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Kultur

Im Text kann es gut gehen

In seinem Debüt »Bestattung eines Hundes« erzählt Thomas Pletzinger die Geschichte einer ganzen Generation.

  Im Text kann es gut gehen | In seinem Debüt »Bestattung eines Hundes« erzählt Thomas Pletzinger die Geschichte einer ganzen Generation.

Zum Gespräch verabredet hat er sich mit unserem Autor in New York, wo auch große Teile seines Buches spielen. Ein literarischer Spaziergang von Claudius Nießen

Es ist der 11. September 2007 und New York liegt in den Tropen. Draußen ist es schwül, drinnen rattert die Klimaanlage so laut, dass von der Gedenkveranstaltung am Ground Zero nur die verzerrten Bilder auf CNN bleiben. Ich sitze in einem Apartment in der 12th Street. Unten hupen die Taxifahrer, heulen die Sirenen, trinken die Menschen ihren Kaffee im Gehen, auf dem Weg zur Subway Ecke 6th Avenue und 14th Street.

Ich sitze am Schreibtisch und warte auf Thomas Pletzinger. Das erste Mal getroffen haben wir uns am Deutschen Literaturinstitut. Ich kenne Pletzinger nun schon eine ganze Weile. Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, dass ich ihn gut kenne. Aber zumindest reicht es, um sich hier in New York zu verabreden. »Ich sitze an den Fahnen zu meinem Roman«, hat er am Telefon gesagt, »und du beugst dich über dein Diplom. Und wenn es uns zu viel wird, dann laufen wir ein wenig durch die Straßen, und am Abend trinken wir Whisky im SoHo Grand und können über das Buch sprechen.« Darauf folgte ein langgezogenes »Aaah«, der Gedanke schien ihm zu gefallen. Dass es ausgerechnet der 11. September ist, an dem wir uns dann treffen, ist keine Absicht.

Effekthascherei, die wird jüngeren deutschen Autoren gerne unterstellt, wenn die Schauplätze ihrer Texte nicht München, Heidelberg oder Wernigerode heißen oder ihre Texte gar vom 11. September handeln. Beides ist in »Bestattung eines Hundes« der Fall. Die Orte in Pletzingers Buch sind New York, Brasilien, Finnland und der Luganer See. Dabei ist es in diesem Fall nicht nur keine Effekthascherei, die Schauplätze sind sogar von allergrößter Bedeutung für das Gelingen der Geschichte. »Die Orte«, sagt Pletzinger, »sind das Biografischste am ganzen Buch.« Er hat sie alle gesehen, an manchen hat er gelebt. Vielleicht gelingt Pletzinger auch deshalb, was sonst doch meist nur Amerikanern oder Briten gelingt. Nämlich weltläufig zu erzählen ohne dabei überheblich zu wirken. Einen großen Stoff zu erzählen, wie beiläufig, ohne die übliche deutsche Erdenschwere.

Pletzinger steht nachmittags in der Tür des Apartments, die Arme in die Hüften gestemmt, und sagt: »Nießen, los jetzt, lass uns laufen gehen.« Wenig später rennen wir in Joggingklamotten und Laufschuhen durch das West Village. Thomas Pletzinger schaut mich an und sagt mit Nachdruck: »Niessen! Laufen, das ist das Beste!«. Er sagt es freundlich und mit einem Grinsen in der Stimme. Daran, wie ernst er seine Aussage meint, ändert das nichts. Während ich noch versuche, ihn von den Vorzügen eines entspannten New Yorker Café Latte samt Pancake zu überzeugen, ist er schon weiter die Straße hinunter gerannt, bis zum West Highway.

»Hier«, sagt Pletzinger und zeigt hinunter nach Downtown, während der stete Strom der Jogger und Radfahrer uns umspült wie eine Klippe, »hier standen die Leute nach dem 11. September. Die wussten ja alle nicht, was sie tun sollten. Und das hier war die Strecke für Feuerwehr und die Rettungstrupps. Da haben sie eben Schilder gemalt und den Feuerwehrleuten zugejubelt. Ziemlich amerikanisch, oder?«

Dann haut er mir auf die Schulter, wie er das immer tut. Wie ich das immer hasse. Denn dieser baumlange Kerl wäre beinahe einmal Profi-Basketballer geworden. »Unkraut wächst schnell«, sagte ich, als ich Thomas Pletzinger im Literaturinstitut das erste Mal sah. Wir lachten. Seit diesem Tag haut er mir jedes Mal, wenn wir uns sehen, mehr als anständig auf die Schulter. Wie er das immer tut. Und ich jedes Mal denke, jetzt stopft er den Ball in den Korb. »Bis nachher», sagt Pletzinger noch, und läuft los. Ich setze mich auf eine Bank und schaue den Joggern zu. Man kann sich nur wundern, wie viele Hubschrauber über New York herumfliegen.

Vor genau sechs Jahren saß Thomas Pletzinger am 11. September in einem Bürohaus an der 23rd Street. Damals arbeitete er für eine Literaturagentur. Sie dachten an Giftgas und bauten die Klimaanlagen aus den Fensterschächten. Dann versuchten sie, alles luftdicht abzukleben und zu berechnen wie lange der Sauerstoff wohl reichen würde. Irgendwann stand ein deutscher Verleger im Büro, von einer Staubschicht überzogen und brachte Neuigkeiten von draußen.

