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Zürichblog – Die fünfte Woche

Immer donnerstags – der »Zürichblog« von Felix Stephan. Teil 5: Fieberwahn

  Zürichblog – Die fünfte Woche | Immer donnerstags – der »Zürichblog« von Felix Stephan. Teil 5: Fieberwahn

Eigentlich studiert Felix Stephan Journalistik und Germanistik in Leipzig. Er ist aber auch literarisch gut unterwegs, sein erster Roman schlummert noch in den Schubladen diverser Verlage. Seit Mitte Februar verbringt Felix ein Erasmus-Semester in Zürich. Von dort berichtet er von nun an jeden Donnerstag im »Zürichblog« auf kreuzerONLINE aus seinem neuen Leben.

Eigentlich studiert Felix Stephan Journalistik und Germanistik in Leipzig. Er ist aber auch literarisch gut unter- wegs, sein erster Roman schlummert noch in den Schubladen diverser Verlage. Seit Mitte Februar verbringt Felix ein Erasmus-Semester in Zürich. Von dort berichtet er von nun an jeden Donnerstag im »Zürichblog« auf kreuzerONLINE aus seinem neuen Leben.

Teil 5: Fieberwahn

Ich habe die vergangenen Tage im Fieberwahn verbracht und ehrlich gesagt finde ich es gar nicht so schlecht. Fieberwahn ist nicht anderes als eine körperinhärente, halluzinogene Droge, ganz genau wie Hyperventilieren oder dieses Halsschlagader-Zuhalten, was regelmäßig amerikanische Teenager umbringt, wie ich kürzlich gelesen habe. Ich war zur Buchmesse in Leipzig und habe mich dort mit dieser Frühjahrsgrippe angesteckt, die zurzeit die Universitäten leer fegt. In meiner Leipziger Wohnung wohnten außer mir noch zwei Infizierte und es herrschte ein stetiges Jammern und Umdrehen und Dösen. Es kam mir vor wie ein Lazarett im Burenkrieg, wobei ich keine Ahnung habe, warum ausgerechnet der Burenkrieg, aber der war es.

Mir ist dabei aufgefallen, dass Männer und Frauen sehr unterschiedlich an ihrer Grippe leiden, vielleicht sind es auch verschiedene Grippen. Männer finden sich schnell damit ab, dass ihr baldiger Tod jetzt auch nicht mehr aufzuhalten ist und simulieren heroisches Verhalten, indem sie sich ostentativ wenig beklagen, nur um eine Minute später wieder über den Tod nachzudenken. Frauen hingegen zeigen sich genervt von ihrer vorübergehenden Gefechtsunfähigkeit, ärgern sich über die Dinge, die sie gerade nicht erledigen können, und stellen sogar dann noch den Terminplan für die folgenden Tage um, wenn sie dafür zwischen halbbewusstlosem Schlaf und halbbewusstlosem Schlaf nur vier Minuten Zeit haben. Außerdem suchen sie Trost in der Nähe und tun vollkommen delirierend so, als wäre überhaupt nichts. Sie erkundigen sich nach irgendetwas Banalem und wenn man dann einfach nichts sagt, schlafen sie wieder ein und vergessen alles. Vielleicht war es noch eher wie in einer dieser Opiumhöhlen bei Arthur Conan Doyle als in einem Lazarett im Burenkrieg. Man war sich übrigens einig, dass es toll ist, wie viel man abnimmt während so einer Grippe, das sei wirklich ein Vorteil.

Preise wie in Deutschland <br> und vielleicht auch nur ein Fieberwahn
Ich selbst habe vor allem diese gepolsterte Traumwelt genossen, in die mich die Grippe eingeschlossen hat. Im Nachtzug nach Zürich war plötzlich dieser Journalist aus Davos wieder da, der mir vor einer Weile auf der Terrasse der Universität Zürich erzählt hat, er würde für 80 CHF in der Stunde nebenbei Broschüren redigieren und wolle mir außerdem Marihuana verkaufen. Er wisse, wie schwer das in Zürich zu bekommen sei, viel schwieriger als Kokain. Und dann gab es auch noch diese französisch sprechenden Schwarzen, die vor Bars stehen, die »Red Lips Cabaret« heißen und mir »Cola« anbieten, was ich erst total spät überhaupt verstehe. Und die französisch sprechenden, schwarzen Huren, die mir über die Schulter streichen und ich denke, dass das zu der Stadt Zürich passt, dass sie ihre Huren aus dem Senegal kommen lässt. Dann denke ich über eine fantastische Reportage nach, die ich über einen deutschen Basketballspieler geschrieben habe, der es in den USA geschafft hat und den es natürlich nie gegeben hat. Und dann gewinne ich ein Golfturnier auf dem Innenhof meines alten Westberliner Gymnasiums und treffe dort ein Pferdeschwanz-Mädchen namens Annesen. Das alles bei geöffneten Augen, es ist fantastisch, viel besser als die Wirklichkeit. Eine Geisterbahnfahrt durch mein Unterbewusstsein. So oder so ähnlich hat Quentin Tarantino mal seine Filmidee beschrieben, ist auch egal. Ich surfe viel lieber durch mein eigenes Unterbewusstsein als durch das von Quentin Tarantino. Oder David Lynch. Dann wirklich lieber mein eigenes.

Wenn man Fieber synthetisch herstellen könnte, würde man sehr viel Geld verdienen, nehme ich an, es ist ein Teufelszeug. Nur die Träume, ohne diese ganzen Nebenwirkungen wie Schwitzen und Schlafen. Andererseits nehmen Junkies auch ganz andere Nebenwirkungen in Kauf, wieso dann nicht diese?

Und dann kam mir ein Gedanke, der mich ziemlich beunruhigt hat: Vielleicht waren ja die ganzen Buchmesse-Erlebnisse auch nur Fieberträume. Das Zeug dazu hätten sie. Ich bin wie tausend andere bei PeterLicht nicht reingekommen, habe durch Anlehnen beinahe ein 90000 Euro teures Bild in der Galerie Pierogi zerstört, außerdem Joachim Lottmann angerempelt, woraufhin Rainer Langhans hinten auf ihn aufgelaufen ist und dann Kathrin Passig und Sascha Lobo in einem Pappkarton sitzen sehen. Ich musste dann in Zürich gleich in den jeweiligen Blogs (www.taz.de/blogs/lottmann und www.twitter.com/saschalobo) nachsehen und war wirklich beruhigt. Diese Dinge sind offenbar tatsächlich passiert. Gleichzeitig wäre es auch ganz egal gewesen.


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