anzeige
anzeige
Kultur

Ein Pro und Contra zum Thema

  Ein Pro und Contra zum Thema |

Wie soll die Zukunft der Oper Leipzig aussehen? Und was dürfen wir von Riccardo Chailly als GMD erwarten?

Wie soll die Zukunft der Oper Leipzig aussehen? Und was dürfen wir von Riccardo Chailly als GMD erwarten?

PRO

Alles oder nichts? Fast alles! Warum Leipzig mehr Geld für die Oper braucht – wenn die Oper sich ändert

Man muss Riccardo Chailly danken. Für die Ohrfeige, die er – zack – ins Sommerloch platziert hat wie einen flotten Auftakt ins Gewandhaus. Der Hinweis, Leipzig sei beileibe nicht die einzige Stadt der Welt, die nicht genug Geld habe, ist richtig. Nein, wir sind kein Sonderfall und wahrlich nicht zu bemitleiden. Im Gegenteil. Wir haben zumindest einen Dirigenten, dem diese Stadt und ihre künstlerische Zukunft anscheinend nicht egal sind. Endlich sagt einer, was Sache ist: Die Oper braucht mehr Geld für eine Flucht nach vorn. Sonst gehen die Lichter bald ganz aus. Zu bedauern sind wir höchstens ob des Versagens unserer Politiker. Die spielen – nach Fehlentscheidungen, deren folgenreichste die Berufung Henri Maiers war – inzwischen wirklich mit dem Feuer. Indem sie durch ihr Schweigen in Sachen Opernzukunft der Musikstadt nicht nur einen schweren Image-Schaden zufügen, sondern die kulturpolitische Bühne den Populisten und Boulevardmedien überlassen. Man könnte die Debatte zur Abwechslung jedoch einmal anders führen. In ein paar Jahren ist die Stadt fertig gebaut, die letzten großen Löcher – City-Tunnel, Universität, Brühl – sind dann zu. Leipzig wird, wenn alles gut geht, endlich eine neue Identität gefunden haben: zwischen den Extremen Größenwahn und Kleinmut. Wir werden »unser« 2012 erleben, ohne Olympia, aber in einer baulich schönen Stadt. Gebäude, Institutionen, auch in der Soziokultur, wird es mehr als genug geben, mit stark eingeschränkten Öffnungszeiten. Der Kulturetat wird hoch sein. Doch glänzen, gar leuchten wird Leipzig kaum. Und warum? Weil die Leipziger irgendwann in den Jahren 2007 oder 2008 von allen guten Geistern verlassen worden waren. Weil sie ihr Mut, der Geschichte geschrieben hatte, kurz vor dem Ziel verließ. Weil sich kein OBM, kein Kulturdezernent fand, der darauf bestand, dass eine Stadt von Leipzigs Zuschnitt eine lebendige und ausreichend finanzierte Oper braucht. Und dass dort gelegentlich glänzende Operninszenierungen gefeiert werden dürfen. Auch wenn es in dieser Stadt weiterhin Armut, Arbeitslosigkeit und Düsternis geben wird. Ich träume von einer Oper, die sich weder mit dem Label »Weltklasse« lächerlich macht, noch mit Etiketten wie »Regionaloper« hohe künstlerische Erwartungen verbietet. Ich bin überzeugt, dass die Aura und das Leuchten, die im Gewandhaus bei fast jedem Konzert mit Chailly im Saale sind, quer über den Augustusplatz in die Oper getragen werden können. Wir stehen am Scheideweg. Falls die Signale der Stadt nach Riccardo Chaillys »Alles oder nichts« hoffentlich auf »Fast alles« gestellt werden, dann dürfen wir aber auch erwarten, vom Maestro etwas mehr zu erfahren. Über das, was er sich künstlerisch, programmatisch und vor allem szenisch vorstellt. Und wie er es packen will, die Leipziger wieder für ihre Oper zu begeis-tern.

CONTRA

Dieses Haus braucht keinen falschen Starrummel Nicht schon wieder: Statt über Geld muss über ein Konzept geredet werden

Oper locke Investoren, sei ein »weicher Standortfaktor«, lautet ein immer wieder breitgetretenes Totschlagargument aus den Selbst-verteidigungskursen der Kultursoziologen. Demnach bauen Audi, VW und Nissan in Bratislava, weil das dortige Slovenské národné divadlo lockt – nicht etwa billige Arbeitskräfte und Subventionsgeschenke. Schluss mit dem Geschwafel: Oper ist ein luxuriöses Liebhaberstück, das für einen immer kleiner werdenden Teil der Bevölkerung zu den Grundnahrungsmitteln gehört. Unverzichtbar auch für mich. Dass dafür die operndesinteressierte Allgemeinheit blecht, gehört zu den Eigenheiten des modernen Kulturbetriebes. Aber es grenzt an Arroganz, weitere Blankoschecks zu fordern, damit Leipzigs Oper zu Aldi-Eintrittspreisen nun auch noch glänzt wie in Zürich, London oder Mailand. Ganz klar, die Oper braucht mehr Geld, um spielfähig zu bleiben. Den Beschäftigten des Hauses wurden genug Nullrunden abgerungen, aber statt hohlen Pathos braucht das Haus ein Konzept, mit dem die Akzeptanz der Bühne und damit deren Auslastung gesteigert werden kann. Das Publikum muss neu er- bzw. gefunden werden – möglichst ein zahlungsfähiges. Schluss mit Neutönern und Experimenten: Musiktheater ist in L.E. nicht für Studenten zu machen, die allenfalls Rabattkarten bezahlen können. Wer aber Stars wie Netrebko und Co. hören will, fahre bitte nach London oder Wien – und zahle 400 € für die Eintrittskarte. Der charismatische Italiener Riccardo Chailly ist ein begnadeter, leidenschaftlicher Dirigent, aber kein GMD. Er füllt seinen Neben-Job nicht aus, und, Hand aufs Herz: Ob er oder David Timm dirigiert, ist nur für eine verschwindend kleine Randgruppe hörbar. Vor Ort muss es darum gehen, das Ensemble auszubauen, besser mit den Musikhochschulen zu kooperieren, in Osteuropa Nachwuchs zu suchen – und Regiehandschriften zu setzen. Leipzig sollte sich wieder in den Traditionen von Felsenstein und Herz bewegen, volksnah, aber nicht anbiedernd. Der falsche Starrummel ist das Letzte, was dieses Haus braucht – und Provinzoper kann herrlich sein! Peter Konwitschny hat bewiesen, dass man an solchen Bühnen großartige Inszenierungen abliefern kann. Seine Arbeiten zu DDR-Zeiten im benachbarten Halle oder Altenburg gehörten mit zu seinen besten. Doch auf fast allen Bühnen des Landes werden heute austauschbar die vermeintlichen Größen der Szene hin und her geschoben, eigene Profile lassen sich schwer erkennen. Kontinuität und Mut zu Veränderungen: Wenn für den Ausbau der Muko definitiv kein Geld da ist, gehört das Haus geschlossen. Dem Provisorium fehlt die Würde. Operetten, wie zu Offenbachs Zeiten üblich, ab in den Schauspielbereich, Lehár'sche Schmachtfetzen in die Oper! Was in jeder Stadt Deutschlands geht, sollte auch in Leipzig möglich sein. Und zu den demokratischen Gepflogenheiten gehört, erst zu sagen, wofür man Geld braucht. Und nicht später einen Verwendungsnachweis folgen zu lassen. Oper ist ein herrliches Tollhaus, aber so verrückt sollte sie nicht aufspielen.


Kommentieren


0 Kommentar(e)