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off campus – Die erste Woche

Der neue Blog auf kreuzer online von Tobias Bernet. Teil 1: Freunde und Helfer

  off campus – Die erste Woche | Der neue Blog auf kreuzer online von Tobias Bernet. Teil 1: Freunde und Helfer

Im Sommer zog Tobias Bernet mit Freunden von Zürich nach Leipzig-Lindenau. Den WG-Alltag und das Studentenleben in der neuen Stadt beschreibt der 23-jährige Gaststudent ab jetzt wöchentlich auf kreuzer online.

Im Sommer zog Tobias Bernet mit Freunden von Zürich nach Leipzig-Lindenau. Den WG-Alltag und das Studentenleben in der neuen Stadt beschreibt der 23-jährige Gaststudent ab jetzt wöchentlich auf kreuzer online.

Teil 1: Freunde und Helfer

»Aus der Schweiz?«, fragt der Polizist ungläubig. Er scheint über unsere Herkunft fast mehr erstaunt als darüber, dass ich ihn soeben – es ist halb zwei Uhr morgens – gebeten habe, in ein Haus einzubrechen, das wir angeblich selbst bewohnen – ich und Constantin, der mit argwöhnischem Blick bei dem überlangen Miettransporter steht.

Jawohl, aus der Schweiz, der reichen Schweiz, dem Land von Alpenmilch und honiggelben Goldbarren, wohin nicht wenige Ostdeutsche der ungleich besseren Arbeitsmarktsituation wegen aufbrechen. Wir haben das Umgekehrte gemacht, wir sind aus der Schweiz hierher gezogen, nach Leipzig, an diese, so sagt man uns, etwas berüchtigte Straße im Westen der Stadt. Freiwillig.

Der Transporter ist schon fast vollständig auf den Gehsteig (in der Schweiz würde ich »Trottoir« schreiben) entleert, weil wir all unsere Kisten, Taschen und Schachteln nach Constantins Schlüsselbund durchsucht haben, an dem auch der Schlüssel für das Vorhängeschloss an unserer Haustür hängt, und so finde ich innert nützlicher Frist den Brief, mittels dessen mir die deutsche Postbank die Eröffnung eines Girokontos bestätigt, adressiert an mich und an diese Adresse. Ich schiebe ihn dem Polizisten, der immer noch verdutzt auf meinen Personalausweis starrt, unter die Nase, in der Hoffnung, dass er aus der Kombination der beiden Dokumente den Schluss ziehen möge, dass ich tatsächlich ein legaler Bewohner des Hauses bin.

In dieser Septembernacht ist es einen knappen Monat her, seit wir – insgesamt eine Viererbande von Zürcher Studierenden, drei Männer und eine Frau – unsere Wohnung in dem davor seit Jahren unbewohnten Gebäude fertig renoviert haben und nochmals ein vorerst letztes Mal in die Heimat gefahren sind. Einen Monat lang keine Seele im Haus und die beiden links und rechts davon ohnehin unbewohnt, das schien ein Vorhängeschloss zu rechtfertigen.

Hier war das Vorhängeschloss. Nachgestellte Szene! <br>Zange im Original ca. 20 mal größer.
Dick hatte ich mir in die Agenda geschrieben: »Schlüssel f. Vorh.schl. v. Jo!!«, auf dass dieser nicht vergessen ginge nach der Abschiedsparty in Zürich. Jo und Lena, die andere Hälfte unseres Quartetts, hatten den Großteil ihrer Sachen bereits früher nach Leipzig gebracht und fuhren nach der Party direkt in die Ferien nach Italien, noch einmal Sonne tanken vor Herbst und Winter, während Constantin und ich uns an unseren Umzug machten. Die Schlüsselübergabe hat dann auch noch geklappt. Aber was nützt das jetzt, wenn Constantin augenscheinlich seinen ganzen Schlüsselbund an irgendeiner Raststätte aus der Führerkabine hat purzeln lassen?

Gut, es war ein anstrengender Tag. Fast unnötig zu sagen, dass unser Zeitplan die Abfahrt in Zürich eigentlich nicht erst um fünf vorgesehen hatte. Ebenfalls nicht vorgesehen ist, »dass Sie um diese Zeit schwere Möbel die Treppen hoch tragen«, wie sich der zweite Polizist jetzt zu Wort meldet; die Nachtruhe im Sinne. Ich verkneife mir die Antwort, dass wir hier um dieselbe Zeit auch schon mit schwerem – und höllisch lautem – Gerät Dielenböden abgeschliffen haben und dies uns seitens einer Nachbarin von schräg gegenüber, aus dem nächstgelegenen bewohnten Haus, einzig den freundlichen Vorschlag eintrug, wir möchten doch die Fenster schließen.

Polizist Nummer eins – das scheint er auch in der Hierarchie zu sein – beachtet den Einwand seines Kollegen nicht und entscheidet: »Also gut, wir gehen den großen Seitenschneider holen.« Die beiden steigen in ihren Streifenwagen und sind weg. Ich grinse Constantin triumphierend an. Er hatte meiner gutgläubigen Logik nicht folgen wollen, dass man einfach mal die Polizei ruft, wenn man mitten in der Nacht in einer fremden Stadt ein Problem hat, das man selbst nicht lösen kann. »Dein Freund und Helfer«, hatte ich gesagt, »so wäre das doch eigentlich gedacht!«

Freund und Helfer sind im Handumdrehen zurück – die Wache liegt gleich um die Ecke – und entsteigen ihrem Wagen nun mit einer Zange von geradezu grotesken Ausmaßen. Einmal kräftig zugedrückt, und das Vorhängeschloss liegt am Boden. Wir, die wir schon einer Nacht im Transporter entgegengesehen hatten, bedanken uns überschwänglich. »Ach, schon gut, Einbrecher spielen macht immer wieder Spaß«, antwortet Helfer, ehe er mit Freund zusammen wieder davonfährt.

Beim Hineintragen unserer Habseligkeiten findet Constantin seinen Schlüsselbund dann sehr bald wieder.


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