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Kultur

Ihr Leben ohne mich

Mit ihrem Regiedebüt »An ihrer Seite« erzählt Sarah Polley die ergreifende Geschichte eines durch Alzheimer entzweiten Paares

  Ihr Leben ohne mich | Mit ihrem Regiedebüt »An ihrer Seite« erzählt Sarah Polley die ergreifende Geschichte eines durch Alzheimer entzweiten Paares

Sarah Polley ist ein faszinierendes Ausnahmetalent. Ihre ersten Erfolge feierte die 28-Jährige als preisgekrönte Schauspielerin, die sich durch die Wahl von emotional wie intellektuell anspruchsvollen Rollen auszeichnet. Jetzt sensibilisiert sie uns als Regisseurin des Dramas »An ihrer Seite« für die Demenzerkrankung Alzheimer.

Sarah Polley ist ein faszinierendes Ausnahmetalent. Ihre ersten Erfolge feierte die 28-Jährige als preisgekrönte Schauspielerin, die sich durch die Wahl von emotional wie intellektuell anspruchsvollen Rollen auszeichnet. Jetzt sensibilisiert sie uns als Regisseurin des Dramas »An ihrer Seite« für die Demenzerkrankung Alzheimer.

Der Umgang mit Krankheit, Verlust und Tod scheint Polleys bestimmendes Lebensthema zu sein, mit elf Jahren verlor sie ihre an Krebs leidende Mutter. Die eigenen, frühen Verlust-Erfahrungen durchlebte sie bereits als Schauspielerin in Filmen der spanischen Regisseurin Isabel Coixet. In »Mein Leben ohne mich« beeindruckt Polley beispielsweise in der Rolle einer unheilbar Kranken; sie spielt eine hingebungsvolle Mutter im ungewöhnlichen Umgang mit der Krebsdiagnose. Hingegen agiert sie in »Das geheime Leben der Worte« als Pflegeschwester eines Schwerkranken. Bei diesem Dreh lernte sie auch den Schauspielstar Julie Christie kennen. Und als Polley auf dem Heimflug Alice Munros Alzheimer-Erzählung »Der Bär klettert über den Berg« las, hatte sie sofort einen Film im Kopf – mit Christie in der Hauptrolle.

»Hab keine Angst, Schatz, ich glaube ich verliere nur meinen Verstand«, sagt die an Alzheimer leidende Fiona, die ihr Schicksal mit Fassung und sogar ein wenig Selbstironie trägt. Hingegen kann ihr Mann Grant die schleichende Krankheit und ihre Folgen lange nicht akzeptieren. Als sie die Pfanne nach reichlicher Überlegung in den Kühlschrank stellt, lässt sich die bittere Realität nicht mehr leugnen.

Fiona und Grant sind seit 50 Jahren verheiratet. Eine Beziehung, nicht immer harmonisch, aber in einen Zustand liebevoller, trauter Zweisamkeit übergegangen. Nach ihrer Einweisung in ein Pflegeheim muss Grant allerdings erkennen, dass er seine Frau an die Krankheit verloren hat und für sie lediglich ein Fremder zu sein scheint, der sie mit seiner unermüdlichen Fürsorge bedrängt. Die Situation wird für ihn zur Belastung, denn Fiona bewegt sich unantastbar in ihrer eigenen Welt, die plötzlich von einem anderen Mann dominiert wird.

Ohne kitschige Rückblenden wird die Liebes- und Leidensgeschichte in pointierte Dialoge mit eigenwilliger Poesie verpackt, wobei sie manchmal Gefahr läuft, kitschig und altklug zu wirken. Diese Ansätze und Grants nicht enden wollende Trauer werden jedoch entschärft durch Begegnungen mit der verständnisvollen und doch routinierten Pflegeschwester sowie der erfrischend zynischen Ehefrau von Fionas neuem Geliebten. Sie beide erden Grant, aufopfernd gespielt von Gorden Pinsent, der mit der Engelsgeduld eines Liebenden gegen die Macht des Vergessens kämpft, dabei lernt, eigene Ansprüche zurückzuschrauben und sich auf Fionas neuen Rhythmus einzustellen.

Julie Christie spielt die Fiona, und der Film versteht sich durchaus auch als eine Hommage an die Diva. Christies komplexes Spiel vereint den ungebrochenen Stolz einer Lady samt jugendlichem Charme mit der Zerbrechlichkeit und dem kindlich-trotzigen Verhalten einer Demenzkranken. Gewöhnungsbedürftig ist allerdings die Synchronisation, besonders von Christie, weswegen sich, wenn möglich, die Originalfassung empfiehlt.

Der kanadischen Regisseurin gelingt ein faszinierendes Debüt über Liebe und Verlust – letztendlich des Loslassen-Könnens, indem sie sich auf Grants Erkenntnisprozess im Umgang mit der Krankheit konzentriert. Gleichzeitig problematisiert die sozial und politisch engagierte Polley ein Krankheitsbild, das zu wenig gesellschaftliche Beachtung findet, vielleicht gerade weil es mit dem Verstand nicht fassbar scheint. Allein in Deutschland leiden nahezu eine Million Menschen an einer Demenzerkrankung, die meist erst ab dem 60. Lebensjahr auftritt, – Tendenz steigend, bedenkt man die Überalterung der Gesellschaft.

Bei der Krankheit kommt es schrittweise zur Abnahme relevanter Hirnfunktionen, was mit Gedächtnisschwund, Orientierungsverlust und Wortfindungsstörungen einhergeht. Die Betroffenen verlieren im tragischsten Sinne des Wortes ihren Verstand, unterliegen Stimmungsschwankungen und können gerade gegenüber nahestehenden Personen verletzend und ausfallend werden. Letztlich setzt der endgültige geistige wie körperliche Verfall ein.

Im Film zeigt Polley die ersten persönlichkeitsverändernden Schübe bewusst aus der Außenperspektive, getragen durch eine stilisierte Sprache, distanzierte Kamera und klare Bildkomposition. Durch diese Erzälhaltung wird Grant zum Sympathieträger. Indem der Zuschauer zusammen mit ihm leidet und erkennt und genau wie er »draußen« bleiben muss, gelingt Polley der Kunstgriff, ein Gefühl für die Krankheit zu vermitteln ohne in tränende Rührseligkeit zu verfallen.

Während sich Fiona ihm und uns immer mehr entzieht, vermittelt nur die weite, helle, Schneelandschaft Kanadas ein Bild von ihrer inneren Leere, gleichzeitig spendet uns die Schönheit Trost.


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