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Kultur

»Lieber ein geiles Jahr als fünf beschissene«

Die Leipziger Institution Die Art meldet sich voller Euphorie zurück

  »Lieber ein geiles Jahr als fünf beschissene« | Die Leipziger Institution Die Art meldet sich voller Euphorie zurück

Draußen ist es verdammt dunkel, trüb und kalt. Wir sind mit Die Art verabredet, nicht im Büro oder Café, sondern am vielleicht intimsten Ort einer Band, im Probenraum. Dieser liegt auf einem Fabrikgelände voller DDR-Charme nahe der Spinnerei. Es ist ein bisschen wie im Film. An einem großen Gittertor wartet ein rauchender Makarios und führt uns durch einen verwinkelten Gang eben dort hin.

Draußen ist es verdammt dunkel, trüb und kalt. Wir sind mit Die Art verabredet, nicht im Büro oder Café, sondern am vielleicht intimsten Ort einer Band, im Probenraum. Dieser liegt auf einem Fabrikgelände voller DDR-Charme nahe der Spinnerei. Es ist ein bisschen wie im Film. An einem großen Gittertor wartet ein rauchender Makarios und führt uns durch einen verwinkelten Gang eben dort hin.

kreuzer online: Wie hat es sich angefühlt, als ihr das erste Mal nach der Trennung wieder als Die Art hier im Proberaum gestanden habt?

MAKARIOS: Das war schon dramatisch.

HOFMANN: Ja, wir waren uns nicht wirklich einig.

MAKARIOS: Ich wollte es nicht. Es war ja abgeschlossen. Ganz am Anfang fand ich die Idee okay, und dann kamen immer mehr Zweifel.

HOFMANN: Das stand schon richtig auf Messers Schneide.

MAKARIOS: Wenn ich »Nee« gesagt hätte, dann wärs auch nicht zu Die Art gekommen.

kreuzer online: Wie muss man sich das vorstellen? Gab es lukrative Anfragen für Konzerte?

MAKARIOS: Es gab ständig Anfragen und maßlos viel Druck von außen. Veranstalter, die sagten: Wissmut ist ja schön und gut, aber wir wollen Die Art. Auch Journalisten fragten uns: Wieso macht ihr nicht Die Art, wenn ihr mit Wissmut sowieso deren Songs spielt? Und dann auch die Fans. Man kann sagen, Wissmut ist an der alten Geschichte gescheitert. Das ist wie ein Stigma. Es ist schön, dass es das gibt, aber wenn Gumpi und ich ne neue Band machen, dann ist das sinnlos. Irgendwann hab ich gesagt: Na gut, wenn die uralten Mitglieder nichts dagegen haben, dann machen wirs! Gumpi hat dann mit Tom, dem alten Schlagzeuger – der die Namensrechte hatte – zwei Stunden telefoniert. Es ging hin und her, aber dem wars irgendwie egal.

HOFMANN: Das ist das typische Problem der ganzen Reunionsgeschichte: eine Platte und dann ist es auch wieder vorbei.

kreuzer online: Wer hatte die Idee der Neugründung zuerst ausgesprochen?

MAKARIOS: Als Conne während der Abschiedstour in die Band kam und die Auflösung schon beschlossene Sache war, hat er immer gesagt: Ihr müsst ja einen an der Waffel haben, so was sterben zu lassen.

RUDRA: Es ist für jemanden, der hinzukam, unbegreiflich, diese Popularität liegen zu lassen. Hier ist der Sänger, da der Gitarrist (zeigt auf Makarios und Gumpi). Warum spielen wir als Wissmut? Die Leute gehen bei den Zugaben total ab, wenn wir Art-Songs spielen. Mit Wissmut stagnierte es doch einfach. Warum machen wir nicht Die Art?

HOFMANN: Du hast dein Wissmut-Konzert gespielt, dann kam der erste Zugabenblock mit zwei Die Art-Nummern, und die Post ging ab. Da überlegst du dir auch: Was is’n das für’n Scheiß?! Und dann spielst du Zugabe um Zugabe und hast im Prinzip ein halbes Die Art-Set gespielt, um vorher Wissmut spielen zu dürfen. Wie eine Vorband für dich selbst.

