anzeige
anzeige
Archiv

»Insel ohne Menschen«

Mit dem <em>kreuzer</em> auf die sieben Weltmeere – Der neue Blog auf <em>kreuzer</em> online (Teil 10)

  »Insel ohne Menschen« | Mit dem <em>kreuzer</em> auf die sieben Weltmeere – Der neue Blog auf <em>kreuzer</em> online (Teil 10)

Unsere »kreuzer-Auslandskorrespondentin« Ele Jansen hat sich auf große Fahrt begeben und berichtet in einem exklusiven Reise-Blog über ihre Erlebnisse vor Ort. Auf Bali verlassen sie alle bösen Geister.

Unsere »kreuzer-Auslandskorrespondentin« Ele Jansen hat sich auf große Fahrt begeben und berichtet in einem exklusiven Reise-Blog über ihre Erlebnisse vor Ort. Auf Bali verlassen sie alle bösen Geister.

Teil 10: »Insel ohne Menschen«

Ganz heimlich habe ich mich, am Wachhund meines Gasthauses vorbei, hinaus auf die Straße geschlichen. Ubud ist heute leise. Kein Verkehr, keine Menschen, nur gelegentlich höre ich einen Hahn krähen. Die Atmosphäre ist unwirklich. Ich sollte nicht unter freiem Himmel sein, aber ich konnte es mir nicht verkneifen. Nur ein paar Minuten, habe ich mir gesagt.

Es ist Neumond und die Sterne scheinen ganz nah zu sein, so sehr leuchten sie. Die Luft ist aufgeladen, am Himmel entladen sich Spannungen zu kurzen Lichtspielen. Es sind immer noch 30 °C und ich wünschte, ich könnte Momente wie diesen einfangen und mit anderen teilen. Kurz vor Mitternacht gehe ich wieder in meinen Bungalow, wo ich die letzten 24 Stunden verbracht habe. »Nyepi«, der balinesische Neujahrstag, ist zu Ende und das Jahr 1932 (Balinesischer Kalender) beginnt. Seit gestern Abend sollten alle bösen Geister von der Insel verschwunden sein. Allerdings lief nicht alles so wie sonst.

Die balinesische Kultur ist ein bezauberndes Konglomerat aus Zeremonien, Rollenverständnis und Traditionen. Ich lebe in Ubud als einziger Gast bei einer Familie, die mich einlädt, an den Feierlichkeiten zu den drei wichtigsten Festen im »wuku«-Kalender teilzunehmen: »Galungan«, »Kuningan« und »Nyepi«. Die ersten beiden gehören zusammen, finden alle 210 Tage statt und werden Wochen lang vorbereitet. In dieser Zeit wird der Triumph des guten Löwenwesens »Barong« über die Hexe »Rangda« gefeiert. Alle Strassen werden mit hohen, verzierten Bambusbögen geschmückt, überall werden Extra-Schreine für Extra-Gaben aufgebaut, und die hauseigenen Tempel quellen über vor »Offerings« und Dekorationen. Die Menschen selbst dekorieren sich nicht minder. Die traditionellen Kopftücher der Männer haben es mir dabei besonders angetan. Über der Stirn sind die Ecken des Tuches kunstvoll in Richtung Himmel geschwungen – angeblich, um die Gedanken direkt zu den Göttern zu schicken.

Über Galungan und Kuningan pilgern alle Familien zu den Tempeln und opfern Tiere und Pflanzen. Die Strassen sind voll von Motorrädern, die üblicherweise ganze Familien transportieren. Der Balanceakt findet seinen Höhepunkt, wenn die Mutter, hinter dem Vater, eingekeilt zwischen ihren Kindern, zusätzlich eine hohe Schale mit Früchten auf dem Kopf trägt. Die Jungs des Ortes wandern mit dekorativen »Barong«-Fabelwesen durch den Ort, machen Lärm auf unzähligen Trommeln, Gongs und Zimbeln, und sammeln Spenden. Das Ganze geht über zehn Tage, bis der Zyklus an »Kuningan« sein Ende findet.

