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Kultur

Das Unsagbare erzählen

Die Schaubühne Lindenfels zeigt eine beeindruckende Retrospektive des taiwanesischen Meisterregisseurs Hou Hsiao-Hsien

  Das Unsagbare erzählen | Die Schaubühne Lindenfels zeigt eine beeindruckende Retrospektive des taiwanesischen Meisterregisseurs Hou Hsiao-Hsien

Eigentlich wollte Hou Hsiao-Hsien persönlich zur Eröffnung der Retrospektive nach Leipzig kommen. Aber die Beerdigung seines Freundes Edward Yang kam dem Vorhaben in die Quere. Gemeinsam mit Yang gehört Hou (so der Familienname, der im Asiatischen zuerst genannt wird) zu den wichtigsten Vertretern der taiwanischen Nouvelle Vague der 80er Jahre. Auf dem Filmfestival in Locarno wurde der Regisseur vor wenigen Tagen mit dem Ehrenleoparden ausgezeichnet. In Zusammenarbeit mit der Taipeh-Vertretung in Berlin zeigt die Schaubühne Lindenfels vom 12. bis 24. August zehn seiner insgesamt bisher 14 Filme. Für KREUZER-Online porträtierte der aus Taiwan stammende Philosophie-Promovend Li Lin-Po den Meisterregisseur.

Eigentlich wollte Hou Hsiao-Hsien persönlich zur Eröffnung der Retrospektive nach Leipzig kommen. Aber die Beerdigung seines Freundes Edward Yang kam dem Vorhaben in die Quere. Gemeinsam mit Yang gehört Hou (so der Familienname, der im Asiatischen zuerst genannt wird) zu den wichtigsten Vertretern der taiwanischen Nouvelle Vague der 80er Jahre. Auf dem Filmfestival in Locarno wurde der Regisseur vor wenigen Tagen mit dem Ehrenleoparden ausgezeichnet. In Zusammenarbeit mit der Taipeh-Vertretung in Berlin zeigt die Schaubühne Lindenfels vom 12. bis 24. August zehn seiner insgesamt bisher 14 Filme. Für KREUZER-Online porträtierte der aus Taiwan stammende Philosophie-Promovend Li Lin-Po den Meisterregisseur.

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Taiwan, 1966: Ein Mädchen liest den Brief eines Jungen, den es kürzlich kennengelernt hat, mit einem schüchternen Lächeln. 1911: Eine Kurtisane liest den Brief ihres Geliebten, berührt gedankenvoll das Papier und wischt sich die Augen. 2005: Eine bisexuelle junge Frau liest am Computer die Nachricht ihrer Geliebten, die die Affäre zwischen ihr und einem Mann aufgedeckt hat, voller Melancholie, aber tatenlos.

Drei Szenen aus „Three Times“ (2005), ein Spielfilm des international gefeierten, 60-jährigen taiwanischen Filmregisseurs Hou Hsiao-Hsien. Der Film, wie dessen Titel besagt, besteht aus drei episodischen Liebesgeschichten: „Traum der Liebe“ im Jahr 1966, „Traum der Freiheit“ im Jahr 1911, und „Traum der Jugend“ im Jahr 2005. Allein in diesen drei Szenen, in denen die Protagonistinnen einen Brief lesen, wird dem Zuschauer durch ihre Mimik und Gestik ein bildhafter Eindruck vom Temperament und Liebesverhältnis der Menschen in der jeweiligen Epoche vermittelt. Anders als viele Regisseure, die durch ihre Filme besinnliche Perspektiven erschaffen, stehen bei Hou immer die Menschen im Zentrum, wie sie fühlen, denken und handeln. Der Mensch an sich eben − ohne überflüssige Dialoge und jegliche philosophische Predigt.

