filme sehen zu können, die in den neuen Glitzerpalästen nicht gezeigt werden. Und er trifft Judith, die Liebe seines Lebens. Als Lukas, der gemeinsame Sohn, zur Welt kommt, ist die tödliche Krankheit schon in ihm.

Kathrin Aehnlich schreibt über Krankheit und Tod, über das Leben in der DDR und im wiedervereinigten Deutschland. Ihre Sätze gehen mitten ins Herz. Man könnte schwermütig werden dabei oder nostalgisch. Nichts von dem ist im Roman zu spüren. Die Autorin meistert die Klippen souverän, indem sie ihre Geschichten leicht und humorvoll erzählt. Das macht dieses Buch stark. Der Tod als etwas Schicksalhaftes, zum Teil ganz Banales. So stehen die Freunde nach der Trauerfeier noch eine Zeit lang an Jean-Pauls offenem Grab, niemand will gehen. Der Bestatter wird langsam unruhig, der Feierabend naht. Wie früher wird das Problem diskret mit einem Geldschein gelöst. »Ein Toter – ein Roter, noch immer galt die alte Regel.« Man liest dieses Buch, atmet tief durch und stellt sich die Personen vor. Wie Jean-Paul den Kopf schief hält, während er nachdenkt. Wie er sich beim Lachen mit den Händen die Knie reibt. Wie er kurz vor seinem Tod noch einmal den guten Boss-Anzug aus dem Schrank holen lässt, um gemeinsam mit Freunden Weihnachten zu feiern. Vielleicht wird das Buch eines Tages verfilmt. Der Stoff gibt es auf jeden Fall her.


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