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Kultur

Spiel-Gedichte mit Suchtpotenzial

Eine Ausstellung im »analogen Lindenau« beschäftigt sich mit der Kunst des Computerspiels

  Spiel-Gedichte mit Suchtpotenzial | Eine Ausstellung im »analogen Lindenau« beschäftigt sich mit der Kunst des Computerspiels

Im D21 Kunstraum in Lindenau präsentiert die Art Computer Game Show »Let's restart!!!« noch bis zum 3. Mai 2009 fünf Computerspiele von internationalen Künstlern und Künstlerkollektiven. Im Interview mit dem kreuzer spricht Michael Arzt, künstlerischer Leiter der Ausstellung, über Computerspielkunst, die Schnittstelle zwischen analog und virtuell, und erklärt, was Spiele mit der Kritik von Ideologiemaschinen, Finanzkrise und Poesie zu tun haben.

Im D21 Kunstraum in Lindenau präsentiert die Art Computer Game Show »Let's restart!!!« noch bis zum 3. Mai 2009 fünf Computerspiele von internationalen Künstlern und Künstlerkollektiven. Im Interview mit dem kreuzer spricht Michael Arzt, künstlerischer Leiter der Ausstellung, über Computerspielkunst, die Schnittstelle zwischen analog und virtuell, und erklärt, was Spiele mit der Kritik von Ideologiemaschinen, Finanzkrise und Poesie zu tun haben.

kreuzer: Die Ausstellung läuft unter dem Label »Art Computer Game Show«. Sind Computerspiele Kunst?

MICHAEL ARZT: Die Ausstellung ist kein Beitrag zu der Diskussion, ob Computerspiele Kunst sind. Diese Entscheidung hängt ja in erster Linie von der eigenen Auffassung von Kunst ab. Mit Sicherheit sind Computerspiele gestalterische, kreative und interpretatorische Leistungen und es gibt Kunstbegriffe, die diese mit umfassen und andere, die enger gefasst sind. Es geht ja hier um einen Kunstbegriff, der Kunst in erster Linie als eine Ressource versteht, nicht als eine Ware.

Screenshot aus dem Spiel »LAYOFF«
kreuzer: Welche Inhalte transportieren die Kunstwerke der Ausstellung?

ARZT: »Let's restart!!!« widmet sich der Software von Künstlerinnen und Künstlern, die Computerspiele als Medium oder Material für ihre Auseinandersetzung mit Themen wie Finanzkrise, historisches Bewusstsein, Poesie und Kritik von Ideologiemaschinen nutzen. Spielen ist hier nicht Selbstzweck, sondern ein Mittel, gesellschaftliche und ästhetische Themen zu transportieren. Dabei machen sie sich den Spielspaß zunutze und vertreten einen Kunstbegriff, der nicht von einem Schöpfergenie ausgeht. Die Computerkunstwerke stellen sich erst her, wenn die Betrachter mitspielen, selbst eingreifen.

kreuzer: Unter welchen Gesichtspunkten wurden die Spiele ausgewählt?

ARZT: Der Kunstraum D21 hat sich in der Vergangenheit in Ausstellungen wie »Netze des Krieges« und »Porno 2.0« mit Fragestellungen auseinandergesetzt, die versuchen, zu klären, wie die allgegenwärtigen elektronischen Medien die Konditionen unserer Welt verändern. Die Art Computer Game Show will der Leipziger Öffentlichkeit das weitgehend unbekannte künstlerische Medium »Computerspiel« vorstellen.

kreuzer: Was thematisieren die Spiele im Einzelnen?

Screenshot aus dem Spiel »Sowjet-Unterzögersdorf«
ARZT: Ziel war, eine gewisse Bandbreite von Möglichkeiten darzustellen. Das Online-Spiel von Tiltfactor ist ein pädagogisches Mittel, aktuelle Themen – in diesem Fall die Finanzkrise – auch mit »Communities« zu diskutieren, die nicht täglich Zeitung lesen und Nachrichten schauen. Für den e-Poeten Jim Andrews ist Programmieren eine weitere Form des Schreibens. »Arteroids«, sein Remake des Spiele-Klassikers »Asteroids«, ist das erste Gedicht mit Suchtpotential für die Spieler-Leserinnen. Das Kunstneigungskollektiv »monochrom« aus Österreich reflektiert in seinem Adventuregame »Sowjet Unterzögersdorf« radikal-konstruktivistisch das Entstehen von Geschichtsmodellen. Eine Lektion, die für »gelernte Ossis« kein Geheimnis sein dürfte, ist, dass unsere menschlichen Erklärungen historischen Wandels letztendlich fiktiv sind und sich schneller oder langsamer verkehren können, als gedacht. Das Spiel implementiert eine »falsche Erinnerung« in die österreichische Geschichte, als eine eigene Teilrepublik der untergegangen Sowjetunion.

kreuzer: Die Spiele sind frei zugänglich im Internet verfügbar. Man muss also nicht zwangsläufig zur Ausstellung kommen, um die Spiele zu spielen?

Screenshot aus dem Spiel »retroyou nostal(G)«
ARZT: Jede und Jeder, der über einen Computer mit Internetzugang verfügt, kann sich diese Kunstwerke herunterladen – im Sinne der Hackerethik auch als frei zugängliche Ressource. Die Schau und der Kunstraum D21 ist hier lediglich eine Schnittstelle zum analogen Lindenau. Denn auch, wenn alles verfügbar ist, braucht es Brücken und Verdichtungen, um einen Fokus zu setzen und das Verfügbare in Genutztes zu verwandeln.

kreuzer: Die Beschäftigung mit dem Medium?

ARZT: Das ist ein Punkt, der den Reiz dieser Art von Computerspielen für mich ausmacht: dass man nicht an ihnen vorbei gehen kann, wenn man es erleben will. Du musst sie spielen. Du musst dich selbst einbringen und damit auseinandersetzen. Ein Ideal, das für alle Kunst gilt. Die berühmt-berüchtigten acht Sekunden, die Museumsbesucher einem Kunstwerk im Durchschnitt widmen, reichen da nicht aus.

kreuzer: Wen erreicht man mit Computerspielkunst?

Screenshot aus dem Spiel »B-CITIES«
ARZT: Fakt ist, dass die Erreichbarkeit prinzipiell unbegrenzt, vermutlich aber statistisch zu vernachlässigen ist. Doch vielleicht spricht es Menschen an, die keine Kunstausstellungen besuchen. Vielleicht merkst du gar nicht, dass die Programmiererin und der Designer dieser Software sie als Kunst verstehen. Oder es geht den Besuchern wie mir: Man beginnt, sich mit Computerspielen auseinander zu setzten, obwohl man es bisher nicht tat. Interview: Marc Bohländer

Die Spiele der Ausstellung sind im Internet frei verfügbar:

Jim Andrews: Arteroids 2.5 www.ispo.com/arteroids

Parangari Cutiri: B-CITIES www.opensorcery.net/parangari/bcities.html

monochrom: Sowjet-Unterzögersdorf – Sektor I+II www.monochrom.at/sowjet-unterzoegersdorf

retroyou.org (Joan Leandre): retroyou nostal(G) www.retroyou.org/nostalg/nostalG.exe

Tiltfactor: LAYOFF www.tiltfactor.org/layoff/play.html


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