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Unterdrückter Protest

Vor 40 Jahren wurde die Leipziger Universitätskirche gesprengt – ein barbarischer Akt der SED, der die Erinnerung an 68 in Leipzig bis heute dominiert

  Unterdrückter Protest | Vor 40 Jahren wurde die Leipziger Universitätskirche gesprengt – ein barbarischer Akt der SED, der die Erinnerung an 68 in Leipzig bis heute dominiert

1968: ein berühmtes Jahr. Es steht für eine Phase des Umbruchs, weltweiter Proteste und Bewegungen. 1968 ist Symbol für Kritik an politischen Systemen und die Propagierung neuer Ideen.

1968: ein berühmtes Jahr. Es steht für eine Phase des Umbruchs, weltweiter Proteste und Bewegungen. 1968 ist Symbol für Kritik an politischen Systemen und die Propagierung neuer Ideen.

In Westeuropa und Amerika war das vor allem Jugendrevolte, Antikriegsbewegung, Studenten- und Arbeiterprotest. Ziele waren unter anderen Emanzipation, die Skandalisierung von Rassendiskriminierung und die Schaffung gleicher Grundrechte. In den Ostblockstaaten ging es verstärkt um die Auseinandersetzung mit dem als erstarrt und dogmatisch empfundenen Sozialismus.

Im Frühjahr 1968 kam es zu einer Protestwelle in Polen. Internationale Beachtung fand dann die als Prager Frühling bekannte Reformbewegung in der CSSR, die mit dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes beendet wurde. Die Entwicklungen in den Nachbarländern wurden auch von der DDR-Bevölkerung beobachtet und diskutiert. Die Prager Reformansätze galten für viele als Hoffnungszeichen. Man hörte tschechische Radiosender und illegal importierte Flugblätter waren im Umlauf. Die Ideen des »Prager Frühlings« erschienen als Antwort und Lösungsansatz für das verstockte, bürokratische System.

Das Spannungsverhältnis von sozialistischen Idealen und politischer Realität war auch in Leipzig spürbar. Hier gab es bereits seit Mitte der sechziger Jahre Konflikte, insbesondere zwischen diversen Strömungen der Jugendkultur und den politischen Machtinstanzen. Es gab genügend Anlässe zu Kritik, nur fehlten meist Rahmen und Möglichkeit, diese zu äußern. 1968 brachte da kaum Veränderung.

Dennoch: Fragt man heute Leipziger nach der Zeit, erinnern sich viele neben dem Prager Frühling vor allem an die Sprengung der Universitätskirche. Dabei war diese weder die einzige Kirche noch alleiniges geschichtsträchtiges Gebäude, welches dem Entwurf der Leipziger Innenstadt zum Opfer fiel. Dieser sah den Universitätskomplex mit Hochhaus am Augustusplatz vor, gleich neben dem neuen Gewandhaus. Die Vorgängerbauten wurden 1968 endgültig abgerissen, ebenso wie die Johanniskirche und der Renaissancebau Deutrichs Hof. Zugleich wurde das hochmoderne „konsument“-Warenhaus am Brühl eröffnet, der groß angelegte Wohnungsbau an der Straße des 18. Oktober begonnen und das Rosental als Naherholungsgebiet ausgebaut. Das alles war Leipziger Stadtentwicklung 1968.

Gewiss galt und gilt es bis heute als umstritten, dass historische Bauten neuen Planungszielen weichen mussten. Die Brisanz der Sprengung der Paulinerkirche liegt jedoch weniger in der städtebaulichen Konzeption. Ein zukunftsorientierter Innenstadtentwurf und ein modernes, den Anforderungen angemessenes Universitätsgebäude stießen auf viel Zustimmung. Dass es sich beim abzureißenden Gebäude um eine Kirche handelte, sorgte natürlich für Widerspruch von Seiten christlicher Gruppierungen und Institutionen.

Das eigentliche Problem lag dann aber im politischen Umgang mit Kritik. Gegenstimmen zum Neuentwurf wurden vornehmlich als revisionistisch und systemfeindlich angesehen und die Proteste entsprechend geahndet: mit Exmatrikulation für die Studenten, Geldbußen oder Inhaftierung.

Die Sprengung ist somit vor allem als Akt politischer Machtdemonstration in die Geschichte eingegangen. Da wundert es nicht, dass die Paulinerkirche gerade für Zeitzeugen und Beteiligte als Leipziger Symbol für den unterdrückten Protest 1968 im Schatten des »Prager Frühlings« steht.

Mit dem Scheitern der Bemühungen um Reform und Demokratisierung haben sich viele recht still abgefunden und arrangiert. Herausstechend bleibt hierbei der Fall des damaligen Gewandhauskapellmeisters Václav Neumann: Nach dem Einmarsch der Truppen in sein Heimatland kündigte er seine hiesige Tätigkeit, verabschiedete sich mit einem letzten Konzert und kehrte nach Prag zurück. Auch das war Protest – 1968 in Leipzig.


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