MAKARIOS: Es war so eine Palastrevolution. Ich hätte meine Band verloren, wenn ich nicht mitgemacht hätte.

HOFMANN: Wir haben viel und kritisch darüber geredet. Es hätte ja auch so kommen können, dass wir eine Platte machen, auf Tour gehen und das wars dann. Es wäre sicher ein schönes Jahr geworden. Das größte Problem war, dass wir Wissmut damit auch weggeworfen hätten. Dann wäre es komplett aus gewesen. Dann wäre weder Wissmut noch Die Art gegangen. Dieses Risiko haben wir dann bewusst gewählt. Shiva und ich haben uns dann einfach gesagt: Lieber ein geiles Jahr als fünf beschissene.

kreuzer online: Und dann stand Die Art nichts mehr im Wege?

MAKARIOS: Alles klärte sich, aber meine Zweifel blieben bis zum ersten Konzert. Ich hatte mir ein Zeitmaß gesetzt. Ein Jahr, also diese erste neue Platte – »Alles was ein Herz begehrt« (2007) –, um mal zu schauen, was dann ist. Ich wollte auch nicht, dass das jetzt mit großem Trara rauskommt. Wenns dann verbrennt, dann wäre Die Art für immer verbrannt.

kreuzer online: Aber was ist jetzt das Geheimnis, das Die Art von Wissmut unterscheidet?

MAKARIOS: Das ist eine andere Musik. Die Art hat einen anderen Geist, strahlt schon durch den Namen was anderes aus, hat eine andere Geschichte. Wissmut hätte die Freiheit gehabt, alles Mögliche zu machen, zu experimentieren und probieren. Wenn du wieder mit Die Art startest, musst du ein Statement setzen. Da war »Alles was dein Herz begehrt« noch ein bisschen wie ein Zwitter beider Bands, während »Funeral Entertainment« eine richtig typische Die Art-Platte geworden ist. Die Art ist ein Fluch und ein Segen: Ein Segen, weil du damit ganz, ganz lange Musik machen kannst und immer dein Publikum finden wirst. Ein Fluch eben, weil du mit anderen Sachen immer damit verglichen wirst.

kreuzer online: Es fühlt sich aber gut an, dass die Band wieder da ist?

MAKARIOS: Es ist ein geiles Gefühl.

GUMPRECHT: Wie eine Wiedergeburt.

HOFMANN: Das Gefühl war von dem Moment da, als klar war, dass wir als Die Art weiter machen.

kreuzer: Makarios und Gumpi gehören zur ja Urbesetzung. Conne und Shiva, was waren eure ersten Berührungspunkte mit Die Art? Wann habt ihr Die Art das erste Mal musikalisch wahrgenommen?

HOFMANN: Mit der »Fear«, 1990.

kreuzer online: Bei DT64?

HOFMANN: Nee, als Vinyl. Also dann kurz nach der Wende.

RUDRA: Ich bin eindeutig der Jüngste hier. Ich kam tatsächlich über Parocktikum auf DT64 zu Die Art, wo ich früher ganze Sendungen mitschnitt. Makarios lernte ich Jahre später im »Kosmospolitan« kennen. Sie suchten damals mal wieder einen Schlagzeuger für Wissmut, eigentlich jemanden, der Beatstrukturen baut.

MAKARIOS: Wir waren so verzweifelt mit den Schlagzeugern, dass wir gesagt haben, wir lassen uns jetzt einfach mal ein Programm anfertigen, damit wir im Notfall auch ohne Schlagzeuger spielen können.

RUDRA: Es wusste ja keiner, dass ich trommle, und beim ersten Probetermin hatte ich überhaupt keine Lust, mit ’ner Maschine anzukommen. Und ja, dann hab ich das Programm eingeübt und halt getrommelt.

kreuzer online: In älteren kreuzer-Interviews klang an, dass eurer Publikum viel jünger wäre als ihr selbst. Wie hat sich das seit eurer Wiedervereinigung entwickelt?

MAKARIOS: Im Schnitt ist unser Publikum ja mit uns gewachsen. Das Schöne ist aber, dass jetzt ’ne Menge jüngeres Publikum kommt.