Zwei Tage vor »Kuningan« gibt es davon allerdings wegen »Nyepi« eine Pause. »Nyepi« ist ein Reinigungsritual, das unserem Neujahr ähnlich ist – mit dem Unterschied, dass es auf Bali mehr Geister, Götter und Aberglaube gibt. An diesem Tag bleiben alle Balinesen in ihren Häusern und beten in ihren hauseigenen Tempeln. Die Tradition vom »Nyepi«-Vorabend wird mir von dem Großvater und der Enkelin meiner gastgebenden Familie erklärt. Welche Variante stimmt, spielt, glaube ich, keine Rolle.

Beide Erklärungen stimmen zumindest darin überein, dass am Abend vor dem leisen »Nyepi«-Tag gelärmt und gekracht wird, wie bei uns an Silvester. Traditionell werden seit Jahrzehnten aufwändige, kreative »Ogoh-Ogohs« gebastelt, die am Vorabend die bösen Geister verscheuchen sollen. Eine andere Interpretation ist, dass der Lärm die Geister aus ihren Verstecken locken soll, damit die Dorfpriester mit ihnen reden und sie beschwören können. Danach werden die Geister eingeladen, in den »Ogoh-Ogohs« durch das Dorf zu reisen. Beim anschließenden Verbrennen der meterhohen Pappmaché-Monster werden die Geister freundlich wieder »heim« geschickt. Letztlich ist es aber wohl egal, welcher Interpretation man folgt. Denn im Grunde laufen beide darauf hinaus, dass man nur gute Geister mit in das neue Jahr nehmen möchte.

Am nächsten Tag, an »Nyepi«, so erklärt mir meine Landlady, haben alle einen Kater und sollten eigentlich fasten und meditieren. Der Großvater wiederum erzählt mir, dass alle im Haus bleiben, damit die Geister denken, die Insel sei unbewohnt. Wenn niemand da ist, kann man auch niemanden behelligen, so der Volksglaube. Also werden die Balinesen für das neue Jahr von den bösen Geistern in Ruhe gelassen. Der Ruhetag wird sehr ernst genommen. Sogar in den Touristengegenden sind die vereinzelten Wachleute die einzigen, die sich unter freiem Himmel aufhalten dürfen. Und die werden echt sauer, wenn sie jemanden auf der Strasse sehen und nach Hause schicken müssen. Zum Glück wurde ich Schlingel nicht ertappt und habe somit auch nicht das Bild eines schlechten Touristen abgegeben, der sich mal wieder nicht an die Regeln halten kann.

Eine Sache hat mich, aber mehr noch die Balinesen, an diesem »Nyepi« sehr geärgert: Die »Ogoh-Ogohs« wurden in diesem Jahr von der regierenden Partei verboten. Als Grund dafür wurden die anstehenden Wahlen genannt. Rivalisierende Gruppen, so fürchtet die Regierung, könnten sich während der exzessiven »Ogoh«-Prozessionen Kämpfe liefern. Dies wolle man vermeiden, so die Begründung des Verbotes. Da die Balinesen – als einzige Hindus im muslimischen Indonesien – dafür bekannt sind, immer einen Sonderstatus einzunehmen und quer zu schlagen, vermuten kritische Stimmen, dass die Gefahr politischer Krawalle nur vorgeschoben wurde, um die Balinesen an einer ihrer empfindlichsten Stellen, ihrem Glauben, zu treffen: Ohne »Ogoh-Ogohs« droht das neue Jahr, unter einem schlechten Stern zu stehen, weil die bösen Geister weder verscheucht noch besänftigt werden können.

Wie das Jahr 1932 startet, kann ich noch eine Weile beobachten. In den nächsten Wochen unternehme ich Touren zu aktiven Vulkanen, Reisfeldern, Gewürzplantagen und erhalte Einblick in die lokale und doch globale New-Age- und Künstler-Szene. Ele Jansen

Bildergalerie zu dieser Folge hier. Karte mit Routenverlauf und Etappenbeschreibungen hier.


Kommentieren


0 Kommentar(e)