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Kultur

Immer gut

Tanzende Männer, bekloppte Nachbarn und chorale Gesänge: ein Erlebnisbericht vom Immergut Musikfestival

  Immer gut | Tanzende Männer, bekloppte Nachbarn und chorale Gesänge: ein Erlebnisbericht vom Immergut Musikfestival

Es war mal wieder soweit: Ende Mai, Superstrahlesonnenschein und Zeit, die Stadt zu verlassen. Richtung Neustrelitz. Da wo es diese vielen schönen Seen gibt und vor allem eins: Das Immergut. Das Festival mit dem Programm im Namen.

Es war mal wieder soweit: Ende Mai, Superstrahlesonnenschein und Zeit, die Stadt zu verlassen. Richtung Neustrelitz. Da wo es diese vielen schönen Seen gibt und vor allem eins: Das Immergut. Das Festival mit dem Programm im Namen.

Ankunft. Wir kommen viel zu spät. Genauer gesagt einen Tag zu spät, und haben somit die Quatschköppe von Studio Braun verpasst. Aber all der andere Spaß fängt jetzt erst an. Warmes Bier, Zelt im Schatten (ja, den Platz mussten zwei frischgebackenen Abiturienten für uns räumen, aber da geht Alter einfach mal vor), verbrannte Wurst auf Einweggrill … und dann ab aufs Gelände.

Grandioser Einstieg. Rock! N! Roll! Mit den Blood Red Shoes, die whitestripig Gitarre und Schlagzeug bearbeiteten. Für viele noch zu früh, für viele noch zu hell. Aber wohl das rockstarmäßigste des ganzen Festivals.

Tanzende Männer. Auch Johnossi lassen sich nicht lumpen und präsentierten mit Freude und Gitarren weitaus mehr Hits als ihren Ohrwurmknaller »Man must dance«, dessen Botschaft auch langsam bis zum Publikum durchdringt.

Perfekter Moment. Es gibt ihn doch. Den Alles-ist-gut-Augenblick. Bei den Weakerthans in der ersten Reihe. (Wann steht man da denn überhaupt noch?)

Eher ungeeignet: The Notwist
Müde Gesichter. The Notwist sind zugegeben eine der fantastischsten Bands, die hierzulande so rumläuft. Als Festivalheadliner aber doch eher ungeeignet. Die eigentlich verdrängte Müdigkeit kämpft sich wieder hoch. Trotz gutgelauntem Console und drauf rumgedreschten Gitarren zu viel Nachdenklichkeit in der Musik für den Moment.

Alter Stimmungsmacher. Was bitte ist das denn? Ein alter Mann mit weißem Anzug singt komisch vermurkste Evergreens auf Elektrobeat. Louie Austen. Zum Totlachen, aber vor allem zum Tanzen.

Neverending Party. Ach Gott ja, eine Indiedisko. Schon tausendmal gehabt und auch immer irgendwie dasselbe. Und dann doch wieder. Die Sonne ist schon seit Sunden wieder da, und ich noch immer. King Klatsche füllt sich selber und die Gäste ab, spielt dabei die größten Indiehits der 80er und 90er, und ich kann nicht mehr. Vor allem auch nicht mehr aufhören, mich zu einer Art Takt zu bewegen.

See in der Sonne. Nachdem sich rausstellte, dass unser toller Schattenplatz morgens in der prallen Sonne steht, leugnen wir den Schlafwunsch, essen 5-Minuten-Terrine zum Frühstück und fahren in wohl noch illegalem Zustand mit dem Auto an den See. Kälteschock versus Hitzeschlag. Gewinnen tut keiner. Der Kater verliert.

Halbwüchsige Schweden. Den Soundtrack zum Barfuss-in-die-Luftspringen bringen Lo-Fi-Funk. Drei junge, kecke Skandinavier machen elektronische Gute-Laune-Musik. Yippieh.

Bekloppte Nachbarn. Teil 1. Immer wieder einen Blick wert ist unser Nachbarzelt. Stand am ersten Tag zumindest noch das Innenzelt, fällt das gesamte Gebilde am Samstag endgültig in sich zusammen. Seine Inhaber stören sich daran nicht weiter, sondern kriechen unbeeindruckt wieder hinein. Bei jeder ihrer Bewegungen entsteht eine neue Kunstform.

