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Zürichblog – Die zehnte Woche

Immer donnerstags – der »Zürichblog« von Felix Stephan. Teil 10: »Kopenhagen-Zürich«

  Zürichblog – Die zehnte Woche | Immer donnerstags – der »Zürichblog« von Felix Stephan. Teil 10: »Kopenhagen-Zürich«

Eigentlich studiert Felix Stephan Journalistik und Germanistik in Leipzig. Er ist aber auch literarisch gut unterwegs, sein erster Roman schlummert noch in den Schubladen diverser Verlage. Seit Mitte Februar verbringt Felix ein Erasmus-Semester in Zürich. Von dort berichtet er von nun an jeden Donnerstag im »Zürichblog« auf kreuzerONLINE aus seinem neuen Leben.

Eigentlich studiert Felix Stephan Journalistik und Germanistik in Leipzig. Er ist aber auch literarisch gut unter- wegs, sein erster Roman schlummert noch in den Schubladen diverser Verlage. Seit Mitte Februar verbringt Felix ein Erasmus-Semester in Zürich. Von dort berichtet er von nun an jeden Donnerstag im »Zürichblog« auf kreuzerONLINE aus seinem neuen Leben.

Teil 10: »Kopenhagen-Zürich«

Kürzlich hat der Zürcher Schriftsteller Stephan Pörtner im »Tagesanzeiger« einen kleinen Essay über seine Stadt veröffentlicht. Der Text hieß »In Zürich herrscht Begeisterungszwang« und die ersten Absätze gingen so: »Man muss sich einfach wohl fühlen in der besten Stadt der Welt: die höchste Lebensqualität, die coolsten Clubs, die schönsten Frauen, die erfolgreichsten Männer, die höchste Kinodichte, die trendigsten Bars und erlesensten Restaurants finden sich in Zürich. Nur schon das Nachtleben: Was immer international erfolgreich ist, kann man alsbald in Zürich sehen: Bands, DJs, Dichter, Filme, Theaterstücke, Musicals, Opern. Die angesagten Sachen finden in angesagten Locations statt.« Neben dem Artikel stand eine Karikatur, auf der eine Stehparty zu sehen war. Jeder hatte ein Glas Prosecco in der Hand und ein Mann und eine Frau unterhielten sich: »Sieh mal den Typen da… der benimmt sich so auffallend.« »Anscheinend ist er nicht auf Koks.«

In Zürich, einer Stadt mit etwa 350.000 Einwohnern, werden jeden Tag zwei Kilo Kokain ihrem Zweck zugeführt, wie eine der Flusswasseranalysen ergeben hat, die ja ziemlich modern geworden sind in letzter Zeit. In London hat es angefangen, alle anderen Städte haben, nun ja, nachgezogen. Zwei Kilo. Man rechnet ja sowas gerne hoch, obwohl das gar keinen Sinn hat. Ich auch: Im Monat zieht Zürich also etwa 60 Kilo weg, im Jahr 720 Kilo. Jeder Zürcher ist also mit jährlich 2 Gramm dabei, auch die Säuglinge.

Letztendlich läuft immer alles auf diese Frage hinaus.
Vor kurzem saß Martin aus Kopenhagen ziemlich betrunken neben mir auf einer Treppe und erzählte, dass er sich vor Zürich fürchten würde. Ich war sehr überrascht, dass er das sagte, weil er der erste war, der Zürich nicht fantastisch fand. Wenn er das Leben seiner Mitbewohner sehe, erzählte er, werde ihm ganz anders. Sie würden von morgens bis abends arbeiten, damit sie es sich leisten könnten, in Zürich zu leben. Allerdings kämen sie darüber gar nicht mehr dazu, tatsächlich in Zürich zu leben. Wenn Zürich nur eine Fototapete wäre, wäre das für sie kein Unterschied, sagte er. Für Nicht-Millionäre gebe es Zürich eigentlich nur als Image, in dessen Nähe man sich gerne aufhält. Dafür, dass seine Mitbewohner rund um die Uhr arbeiteten, bekämen sie die angesagteste Stadt, die dann mit ihnen gar nicht mehr zu tun habe. Wie ein Welt-Gleichnis komme ihm Zürich vor, hat Martin gesagt. Alle würden einer unbezahlbaren Illusion hinterherlaufen wie Hunde, denen man einen Stock am Rücken befestigt hat, von dem ständig ein Stück Fleisch vor ihrem Gesicht hängt. In Zürich gebe es das auch, aber eben tausendfach konzentrierter, verbissener und hysterischer. Alles sei hier noch viel schlimmer, doppelte Kraft voraus.

An der Stelle wurden wir von Frank unterbrochen, einem deutschen Ingenieur, der seine Bierflasche gegen unsere schlug, um sich ins Gespräch zu bringen. Auch wir unterhielten uns über Zürich und er gab mir den Auftrag, darüber zu schreiben, dass er erst nach Deutschland zurückkehre, »wenn die ihr Steuersystem in den Griff bekommen haben. Schreib das ruhig in deinem Artikel. Frank geht immer dahin, wo er am wenigsten bezahlen muss. Schreib das! Ich denke, du bist Journalist. Dann! Schreib! Das! Auf!« Ich versprach es ihm, weil er so einen entschlossenen Eindruck machte, und sah mich nach Martin um, aber er war mittlerweile weg. Ich habe ihn den ganzen Abend nicht mehr gefunden. Hoffentlich treffe ich ihn bald wieder, er sah ziemlich hoffnungslos aus an dem Abend.


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