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Politik

»Neoliberale Vorstellungen«

Hochschulautonomie als Etikettenschwindel: Ein u:boot-Gastkommentar zum neuen Sächsischen Hochschulgesetz

  »Neoliberale Vorstellungen« | Hochschulautonomie als Etikettenschwindel: Ein u:boot-Gastkommentar zum neuen Sächsischen Hochschulgesetz

Am 21. September trat Cornelius Weiss als SPD-Fraktionschef im Landtag zurück. Er begründete diesen Schritt mit dem Einknicken seiner Fraktion gegenüber der CDU beim Entwurf für das neue Hochschulgesetz. In einem aktuellen Gastkommentar für den KREUZER begründet der Ex-Rektor der Uni Leipzig seine Kritik eingehend. Der Beitrag entstand exklusiv für das Studenten-Magazin u:boot, das dem Oktober-KREUZER beiliegt.

Jahrelang hat die Politik die Mahnungen des Wissenschaftsrates, dass Deutschland zu wenig in Bildung und Wissenschaft investiert, einfach ignoriert. Im Gegenteil wurden bundesweit den Hochschulen erhebliche Mittel- und Stellenkürzungen zugemutet. Erst nachdem unübersehbar geworden ist, dass Deutschland hinsichtlich seiner Innovationsfähigkeit gegenüber Ländern mit vergleichbarer Wirtschaftskraft akut ins Hintertreffen zu geraten droht, reagiert die Politik – und zwar auf die ihr eigene Weise. Statt endlich die Grundfinanzierung der Hochschulen auf eine solide Grundlage zu stellen und der Wissenschaft die für die Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Freiräume zu schaffen, erschöpft sie sich in wohlklingenden Fensterreden und öffentlichkeitswirksamen Sonderaktionen, wie etwa den »Exzellenzinitiativen«, in denen die viel zu geringen Finanzmittel mit erheblichem Aufwand nochmals umverteilt werden – kurz: »in immer neuem Aktionismus, der kraftvolles Handeln signalisieren soll, aber nichts bessert«, wie Peter Gutjahr-Löser, ehemaliger Kanzler der Universität Leipzig treffend sagte.

Dem vom Bertelsmann-Konzern mit erheblichen Finanzmitteln ausgestatteten Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) ist es inzwischen gelungen, mit dem ständigen Gerede von angeblich mangelnder Effizienz, fehlender Leistungskontrolle und von der Planbarkeit von Forschung die Meinungsführerschaft in der öffentlichen Diskussion zu übernehmen und damit den Boden zur Unterordnung der Wissenschaft unter die Interessen der Wirtschaft zu bereiten. Dass damit ein alter DDR-Holzweg beschritten wird, von dem wir aus Erfahrung wissen, wo er endet – im Niedergang der Wissenschaft –, wird unterschlagen.

Auch die Hochschulgesetzgebung ist in fast allen Bundesländern geprägt von absolutem Unverständnis für die wahren Antriebskräfte der Wissenschaft und für ihre bewährten Kontroll- und Selbststeuerungsmechanismen und Strukturen. Sachsen macht hier leider keine Ausnahme. Die seit 2004 mitregierende SPD hat den neoliberalen Vorstellungen des Koalitionspartners CDU und dem massiven Druck des Ministerpräsidenten Milbradt letztendlich nicht zu widerstehen vermocht. Sie hat einen Gesetzentwurf passieren lassen, der die Vorstellungen der Hochschulerneuerer von 1990 vom Tisch fegt und weit hinter das zurzeit noch geltende, durchaus progressive Sächsische Hochschulgesetz von 1999 zurückgeht.

Die Hochschulen werden nach dem Vorbild von Wirtschaftsunternehmen organisiert. Die demokratischen Mitwirkungsrechte der Hochschulmitglieder werden durch die Abschaffung des Konzils, die Verkleinerung des Senats und die »Stärkung des Rektors« rigoros beschnitten. Das Wort »Hochschulautonomie« wird zum Etikettenschwindel, denn die bisherige Fremdsteuerung durch die Ministerialbürokratie wird lediglich gegen die Fremdsteuerung durch den Hochschulrat und die Bürokratien der Evaluierer, Akkreditierer und Zertifizierer ausgetauscht. Das Verbot von Studiengebühren ist allerdings ausdrücklich zu begrüßen.

Ist die sächsische Wissenschaft damit verloren? Natürlich nicht! Die Versuche, arrogant und dumm in die Wissenschaft hinein zu regieren, sind so alt wie die Wissenschaft selbst. Der Erkenntnisfortschritt – Entwicklungen und Erfindungen, die sich heute kein Minister und kein Unternehmer vorzustellen vermag – reift jedoch unabhängig von den äußeren Umständen in aller Stille. Er wird getragen von denen, die vom »Feuer der Wissenschaft« erfasst sind.


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