Bestattung eines Hundes?: <br>Diese Tölen sind noch sehr lebendig
Eine ganz ähnliche Szene finden wir auch in Pletzingers Roman beschrieben. Er hat sie einer seiner Figuren geliehen. Sie wirkt ebenso unaufdringlich wie das Line-Up der Schauplätze. Eher im Gegenteil, beide wirken sie ziemlich authentisch. Schließlich handelt »Bestattung eines Hundes« in erster Linie von Möglichkeiten. Von den Möglichkeiten eines anderen Lebens. Für das man sich entscheiden kann, oder auch nicht. Ich sitze dann längst auf dem Sofa in unserem Apartment und lese in seinem Manuskript, als Thomas vom Laufen zurückkehrt, bis zur South Ferry ist er gekommen. »Man kann im Text sehr viel heroischer sein, als im Leben«, sagt er. »Im Text kann es gut gehen. Im Leben geht es dennoch meistens schief.« Pletzinger lacht, aber seine Augen bleiben wieder ernst dabei.

Die Geschichte von der Möglichkeit eines anderen Lebens ist die Geschichte von Daniel Mandelkern. Eigentlich ist er Ethnologe, doch er arbeitet als Journalist und lebt mit seiner Frau Elisabeth in Hamburg. Er ist der Mann für die »Seltsamkeiten« in der Redaktion. Darum schickt ihn Elisabeth, die nicht nur seine Vorgesetzte ist, sondern auch ein Kind von ihm will, an den Luganer See. Er soll ein Portrait des überaus erfolgreichen Kinderbuchautors Dirk Svensson schreiben. Mandelkern zögert und zaudert, wegen des Auftrags, wegen des Kindes, und fährt schließlich im Streit. Svensson lebt zurückgezogen in einem Haus am See, zusammen mit seinem dreibeinigen Hund Lua, der einmal vier Beine hatte und zu dieser Zeit Lula hieß. Es ist auch die Geschichte von Tuuli, der schönen Finnin und von Felix Blaumeiser, der irgendwie ums Leben gekommen ist. Der Dreiecks-Geschichte von Tuuli, Svensson und Blaumeiser kommt Mandelkern auf die Spur, als er ein Manuskript in einem Koffer entdeckt. Während er liest, beginnt er immer mehr Parallelen zwischen sich und Svensson zu entdecken. »Ich schreibe, weil ich immer schreibe, wenn die Dinge kompliziert werden«, sagt Daniel Mandelkern über sich: »Ich habe die Distanz nicht gewahrt, hätte ich sagen müssen, ich bin ihnen näher gekommen und habe vor allem mich selbst beobachtet.«

Am Abend stehen wir an der Ecke West 4th Street und Bank – und essen Pizza Earth Mother. Danach spazieren wir durch den Teil des West Village, der aussieht wie Paris – american style. Pletzinger zeigt mir Straßenecken und Hauseingänge. Allesamt Schauplätze in seinem Roman. Es ist ein angenehm kühler Abend. Der Wind hat die drückende Hitze vom Vormittag weggeweht.

Später ziehen wir in eine Bar um die Ecke und während wir das nächste Brooklyn Lager trinken, erzählt Thomas über den amerikanischen Dichter Gerald Stern, den Freund Andy Warhols und Allen Ginsbergs, mittlerweile weit über achtzig. Hier im West Village wurde Literaturgeschichte geschrieben, Stern hat seinen Anteil daran. Pletzinger hat ihn vor Jahren in New York kennen gelernt, jetzt promoviert er über Stern. Er hat seine Gedichte und Essays übersetzt und man merkt, wie die Schule des Übersetzens sein Sprachbewusstsein geschärft hat. Wenn man Pletzingers Texte über Stern liest, hat man das Gefühl, dass der Dichter für ihn ein Vorbild im besten Sinn geworden ist. Jemand, von dem er lernen, an dem er sich orientieren und abarbeiten konnte. Vielleicht nicht einmal nur an seinem literarischen Werk, vielleicht mehr noch am Menschen Stern, mit seiner Lebensgeschichte und -erfahrung.

Ein paar Monate später liegt die Verlagsvorschau von Kiepenheuer & Witsch in meinem Briefkasten. Darin natürlich auch eine Vorschau auf Thomas´ Buch. Die allermeisten Vorschautexte in den Verlagsprospekten ergehen sich in werbewirksamen Floskeln. Zugegeben, die findet man auch hier. Aber vor allem steht da ein Satz, der ziemlich genau trifft, worum es in Pletzingers Roman geht. Um eine Generation der Mittdreißiger nämlich, »die an vielen Orten der Welt gewesen ist, ohne irgendwo zu Hause zu sein, die viel ausprobiert haben, ohne eine Berufung zu finden, die große Pläne geschmiedet haben und nun kleine Lösungen finden müssen.« Es ist nicht nur die Geschichte von Daniel Mandelkern und Dirk Svensson, die Thomas Pletzinger da erzählt. Es ist die Geschichte unserer Generation. Das wird nicht jeder anerkennen wollen, denn sie erzählt mit großer Sympathie für die Figuren vor allen Dingen von unseren Schwächen.


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