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Zürichblog – Die vierzehnte und letzte Woche

Immer donnerstags – der »Zürichblog« von Felix Stephan. Teil 14: »Die McCain-Obama-Frage«

  Zürichblog – Die vierzehnte und letzte Woche | Immer donnerstags – der »Zürichblog« von Felix Stephan. Teil 14: »Die McCain-Obama-Frage«

Eigentlich studiert Felix Stephan Journalistik und Germanistik in Leipzig. Er ist aber auch literarisch gut unterwegs, sein erster Roman schlummert noch in den Schubladen diverser Verlage. Seit Mitte Februar verbringt Felix ein Erasmus-Semester in Zürich. Von dort berichtete seit 14 Wochen im »Zürichblog« auf kreuzerONLINE aus seinem neuen Leben. Dies ist sein letzter Text und sein Abschied aus Zürich.

Eigentlich studiert Felix Stephan Journalistik und Germanistik in Leipzig. Er ist aber auch literarisch gut unterwegs, sein erster Roman schlummert noch in den Schubladen diverser Verlage. Seit Mitte Februar verbringt Felix ein Erasmus-Semester in Zürich. Von dort berichtete seit 14 Wochen im »Zürichblog« auf kreuzerONLINE aus seinem neuen Leben. Dies ist sein letzter Text und sein Abschied aus Zürich.

Teil 14: »Die McCain-Obama-Frage«

Jedes Mal, wenn ich missmutig in meinem Styropor-geflavourten Mensaessen herumstochere, bezweifle ich, dass es eine gute Idee ist, Regierungen durch Wahlen bestimmen zu lassen. Das liegt daran, dass ich mich immer falsch entscheide. Es spielt dabei überhaupt keine Rolle, was ich nehme, ich hätte danach immer lieber etwas anderes. Im Prinzip ist das bei jeder Entscheidung so, die ich überhaupt jemals getroffen habe. Wenn ich in Leipzig bin, wäre ich lieber in Berlin. In Berlin wäre ich lieber in Zürich und in Zürich wäre ich lieber in Bellinzona. In Bellinzona würde ich wahrscheinlich finden, dass es schade ist, dass ich hier niemanden kenne und was zur Hölle mache ich überhaupt hier? Ich verstehe ja nicht mal die Sprache. Im Prinzip wäre es ein großer Dienst an der politischen Landschaft Deutschlands, wenn ich mich aus dem Wahlprozedere heraushalten würde. Es sollten sich wirklich lieber Leute die Regierung ausdenken, die das Gefühl haben, in ihrem Leben schon mindestens drei richtige Entscheidungen getroffen zu haben. Gleichzeitig weiß ich immer ganz genau, was für andere Länder das Beste ist. Zur McCain-Obama-Frage habe ich eine eindeutige Position, genauso zur dänischen, niederländischen, polnischen, französischen, burmesischen, chinesischen, italienischen, tibetanischen und russischen Regierung. Zur österreichischen Regierung habe ich erstaunlicherweise überhaupt gar keine Meinung, fällt mir gerade auf.

Vielleicht sollte jedes Volk die Regierung eines anderen Landes wählen, das nicht sein eigenes ist. Auf diese Weise würden populistische Argumente im Wahlkampf keine Rolle mehr spielen. Man würde nur wählen, was man sachlich für richtig hält. Es gäbe keine ausländerfeindliche Position mehr im politischen Diskurs, weil man ja selbst immer willkommen sein will in dem Land, für das man wählt. Andererseits könnten sich Nationen untereinander absprechen und ihre jeweiligen Patenländer aufeinander hetzen und dann auf den Kriegsausgang wetten.

Praktisch: Haltestelle im Wohnzimmer
Außerdem habe ich vor kurzem darüber nachgedacht, dass es vielleicht besser wäre, wenn ich aufhörte, immer nur solchen affirmativen, seichten Mist zu schreiben, sondern lieber irgendwohin ginge, wo es auch tatsächlich etwas zu schreiben gibt. Darfur oder so etwas. Zu den richtigen Schlachtfeldern. In diesem Geld-Westeuropa, dessen Herz zweifelsohne Zürich ist, kommt man sich vor wie ein Hofschreiber, der wohlgelungene Lieder schreibt, damit sich der zehnjährige Zufallskönig amüsiert. In meinem konkreten Fall ist das die werberelevante Zielgruppe. Im Grunde lautet die Frage: Möchte ich lieber in Afrika von einem Analphabeten mit Kalaschnikow erschossen werden oder in Westeuropa an seelischer Verfettung sterben? Ich glaube, das sind in etwa meine Optionen.

Gestern habe ich das dann Christoph erzählt, einem sonderbar überbegabten Literaturwissenschaftler, mit dem ich mir hier sehr gern treffe. Seine 500-seitige Dissertation über Hunger müsste demnächst fertig werden und er hat beim Laut-Denken eine Geschwindigkeit drauf, die ich zuletzt bei Christoph Schlingensief erlebt habe. Alles was ich glaube, weiß Christoph und alles, was ich für ein verschwommenes, metaphysisches Geheimnis halte, hat Christoph mit wahrscheinlich 16 Jahren das erste Mal exakt formuliert. Christoph hat jedenfalls über meine Bedenken gelächelt und gesagt, dass diese ganzen sinnlosen Fragen um Style, Anschauung, Pose, Klasse und Musik-irgendwie-finden nun einmal die Ostfront unserer Generation seien. Man könne sich sein Leben und sein Jahrhundert halt nicht aussuchen.

Ich weiß nicht, ob ich das genauso sehen möchte. Ich habe mich noch nicht entschieden. Zur Sicherheit orientiere ich mich vorerst an den wenigen Dingen, die bereits entschieden sind, sonst verliere ich den Überblick. In ein paar Tagen reise ich ab, das Semester ist vorbei und es wird Sommer. Es ist ein lauwarm-fantastisches Gefühl sich zwischen ein oder zwei bereits entschiedenen Koordinaten bewegen zu können. Jahreszeiten sind so etwas. Oder das Ende. Das Ende ist genauso. Egal was man macht, es geht mit einiger Sicherheit vorbei.


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