RUDRA: Auch generationenübergreifend. Die Leute kommen teilweise mit ihren Kindern. Es ist immer witzig, wenn die Eltern dastehen und das Kind daneben, je mit ’nem Die Art-T-Shirt.

kreuzer online: Damals, ganz am Anfang, 1988/89 gab es die Aufnahmen auf Tape, und durchs Parocktikum bei DT64 wurdet ihr bekannt. Heutzutage gibt es auch ein Die Art-Myspace. Was hat sich da aus eurer Sicht geändert? Was muss eine Band 2008 anders machen?

MAKARIOS: Wenn wir jetzt von Null gestartet wären, könnte ich die Frage vielleicht beantworten. Wir sind ja eigentlich auch in Myspace reingewachsen. Heute hat eine junge Band natürlich das Problem, dass sie vielleicht schnell die Orientierung verliert: Wo setze ich an, wo kann ich was machen? Im Prinzip ist es immer die gleiche Frage: Wo kannst du spielen? Wir sind eben zum Teil in die Kirche ausgewichen, obwohl wir nicht unbedingt große Freunde davon waren. Aber dort konnten wir spielen. Myspace ist so unselektiv, dass du dich da drin auch schon wieder verlieren kannst. Es ist neu, aber ob das einer Band mehr nützt, weiß ich nicht.

kreuzer online: Wie ist es mit dem Radio? Landesweite Sendungen wie Parocktikum gibt es nicht mehr.

MAKARIOS: So etwas wie Parocktikum fehlt tatsächlich. Es gibt natürlich eine Menge freie Radios. Da macht jeder sein eigenes lokales Radio. Dann weiß man nicht, wie sich das Internetradio so entwickelt. Das betrifft ja die Über-30-Jährigen selten. Dort könnte wieder so eine Kultur entstehen, wo du als Künstler mehr Freiheiten hast als in diesem furchtbaren Radio, das du jetzt hier hast. Das ist ja eigentlich sinnlos, wenn du da gespielt wirst.

kreuzer online: Mittlerweile erscheint eure Musik auf eurem eigenen Label Brachialpop. Ist es gut, die komplette Verantwortung und Kontrolle zu haben?

MAKARIOS: Nee, das ist gar nicht gut. Es macht unwahrscheinlich viel Arbeit, die dir viel Zeit für kreative Arbeit wegnimmt. Ich sitze jeden Tag im Büro.

kreuzer online: Wie läuft es, nachdem euer neues Album vor kurzem erschienen ist?

MAKARIOS: Es läuft für mich so erschreckend gut, dass ich schon wieder Angst habe, dass da irgendein Haken dran ist.

HOFMANN: Die neue Platte zieht im Grunde die »Herz«-Platte auch noch mal mit.

MAKARIOS: Die Vertriebszahlen sind schon viel größer. Sie ist gerade einmal zwei Wochen draußen, und ich musste schon nachpressen. Das zeigt schon, dass ein größeres Interesse da ist. Vielleicht auch, weil die Tour voriges Jahr verbreitet hat: Die Art gibts wieder.

kreuzer online: »Funeral Entertainment« hat ein typisches Die Art-Cover. Das Album »Alles was Dein Herz begehrt« hatte dagegen dieses »New Economy-Cover«. Warum habt ihr euch mit so einem untypischen Cover zurückgemeldet?

MAKARIOS: Weil wir Schlampen sind und uns nicht gegen unseren Grafiker durchsetzen konnten. Die Platte musste ja auch irgendwann gepresst werden.

HOFMANN: Ich finde das Cover schön.

MAKARIOS: Ich nicht!

RUDRA: Der Grafiker arbeitet halt unabhängig.

HOFMANN: Es ist ein schönes Cover. Gerade die Variation bei der zweiten Auflage gefällt mir.

MAKARIOS: Das ist eine schöne Spielerei. Ich wurde tatsächlich oft darauf angesprochen. Das Cover polarisiert. Beim Cover von »Funeral Entertainment« ist das wiederum anders. Da gibt es maximal den Vorwurf, dass wir das Klischee bedienen. Aber das ist auch in Ordnung.

kreuzer online: Makarios, in früheren Interviews hast du erzählt, dass du lieber deutsch singst. »Funeral Entertainment« ist nun komplett englisch, was uns überrascht hat.