Befreit und fröhlich: Get Well Soon
Überraschender Höhepunkt. Das kam unerwartet. Wie habe ich es geschafft, Get Well Soon bisher erfolgreich zu ignorieren? Und jetzt stehen da acht Musiker auf der Bühne und spielen eigentlich tottraurige Lieder so befreit und fröhlich. Mit Eleganz und Leidenschaft, dass nicht nur ich ge- und berührt war. Das ganze Zelt klatschte die Band mehrmals zurück auf die Bühne. „Überwältigend!“, meinte Sänger und Songschreiber Konstantin Gropper und hat damit alles gesagt.

Lustigste Ansagen. Neben grandioser Livemusik schaffen es die belgischen Girls in Hawaii, ihren einzigen Deutschsprachigen mit den wohl sympathischsten Ansagen ans Mikrofon zu stellen. Wer sonst dankt allen, die ihren Teller aufgegessen haben, für das gute Wetter? Bitte schön, gern geschehen.

Wodka-O ohne Fotos. Bands sollten auch mal ignoriert werden. Gerade solche wie Fotos. Dann doch mal lieber zurück zum Zelt und anstoßen.

Bekloppte Nachbarn. Teil 2. Nachdem wir unserem Nachbarn glaubhaft erklären konnten, dass wir mit dem Untergang seines Zeltes nichts zu tun hatten, fragt er uns: »Seid Ihr wegen den Lemonheads hier?« Nicht nur und nicht wirklich. »Mann, das kann doch nicht sein. Bin ich der einzige hier, der nur wegen den Lemonheads hier ist? Die sind hier alle wegen Fotos oder so‘ner Kacke.« Seine Freundin kommt und hält ihm kurz das Zelt hoch. Er zieht sich um und lallt: »Sag mal, habe ich die Lemonheads schon verpasst?« Nein.

Letzte Chance für Peter Licht
Chorale Gesänge. Damals auf irgendeinem Melt! war Peter Licht die größte Enttäuschung. So unerwartet unlustig und sich selbst furchtbar ernst nehmend. Aber eine Chance kriegt er noch. Und er nutzt sie. Mit Akkustikgitarre singt er seine durchaus komischen Hits. Und teilt Liederzettel aus. »Wenn‘s nicht reicht, müsst ihr mit eurem Nachbarn zusammen reinsehen.« Ist klar. Das wohl absurdeste Bild (mit Ton): Ein mit jungen Indiemenschen überfülltes Zelt singt im Chor: »Wir sind jung und machen uns eben Sorgen um unsere Chancen auf dem Arbeitsmarkt.«

Gehaltene Versprechen. Die Lemonheads also. Scheinbar bekannt aus längst vergangenen Zeiten und von vielen Kennern gelobt. An mir größtenteils vorbeigegangen. Zu Unrecht. Jetzt, wo sie da stehen und ihre Lieder spielen, deren Großartigkeit ich gerade erst entdecke, beschließe ich, mir die gesamte Diskographie zu kaufen. Oder zu leihen, von denen, die es schon immer wussten.

Ungeklärte Fragen. Hat jemand, als ich schlief, seinen Ghettoblaster mit extrem lauter HipHop-Musik direkt neben mein Zelt gestellt? Oder habe ich das geträumt? Wer ist dieses fremde Mädchen, das mich einfach geküsst hat? Und noch interessanter: Wer ist ihr Freund? Wie schafft es ein menschliches Organ, drei Tage lang im 10-Minuten-Rhythmus »Uuuuuaaaaah« zu schreien? Wo ist meine Bierpfandmarke? Wo der Becher? Verstecken sich meine Freunde vor mir? Ist der gefangene Drumstick des bekloppten Zeltnachbarn wirklich von den Lemonheads? Oder nicht doch von Fotos? Seit wann ist Müll fünf Euro wert? Wie scheißt man auf eine Klobrille? Ist all der Krach und Schmutz und Staub nicht viel schlimmer als Rauchen? Wie war eigentlich die Heimreise?


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