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Kultur

Müssen alle mit!

Ein Abend von und mit Bernd Begemann

  Müssen alle mit! | Ein Abend von und mit Bernd Begemann

Bernd Begemann, vor allem bekannt als Musiker und Unterhaltungskünstler, hat einen Film über Teile der deutschen Indiemusiker-Szene gemacht. Klingt komisch, aber interessant. kreuzer online war bei der Welturaufführung in der Schaubühne dabei und wurde vor allem eins: bestens unterhalten.

Wir fürchten, zu spät zu kommen, sind dann aber doch überpünktlich, denn der Künstler hat sich aufgrund der Wetterlage etwas verspätet. Wir sehen es ihm großzügig nach und nehmen Platz in den weichen Kinosesseln. Hinter uns klärt eine junge Dame ihre Freundinnen in ausuferndem Redefluss über die Ereignisse der kürzlich stattgefundenen Golden-Globe-Verleihungen auf, bis Begemann die Bühne betritt und alle Aufmerksamkeit auf sich zieht.

Es folgt ein kleiner Erzähltrip zur Entstehungsgeschichte des Films, die laut Begemann unter Umständen interessanter sein könnte, als der Film selbst. Zweieinhalb Jahre hat »Müssen alle mit« inzwischen auf dem Buckel. In Auftrag gegeben wurde er vom Hamburger Indie-Label Tapete Records, das damit unter anderem seine gleichnamige Compilation promoten wollte. Aber es sind auch einige Nicht-Tapete-Künstler dabei. Insgesamt erinnert der Ansatz und die Auswahl der Künstler ein wenig an Astrid Vits zweiteilige Interview-Buchreihe »Du und viele von Deinen Freunden«. Begemanns Fragen sind jedoch binnenperspektivischer und weniger naiv.

Interessant ist die Vorgeschichte vor allem deshalb, weil der Regisseur, der gleichzeitig Kameramann war, nach Abschluss der Dreharbeiten 8 Monate lang nicht erreichbar war und auf keinen der verzweifelten Kontaktaufnahmeversuche der Tapete-Crew reagierte. Bis diese sich schließlich dazu entschloss, dem absenten Regisseur den Film heimlich zu entwenden. Also schnappten sich die Labelchefs eines Nachts die 20 Stunden Rohmaterial und bestellten, weil sie keinen Cutter kannten, allen Ernstes einen Stapel Bücher mit Titeln wie »So schneide ich meinen Dokumentarfilm« bei Amazon.

Was in der Theorie furchtbar dilettantisch klingt, macht in der Praxis durchaus eine gute Figur. Logisch, dass dabei kein cineastisches Meisterwerk in hochauflösenden Bildern herausgekommen ist. Diese sind hier manchmal arg pixelig, es wackelt bisweilen ein wenig und den Tonspuren hätte etwas mehr Sorgfalt sicher auch nicht geschadet. Aber all das macht überhaupt nichts, denn der Film ist unterhaltsam und lustig, der Inhalt macht die Form entbehrlich.

Die Fragen, die Begemann den Musikern – von denen nicht wenige zu seinem Bekanntenkreis gehören – stellt, sind grob unter der Hauptfrage »Wie lebst du mit der Musik?« zu subsumieren. Damit will er sich von der Hauptfrage der meisten anderen (soziologischen) Fragesteller unterscheiden: »Wie lebst du von der Musik?« Die Antworten, die Begemann erhält, sind manchmal erhellend und manchmal ein wenig ernüchternd. Etwa, wenn zwei der gefragten Musiker erzählen, dass sie nebenbei im Callcenter arbeiten gehen und dabei im Grunde den ganzen Tag lang lügen müssen.

Vor allem aber sind die Gespräche, nicht zuletzt durch Begemanns Art und seine glaubhafte Nähe zu den Künstlern, sehr kurzweilig und amüsant. Etwa wenn Nils Frevert mit Selbstironie und leisem Humor über seinen künstlerischen Antrieb spricht. Oder wenn Rocko Schamoni und Begemann sich darüber einig sind, dass Rhythmik und Melodik im Grunde überkommene Relikte sind. Einzig Schorsch Kamerun scheint tatsächlich in einem Korsett aus Ernsthaftigkeit gefangen zu sein, wie Veranstalter Michael Ludwig im an den Film anschließenden Gespräch treffend bemerkt.

In diesem werden dann 2 CDs für die erste und fünfte Frage aus dem Publikum verlost. Es scheint kaum Fragen zu geben. Ich habe auch keine. Ist doch alles klar und deutlich transportiert worden. Im Grunde hat Begebernd einen Film über sich selbst gemacht. Fragen, die ihm wichtig waren, wäre er selbst gern gefragt worden, alle anderen waren – wie er selbst zugibt – oft nicht viel mehr als Höflichkeit. Insofern erübrigt sich auch die erste, zögerlich gestellte Zuschauerfrage nach dem Anteil Selbsttherapie in Begemanns Motivation, diesen Film zu machen. Eine CD kriegt der Fragesteller trotzdem.

Begebernd in psychedelischer Jim Morrison-Ekstase:<br>»Wir sind gut im Bett, leider nirgendwo sonst«
Nach einer kurzen Pause gibt der »Filmemacher« dann noch ein paar seiner Lieder zum Besten. So war es jedenfalls gedacht. Was folgt, sind ungefähr hunderttausend Hits aus dem Begemann’schen Repertoire, dargeboten von einem der größten Alleinunterhalter, die dieses Land derzeit zu bieten hat. Große Stimme, große Gesten, Hüftschwung, Pathos, Ironie und Improvisation – der Mann, der manchmal aussieht wie ein riesengroßes italienisches Kind, das ein bisschen zu viel Eis gegessen hat, zieht alles Register. Gäbe es so etwas wie Pheromone in der Stimme und ein entsprechendes Messgerät, die seine wäre sicher voll davon. Ich könnte noch hundert Sätze des Lobes zu Film, Musik und Begebernd im Allgemeinen schreiben. Über das Kelly-Family-Feeling (»gammelig, aber zusammelig»), die zahllosen Hooks und pointierten Refrains (»Ich habe nichts erreicht außer dir«) und die samtweiche, manchmal etwas zu sehr in sich selbst verliebte Stimme dieser Fleisch gewordenen Juke-Box. Würde ich auch machen, wenn ich nicht eh schon den digitalen Rahmen gesprengt hätte.


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