MAKARIOS: Bei Wissmut war die Prämisse, stets deutsch zu texten. Im Gegensatz dazu war es bei Die Art stets so ein Herumgeeiere. Wir hatten ja sowieso das Lied »Pale« mit uraltem englischem Text ausgegraben. Ich weiß nicht, ob ich persönlich glücklich bin, aber am Ende ist die Platte rund geworden.

HOFMANN: Man muss betonen: Es ist keine Mischplatte. Eine Hälfte Deutsch, die andere Englisch finde ich viel schwieriger.

GUMPRECHT: Manchmal bietet sich Englisch einfach an, weil es besser zur Musik passt. Diese Mischplatten waren immer grenzwertig. Deutsch hätte diesmal nicht gepasst.

kreuzer online: Das ist jetzt aber keine endgültige Entscheidung, oder?

MAKARIOS: Das hängt von mir ab (lacht).

kreuzer online: Das zweite Album nach der Neugründung kam so unheimlich schnell. Was ist passiert?

MAKARIOS: Auf der letzten Tour im Herbst habe ich gemerkt: Das ist geil. Die Tour war zu Ende, und in mir ratterten die Sachen weiter. Bei den Proben mit Shiva entstand fast jedes Mal ein neuer Song. Eigentlich wollten wir höchstens eine EP aufnehmen. Am Ende hatten wir keine andere Wahl, denn die Musik sollte nicht auf Halde liegen und verschleißen.

RUDRA: Das war ein fast unheimlicher Output. Bei Wissmut haben wir versucht, auf Krampf neue Songs zu schreiben.

MAKARIOS: Auf der neuen Platte sind zwar nur sieben Songs. Lieber kurz und knackig. Wir wollten kein Füllmaterial, das auf vielen Alben, die vielleicht 50 Minuten lang sind, einfach nur nervt.

kreuzer online: Gibt es einen Song, der euch besonders am Herzen liegt?

MAKARIOS: Das Manifest ist »Pale«. Der Song ist schon 1990 entstanden. Wir haben ihn damals als Demo aufgenommen, aber nie richtig zu Ende gemacht. Als wir uns entschieden hatten, als Die Art weiterzumachen, war das Stück einfach da. Alle in der Band mochten es, und live hat es auch grandios funktioniert. Musik macht man ja oft aus Spleen und Spaß, und da haben wir uns gesagt, für jedes Jahr eine Minute. 17 haben wir dann doch nicht geschafft, aber immerhin 15 Minuten.

kreuzer online: Stichwort Musik aus Spaß: Was macht das Musikmachen nach den ganzen Jahren aus? Beruf oder Berufung?

RUDRA: Beruf und Berufung, aber du kannst ja nicht davon leben.

MAKARIOS: Über uns wurde ja immer geschrieben: Die nächste Platte wird der Durchbruch. Wir waren immer an so einem Punkt, wo es nicht weiterging. Viele Bands zerbrechen genau an dieser Situation. Für uns ist das Musikmachen – auch mit dem Wissen darum – irgendwann ganz normal geworden. Inzwischen ist es eine Sucht.

GUMPRECHT: Für mich ist Die Art wie eine zweite Familie. Ich freue mich neuerdings sogar auf die Proben. (Allgemeines Lachen). Es gibt natürlich Höhen und Tiefen. Wenn es nicht so ist, dann fehlt einfach was. Als das erste Mal Schluss war, war es ganz schlimm.

MAKARIOS: Es wird ja immer mir angelastet, dass ich Die Art beendet hätte, was so nicht stimmt. Ich hätte aber nie gedacht, dass die Konsequenz so hart sein kann, eine Band zu Grabe zu tragen. Du bist völlig orientierungslos, so als ob aus deinem Körper ein Stück rausgeschnitten worden ist. Du suchst ganz krampfhaft und verzweifelt nach Ersatz. Also Projekte, Projekte. Leute finden, mit denen was machen kann, um den Verlust zu kompensieren. Da ist es sicher zu Sachen gekommen, die nicht ganz glücklich gewesen sind, die aber in dem Moment als Mensch und Musiker befriedigt haben. Manchmal braucht man so ein Ventil, um was rauszulassen. Wenn das nicht mehr so funktioniert wie gewohnt, geht was in deinem Kopf schief und führt zu furchtbaren Depressionen. Ich bin sehr froh, dass das überwunden ist und wieder in guten Bahnen läuft.


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