Die drei Episoden in „Three Times“ repräsentieren nicht nur die Menschen in Taiwan, sie sind zugleich eine von Hou selbst gegebene Einführung in sein bisheriges Filmschaffen. Abgesehen von seinen anfänglichen Werken, in denen der Charakter noch nicht so deutlich zu erkennen ist, kann man Hous Filme dem Stil nach auch in drei Perioden einteilen (wenn auch nicht streng chronologisch gegliedert):

Erste Periode: die autobiographische. „The Boys from Fengkuei“ (1983), „A Summer at Grandpa's” (1984), “A Time to Live, a Time to Die” (1985) und “Dust in the Wind“ (1986)

„A Time to Live, a Time to Die“ ist die buchstäbliche Autobiographie des Regisseurs, während die anderen drei aus der Zusammenarbeit mit seinen Drehbuchautoren entstanden sind. Durch alle vier Filme zieht sich eine nostalgische Stimmung: die Erinnerung an die Jugend. Mit diesen Werken, die das Taiwan der 60er und 70er Jahre zeigen, entwickelte Hou seinen erzählerischen Stil und behauptete sich allmählich auf internationalen Festivals.

Zweite Periode: die historische. „A City of Sadness“ (1989), “The Puppetmaster“ (1993), “Good Men, Good Women” (1995), “Flowers of Shanghai” (1998)

Seit „A City of Sadness“ 1989 in Venedig mit dem Goldenen Löwen zum Besten Film gekürt wurde, gilt Hou zweifellos als einer der ganz großen Cineasten. Dieser und die zwei folgenden Filme bilden zusammen eine Taiwan-Trilogie. Ihre Handlungen spielen vor dem Hintergrund der politisch turbulenten Jahre Taiwans − kurz vor und nach dem Zweiten Weltkrieg. Dadurch hat Hou sein Blickfeld vom Individualistischen zum Humanistischen erweitert. Beschreibt man die Werke der ersten Periode als poetisch, so gleicht die Taiwan-Trilogie einem Epos. Der Kostümfilm „Flowers of Shanghai“, der den Auftakt der Retrospektive in Leipzig bildet, basiert auf einem Roman über Kurtisanen in der chinesischen Kaiserzeit. Neben der exotischen Atmosphäre ist vor allem die Feinfühligkeit der Figuren zu bewundern.

Dritte Periode: die gesellschaftliche. „Daughter of the Nile“ (1987), „Goodbye South, Goodbye” (1996), “Millennium Mambo” (2001), “Café Lumière” (2003)

In seiner dritten Schaffensperiode richtet Hou sein Augenmerk auf unsere Gegenwart. Gleich geblieben ist die distanzierte, aber scharfsinnige Beobachtung der Menschen, in der Hou die energische aber ziellose Lebensart der jungen Generation skizziert, die den Erwachsenen entfremdet scheint. „Café Lumière“, eine Hommage an den japanischen Regisseur Ozu Yasujirō, drehte Hou in Japan mit japanischen Schauspielern.

„Jeder Regisseur dreht lebenslang nur einen Film“, sagt Hou. Demzufolge sind all seine Filme als ein einziges Lebenswerk anzusehen. Der rote Faden, der sich durch dieses Lebenswerk zieht, lautet in seinen eigenen Worten: „Wenn ich einen Film drehe, denke ich nicht daran, besondere Gedanken auszudrücken oder nach einem vorhandenen Konzept zu drehen. Was mich wirklich interessiert, ist der Mensch an sich. Mein Antrieb ist sehr seltsam: Ich fühle mich gerade vom Menschen berührt. Ich weiß nicht warum. Ich fühle mich eben nur vom Menschen an sich berührt.“ Um den menschlichen Gefühlsausdruck zu fassen, entwickelte Hou eine scheinbar triviale, in der Tat aber sehr feinsinnige Filmsprache, die technisch besonders durch lange Einstellungen auffällt, was im Gegensatz zum Montage-Stil Hollywoods steht. Daraus geht ein ostasiatisch-beschauliches Lebensbild hervor, das zwar unsagbar ist, aber von jedem verstanden wird.


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