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»Gespräche führen«

Zu einem Leserbrief von Matthias Herbst

  »Gespräche führen« | Zu einem Leserbrief von Matthias Herbst

An dieser Stelle beantworten kreuzer-Redakteure ausgewählte Leserbriefe. Dieses Mal reagiert Politikredakteurin Thyra Veyder-Malberg auf einen Leserbrief zu ihrem im Januarheft erschienenen Artikel »Zwischen Angst und Engagement«.

Auch ich bin gegen nationalsozialistisches Gedankengut und andere Extreme. Was mich an den Berichterstattungen der Medien stört, ist der Umgang mit diesen Menschen. Sie werden beschimpft als Nazis, Rechtsextremisten, Linksextreme, Terroristen usw. Dabei ist das alles nur Gedankengut, genauso wie es liberales, christdemokratisches, soziales, republikanisches usw. Gedankengut gibt. Dieses Gedankengut kann jeder ändern, dann ändert sich auch der Mensch. In den Beschimpfungen wird der Mensch nicht mehr gesehen, wahrgenommen, sondern nur das Gedankengut.

Wer geht denn mal hin und spricht mit diesen Menschen? Woher kommt denn dieses Gedankengut? Ist es nicht ein Ausdruck unserer – gewollten – Gesellschaft, ein Spiegel dessen, was in vielen Menschen im Inneren abläuft? Die »große« Politik setzt im Konfliktfall auch immer mehr (das ist gut so) auf eine diplomatische Lösung, also Gespräche zwischen Menschen unterschiedlichen Gedankengutes (die einen wollen Krieg, die anderen nicht). Warum nicht auch Gespräche mit Menschen führen, die wie auch immer geartetes extremes Gedankengut führen und auch zeigen?

Einen schönen Tag wünscht Matthias Herbst


Sehr geehrter Herr Herbst,

vielen Dank für Ihren Leserbrief. Es freut uns immer, wenn unsere Artikel kontrovers diskutiert werden. Sie haben mit Ihrem Brief in einigen Punkten recht, in anderen muss ich jedoch widersprechen.

Zunächst einmal halte ich es für keine Beschimpfung, einen Menschen, der rechtsradikale Ansichten vertritt, einen Rechtsradikalen zu nennen. Sicherlich ist jeder mehr, als die Summe der politischen Ansichten, die er vertritt, aber um genau diese geht es ja in einem solchen Kontext. Man nennt einen Politiker ja auch einen Politiker, selbst wenn das nur eine Facette seines Daseins beschreibt. Und was ist jemand, der die Forderung »Nationaler Sozialismus jetzt!« vertritt, anderes als ein (Neo)Nazi? Da sollte man das Kind schon beim Namen nennen und nichts beschönigen.

Was mich an ihrem Brief aber ganz besonders irritiert, ist, dass sie schreiben, das sei ja »nur« Gedankengut. Warum »nur«? Rechtsradikale wollen eine homogene Gesellschaft etablieren, aus der alle, die ihrem Bild des Deutschen nicht entsprechen, ausgeschlossen werden. Die Rechten wollen sich, einmal an der Macht, eben nicht mehr dem Wettbewerb der Ideen unterwerfen, sondern andere Vorstellungen vom Leben schlichtweg verbieten und die Demokratie abschaffen. Dabei appellieren sie an die niedrigsten Instinkte des Menschen: Vorurteile, Hass, Neid und Angst. All das macht dieses Gedankengut so gefährlich und unterscheidet es grundlegend von konservativen, liberalen, sozialdemokratischen und linken Ideen.

Da schon die Idee zutiefst menschenverachtend ist, führt sie zu ebensolchen Handlungen. So werden Menschen, die nicht in die Streichholzschachtelwelt der Rechten passen, beleidigt, bedroht, angegriffen und sogar getötet. Die Statistiken der Opferberatungsstellen sprechen hier eine deutliche Sprache. Da ist die Behauptung, das alles sei »nur« Gedankengut schon eine recht leichtsinnige Verharmlosung rechter Umtriebe – ohne dass ich ihnen, Herr Herbst, irgendeine böse Absicht in dieser Hinsicht unterstellen möchte.

Sie haben aber vollkommen recht, wenn sie fordern, dass wir die Ursachen von rechtsradikalem Gedankengut erforschen müssen, um wirksam dagegen vorzugehen. Sicherlich ist auch die Auseinandersetzung mit den Inhalten und Forderungen der Rechten wichtig, um zu zeigen, wie gefährlich diese Ideen sind. Es gibt zahllose Initiativen, Vereine und Programme, die genau diese öffentliche Diskussion vorantreiben, und auch die Parteien sind hier in der Pflicht. Gerade im kommenden Wahljahr ist es wichtig, den Menschen, die vielleicht in der Vergangenheit eine rechtsradikale Partei gewählt haben oder heute darüber nachdenken, zu zeigen, warum jede demokratische Partei immer die bessere Wahl ist – auch im direkten Gespräch.

Auch mit Jugendlichen, die in die rechte Szene abgerutscht sind, wird viel gesprochen, um sie wieder aus dieser zu lösen. Akzeptierende Sozialarbeit ist allerdings eine wenig zielführende und daher recht umstrittene Methode. Die Vorgänge um das Kirschberghaus in Leipzig zeigen, warum.

Rechtsradikale Aktivisten hingegen sind weder verwirrte Kinder noch Protestwähler, sondern erwachsene Menschen, die sich entschieden haben, eine menschenverachtende Ideologie zu vertreten und dabei den demokratischen Konsens verlassen. Viele von ihnen begegnen Andersdenkenden eben nicht mit der Kraft der Argumente, sondern mit roher Gewalt. Sie haben keinerlei Interesse an einem Dialog, sondern wollen nur sich und ihre Parolen in Szene setzen – und haben zudem seit Jahrzehnten nichts Neues zu sagen.

Doch sie haben recht: Auch diese Menschen können sich ändern. Daher gibt es zahlreiche Programme für Menschen, die aus der rechten Szene aussteigen wollen. Dort können sie das Gespräch suchen, werden bei ihrem Neuanfang unterstützt und vor Übergriffen durch ihre ehemaligen Kameraden geschützt.

Grundsätzlich gilt also: Die Bedingung für ein Gespräch ist die Gesprächsbereitschaft – und zwar von beiden Seiten. Deswegen sollte man – und das versäumen Sie in Ihrem Brief leider – zwischen Leuten, die durch Argumente noch (oder wieder) erreichbar sind und ideologisch gefestigten Nazis unterscheiden. Mit Ersteren ist ein Gespräch möglich und sinnvoll, Letzteren kann man nur einseitig mitteilen, dass ihre Ideen widerwärtig und sie deshalb nicht willkommen sind.

Mit freundlichen Grüßen, Thyra Veyder-Malberg


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