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Kultur

Hebefigur mit Herzschrittmacher

Dialog der Stile und Generationen: Heike Hennig bringt für ihre neue Choreografie „ZeitSprünge“ junge und alte Tänzer zusammen

  Hebefigur mit Herzschrittmacher | Dialog der Stile und Generationen: Heike Hennig bringt für ihre neue Choreografie „ZeitSprünge“ junge und alte Tänzer zusammen

Durch die hohen Fenster scheint die Frühlingssonne auf das Parkett im kleinen Saal der Villa in der Lessingstraße. Sieben Tänzer in Probenkleidung wärmen sich auf, machen Dehnübungen oder wiederholen gemeinsam Tanzschritte. Michael und Horst versuchen ihre Armbewegungen dem Takt der Musik anzupassen, Siegfried und Sahra gehen die Bewegungsabläufe ihres Duetts durch. Eine ganz normale Tanzprobe.

Durch die hohen Fenster scheint die Frühlingssonne auf das Parkett im kleinen Saal der Villa in der Lessingstraße. Sieben Tänzer in Probenkleidung wärmen sich auf, machen Dehnübungen oder wiederholen gemeinsam Tanzschritte. Michael und Horst versuchen ihre Armbewegungen dem Takt der Musik anzupassen, Siegfried und Sahra gehen die Bewegungsabläufe ihres Duetts durch. Eine ganz normale Tanzprobe. Doch zwei der sieben Tänzer haben ihre Karriere eigentlich schon hinter sich: Horst Dittmann ist 64, Siegfried Prößl 73 Jahre alt. Beide waren in den 60er und 70er Jahren Mitglieder des Balletts der Leipziger Oper. Mittlerweile sind sie Rentner – und sie tanzen wieder. Schon im vergangenen Jahr standen sie mit Ursula Cain und Christa Franze in der erfolgreichen Choreografie „Zeit – tanzen seit 1927“ auf der Bühne. „ZeitSprünge“ ist das Folge-Projekt der tanz-scene um Choreografin Heike Hennig und wird im Kellertheater der Leipziger Oper zu sehen sein. Die vier älteren Tänzer treffen auf fünf jüngere Kollegen, die bei einem Casting aus fast 120 Teilnehmern ausgewählt wurden. Die Altersspanne im Ensemble ist groß: 22 Jahre ist die jüngste, 80 Jahre die älteste Tänzerin, die ehemalige Primaballerina Ursula Cain. Sie und Christa Franze, 79, haben heute probenfrei, denn natürlich sind die Älteren nicht mehr so belastbar und kommen daher nur zwei Mal pro Woche in die Villa.

Dann jedoch verschwimmt der Unterschied zwischen Alt und Jung – und auf der Probebühne stehen in erster Linie Tänzer. Die Arbeitsatmosphäre ist fröhlich, aber professionell. Siegfried Prößl und Horst Dittmann tanzen auch die x-te Wiederholung einer Passage mit der gleichen Konzentration und Energie wie die Jüngeren. Natürlich gibt es dennoch Bewegungen, die sie nicht mehr ausführen können. „Das ist schon manchmal frustrierend“, gibt Siegfried Prößl zu. „Man weiß genau, wie es geht, aber es geht nicht mehr.“ Daher ist es ihm besonders wichtig, im Duett mit der gut 50 Jahre jüngeren Sahra Huby einige Hebefiguren zu tanzen: „Eigentlich darf ich das nicht, weil ich einen Herzschrittmacher habe, aber ich möchte es gerne machen, weil ich das früher ganz ähnlich auch schon mal getanzt habe.“ Gelegentliche Frustrationen gibt es jedoch auch bei den Jüngeren. „Diese Kraft und Präsenz, die die Alten haben, durch dieses große Leben, das hinter ihnen liegt, das können wir gar nicht schaffen“, ist sich Prößls Partnerin Sahra Huby sicher.

„ZeitSprünge“ ist ein Projekt, das Begegnungen ermöglichen soll. Nicht nur verschiedene Generationen treffen hier aufeinander, sondern auch verschiedene Tanzstile: Da sind Nina Patricia Hänel und Joy Alpuerto Ritter, die an der Dresdner Palucca-Schule zeitgenössischen Tanz gelernt haben; da ist Michael Veit mit der klassischen Ballettausbildung; da ist Timo Draheim, der Breakdancer. „Oft habe ich das Gefühl, dass ich im Tanzstil weiter von einigen der Jüngeren entfernt bin als von den Älteren“, erzählt Sahra Huby, die selbst an verschiedenen europäischen Schulen studiert hat.

Choreografin Heike Hennig
Mit Timo Draheim tanzt sie ein faszinierendes Duett aus Bewegungen, die sich zugleich stören und ergänzen, die magisch ineinandergreifen: Er springt in den Handstand, dreht sich auf dem Kopf, und bei diesem schnellen Breakdance stoßen seine Füße wie zufällig immer wieder an ihren Körper, heben ihn in die Höhe, geben ihren langsam fließenden Bewegungen neue Richtungen. „Natürlich war da erst eine Befremdlichkeit“, lacht Heike Hennig. „Timo tanzt ja zum Beispiel fast nur auf den Händen, und die anderen nur auf den Füßen – da haben gerade die Älteren schon erst mal geguckt.“ Die Vielfalt der Tanzstile und Generationen steht auch für eine Vielfalt der Lebensentwürfe, die sich kontrastieren und begegnen, ohne das jeweils Eigene aufzugeben. Von dem Projekt profitieren alle Seiten – die Älteren, die noch einmal vor einer tänzerischen Herausforderung stehen, ebenso wie die Jüngeren: „Man wird viel gelassener, verliert die Angst, weil man sieht was alles noch geht“, sagt Heike Hennig.

Ihre Zusammenarbeit mit älteren Tänzern hat mittlerweile weite Kreise gezogen, auch über Leipzig hinaus. Finanziert wird das Projekt ohnehin vor allem aus überregionalen Fördertöpfen. Außerdem wurde der Dokumentarfilmer Trevor Peters auf das erste Projekt, „Zeit – tanzen seit 1927“, aufmerksam. Noch in diesem Jahr soll der Film „Tanz mit der Zeit“ bundesweit in die Kinos kommen, momentan wird noch gedreht.

In einer Pause sitzen alle gemeinsam im Café. Von der strengen Enthaltsamkeit der Balletttänzer ist hier nicht viel zu merken: Siegfried Prößl und Horst Dittmann futtern wie die anderen auch Buttercroissants zum späten Frühstück. Es wird gelacht, gescherzt und lebhaft diskutiert. „Ich finde, Deutschland geht schlecht mit seinen Alten um“, erklärt der gebürtige Neuseeländer Trevor Peters. „Es täte gut, wenn die Menschen mehr über dieses Thema nachdenken würden. Und dazu bieten Stück und Film vielleicht eine Möglichkeit.“ Zwar wird Peters’ Film in erster Linie das erste Tanzprojekt der vier älteren Tänzer dokumentieren, doch er war mit seiner Kamera auch bei den Proben zu „ZeitSprünge“ dabei. Er möchte gern zeigen, dass es weitergeht: „Solange die Tänzer Kräfte haben, spricht schließlich nichts dagegen, dass sie tanzen.“ Ganz ähnlich drückt sich auch Heike Hennig aus: „Gerade der Tanz ist ja explizit auf Schönheit und Perfektion ausgerichtet. Dass in der Langsamkeit und Leichtigkeit, die mit dem Alter kommt, ganz andere Kapazitäten liegen, das können die Zuschauer bei uns hoffentlich erfahren.“


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