anzeige
anzeige
Kultur

Auf Reisen an die Ränder und in die Wunden der Welt

Zum zweiten Tag der Filmkunstmesse Leipzig 2008

  Auf Reisen an die Ränder und in die Wunden der Welt | Zum zweiten Tag der Filmkunstmesse Leipzig 2008

Am gestrigen zweiten Tag der Filmkunstmesse waren »Nömadak TX« – ein Dokumentarfilm über mongolische Nomaden und ihr Instrument, die Txalaparta – und »Chaotic Ana«, der neue Film von Julio Medem, zu sehen.

Mit »Nömadak TX« stand ein schon zwei Jahre alter Film auf dem Programm, der zwar auf internationalen Festivals weltweit mit Preisen überhäuft worden ist, in Deutschland aber erst vor kurzem einen Verleih gefunden hat und nun Anfang 2009 auf der Leinwand zu sehen sein wird. Im Mittelpunkt dieses dokumentarischen Roadmovies steht das baskische Perkussionsinstrument Txalaparta. Es ist aber nicht nur ein Instrument, sondern ein Ort, an dem sich Menschen begegnen. Ähnlich einem Foucaultschen Pendel, unter dessen fester Aufhängung die Erde rotiert, so ist es der feste Standpunkt, durch den hindurch sie sich verbinden.

Deshalb ist »Nömadak TX« nicht bloß ein spannender Dokumentarfilm, der mit seinen intensiven, fließenden, selbst sehnsuchtsvoll reisenden Bildern an die Ränder der Welt, zu den Ausgestoßenen, den Abseitigen und Abgeschiedenen in Indien, Lappland, Marokko und der Mongolei, die Erde in einer visuellen Traumreise zu umspannen scheint. Er ist zugleich die Verwirklichung eines Projekts der Filmemacher. Sie reisen auf der Suche nach den Tönen der Welt zu anderen Nomaden, um die Musik des Txalaparta mit deren Sounds in Sessions zu vereinen.

In vielen intuitiven Schnitten verwebt der Film den Rhythmus der Töne und die Kamerablicke in die fremden, doch eindringlich nah gefilmten Kulturwelten zu einem audiovisuellen Abendteuer. Zu den spannendsten Momenten dieser filmischen Odyssee gehören diejenigen Szenen, in denen die baskischen TX-Musiker ihr Instrument in seiner ursprünglichen Form aus hölzernen Balken, aus Eis oder Stein nachbauen und so verschiedene Kulturen und alle, die auf ihm spielen, in Kontakt bringen und zu einem großen Ganzen in Musik verschmelzen, ohne dass jeder seine Einzigartigkeit verliert.

Szene aus »Chaotic Ana«
Mit hohen Erwartungen fand die Aufführung des neuen Filmes von Julio Medem, »Chaotic Ana«, selbst zu später Stunde noch in einem vollen Saal statt. Dem Zauber seiner früheren Filme »Die Liebenden des Polarkreises« (1998) und »Lucia und der Sex« (2001) kann man sich nur schwer entziehen, doch sein aktuelles Werk hinterlässt leider mehr Ratlosigkeit und Verwirrung als beschwingtes Berührtsein.

Als die 18-jährige Hippie-Tochter Ana zu ihrer Kunstmäzenin nach Madrid geht und sich nun eine neue Welt für sie öffnet und sie die große Liebe findet, entdeckt sie auch ihre innere Verbindung zum weiblichen Gewissen der Menschheitsgeschichte. Ihr inneres Chaos drängt sie auf eine Suche nach ihrer Bestimmung und auf eine Reise durch die Zeiten und Räume der ewigen (sexuellen) Konfrontationen zwischen Mann und Frau.

Surreal von Beginn an strudeln die Bilder und Ereignisse in hypnotischer Struktur, die oftmals nicht nur nicht nachvollziehbar, sondern auch unlogisch ist. Der übergroße, doch sehr reizvolle poetisch-philosophische Rahmen, der sich von der historischen Suche nach allem Übel auf der Welt bis zur Gegenwartskritik durchdekliniert, rutscht leider in seiner Materialisierung in der Selbstfindung Anas zu oft ins Absurde und plakativ Naive ab.

Vor allem wird sehr klar, dass Medem seinen wohl persönlichsten und intimsten Film gedreht hat. Die Empathie ist in jedem Satz zu spüren, die Bilder sind aufregende Panoramen seelischer Tiefen, doch fehlen gute Schauspielkunst und nachvollziehbare Handlungsstruktur, um den Zuschauer wirklich daran teilhaben zu lassen.


Kommentieren


0 Kommentar(e)